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«Wille, Disziplin und Herz sind wichtiger als Talent»

Gestatten: Chervet, Alain Chervet. Nicht Fritz, Walter, Ernst oder Paul, nein: Alain Chervet. Den Boxer kennt hierzulande (fast) jeder. Muss sich Alain Chervet ausnahmsweise vorstellen, spürt er: Der Name Chervet ist eher Segen als Fluch.

Logisch ist das nicht, denn der Sohn des sechsfachen Schweizermeisters Walter und Neffe des mehrfachen Europameisters Fritz «Fritzli» Chervet fühlt die hohe Erwartungshaltung, weil er eben ein Chervet ist. «Als Chervet wissen die Leute selbstverständlich, wer du bist. Ich denke, dass dies, trotz des hin und wieder aufkommenden Neids, eher ein Vor- als ein Nachteil ist.» Am 26. Dezember bestreitet der 28-Jährige im Berner Kursaal seinen 18. Kampf als Profi. Gegen den gleichaltrigen Tansanier Khalid Manjee soll der 17. Sieg herausschauen, erst einmal verliess der Berner bisher den Ring als Verlierer. Ginge es nach seiner Frau, wäre der 18. auch der letzte Kampf des Vaters von zwei Buben, doch das letzte Wort am Familientisch ist noch nicht gesprochen. «Mit 35 oder 40 steige ich sicher nicht mehr in den Ring, doch was dazwischen passiert, ist noch offen, da will ich mich nicht auf die Äste hinauslassen.» Klar, dass sich die Mutter der beiden Kinder um die Gesundheit ihres Ehemanns Sorgen macht, und auch Alain Chervet gibt zu, dass die Mehrfachbelastung immens ist. Als Inhaber der Boxschule Boxing Kings, die er vor gut einem Jahr von seinem Förderer und Trainer Daniel Hartmann gekauft hat, Trainer, Familienvater und als Profi stets auch selbst im Training, sollte der Tag für Alain Chervet länger als 24 Stunden dauern,
um alles zu erledigen, denn die Nachfrage nach Trainings bei den Boxing Kings nimmt bei beiden Geschlechtern und allen Alterskategorien stetig zu.

Drei Trainings täglich
Seit Oktober trainiert Alain Chervet selbst dreimal täglich. «Am Morgen beginne ich mit einer Stunde Krafttraining, später wird zweimal an der Technik, der Souplesse und der Fitness gearbeitet, meist mit dem Ungarn Istvan Szili, hin und wieder immer noch mit Daniel Hartmann. Für das Krafttraining und die Ernährung ist Alain Bartlome zuständig – ich fühle die Fortschritte, die ich bereits erzielt habe.» Alain Chervet steigt am Stephanstag erstmals nach genau einem Jahr wieder in den Ring. Der langen Kampfabsenz misst er keine grosse Bedeutung zu. «Es ist nicht so, dass ich nicht geboxt hätte. Ich machte viel Sparring, auch in den USA, und fühle mich bereit und topfit für den Fight», so der Berner Lokalmatador. Im Ring ist Chervet auf alle Eventualitäten vorbereitet. «Die Emotionen gehen während des Kampfs hoch. Trifft man den Gegner zwei- oder dreimal präzis und fühlt, wie dieser in Schwierigkeiten kommt, will man die Entscheidung suchen. Wird man selbst getroffen, nimmt der Druck zu. Da hilft die Erfahrung weiter, denn in beiden Fällen gilt es, den Kopf nicht zu verlieren und kühles Blut zu bewahren.»

Talent geerbt, aber…
Dass alle Chervets mit viel Talent gesegnet waren oder sind, steht ausser Zweifel. Doch Alain Chervet will den Stellenwert des Talents nicht überbewertet wissen. «Wille, Disziplin, Ehrgeiz, Durchhaltevermögen und ein grosses Herz für den Boxsport sind für mich bedeutend wichtiger als Talent. Mit Talent allein kommt man nicht weit, wenn man nur zuhause rumliegt. Es gilt, aus dem Talent etwas zu machen – das ist überall so, auch im Boxen.»

Pierre Benoit

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