In seinen ersten vier Monaten hat Raphael Wicky genau das erfüllt, was man von ihm erwartet hat. So wie er als Spieler funktionierte, arbeitet er auch als YB-Trainer.
Seriös, fleissig, zielorientiert, ehrgeizig – und nicht zuletzt erfolgreich. Sein Team ist der Konkurrenz enteilt, dominiert die Liga und wird den hohen Erwartungen bisher gerecht. Die letzte Partie gegen Luzern war eine weitere Demonstration der Stärke.
Vor der WM-Pause zehn Punkte Vorsprung auf den ersten Verfolger Servette, 14 Zähler mehr als der FC Basel, Meister FCZ liegt 23 Einheiten zurück. Können wir den Champagner bereits kaltstellen?
Nein, auf keinen Fall. Wir sind mit der Tabellensituation zufrieden. Aber wir sind ebenso selbstkritisch. Wir haben noch Luft nach oben.
Aber der fünfte Titel innerhalb von sechs Jahren ist nur eine Formsache.
Das ist absolut falsch. Noch sind 20 Spiele zu bestreiten, es gibt 60 Punkte zu verteilen. Klar ist es besser, sieben Punkte Vorsprung zu haben als sieben Punkte Rückstand. Aber eine Garantie ist das nicht.
Trotz Verletzungen zieht YB der Konkurrenz davon. Haben Sie sich die Sache bei ihrem Amtsantritt schwieriger vorgestellt?
Man muss das mit den Verletzungen relativieren. Ali Camara hat sich den Ellenbogen gebrochen und musste zweimal operiert werden. Wir haben uns entschieden, den Eingriff jetzt vornehmen zu lassen, damit er bei der Vorbereitung zur Rückrunde wieder dabei ist. Filip Ugrinic hat sich in Lugano eine Rippe gebrochen, Sandro Lauper ist zurück, Captain Lustenberger ist fit. Wichtig ist, dass alle gesund sind, das ist für die Vorbereitung der Rückrunde essenziell. Auch unsere medizinische Abteilung leistet ausgezeichnete Arbeit. Dass gegen Ende der Vorrunde der eine oder andere gesperrt wird, ist normal, aber wir haben viele gute Spieler, der Konkurrenzkampf ist gross. Und das ist so gewollt, damit sich niemand ausruhen kann.
Obwohl Sie von Erfolg zu Erfolg eilen, ist die Presse äusserst kritisch. Wie empfinden Sie das?
Ich lese nicht oft Spielberichte. Kritik gehört zum Geschäft, damit kann ich gut leben. Grundsätzlich ist es bei YB so: Wir beurteilen unsere Leistungen intern, kritisch und sorgfältig – im Sinn von: Es gibt immer Sachen zu verbessern, zu 100 Prozent soll man nie zufrieden sein.
Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial?
Es gibt verschiedene Punkte. Wir wollen noch dominanter auftreten, uns auch gegen tief stehende Mannschaften mehr Torchancen erarbeiten. Den Ball noch häufiger kontrollieren, 90 Minuten aktiv bleiben, auch hier gibt es noch Möglichkeiten zu Verbesserungen.
Bis zum nächsten Meisterschaftsspiel dauert es mehr als zwei Monate. Wie überbrücken Sie mit Ihrem Team diese lange Pause?
Die Spieler haben seit gestern für einen Monat Ferien, aber sie werden nicht untätig sein, sie wissen, was sie zu tun haben. Nach 14 Tagen haben sie individuell ein vorgegebenes Programm zu erfüllen und dann geht die Vorbereitung im Team wieder los.
Nach 16 Spielen hat YB nur neun Gegentore erhalten und gleichzeitig mit 35 Toren weitaus am meisten Treffer erzielt. Die richtige Mischung mit aggressivem Pressing und trotzdem solider Defensive haben Sie schnell gefunden.
Wir sind auf Kurs, die Entwicklung stimmt. Nicht selten haben auch die Einwechselspieler die Differenz gemacht. Es ist besonders wichtig, dass auch die Spieler, die den Match nicht beginnen, positiv bleiben, sich optimal vorbereiten. Der Teamgedanke muss immer im Vordergrund sein.
Pierre Benoit
Raphael Wicky wurde am 26. April 1977 in Leuggern geboren. Er begann seine Karriere als Junior beim FC Steg, zog weiter zum FC Sion, schaffte von dort den Sprung in die Bundesliga und spanische La Liga zu Atlético Madrid. Die aktive Karriere beendete er 2008 beim CD Chivas in den USA. Seit 2013 ist er als Trainer tätig. 218 Bundesliga-Spiele für Werder Bremen und den HSV. Schweizermeister 1997, dreimal Cupsieger mit Sion und deutscher Pokalgewinner mit Werder. 75 Länderspiele, 1 Tor. Jüngster Spieler an der EURO 1996.