422982263 Highres

«Wir schauen in erster und in zweiter Linie auf uns»

Dass YB zum zweiten Mal nach 2019 schon nach 29 Runden den Titel feiert, wird an diesem Sonntag schnell klar. Topskorer Jean-Pierre Nsame schiesst YB vor der Pause in Führung und Servette liegt in Basel schnell 0:3 zurück.

Nach den ersten kurzen Festivitäten sind zwei der Baumeister der YB-Erfolge bereit für das Doppel-Interview mit dem Bärnerbär. Wir erfahren nicht nur, dass der dreifache Meistertrainer Gerardo Seoane am Sportchef «seine offene und menschliche Art» schätzt und Christoph Spycher beeindruckt ist, «wie Gerry jeden Tag Professionalität vorlebt und alles versucht, um das Team und jeden einzelnen Spieler besser zu machen», sondern auch, dass beide fähig sind beziehungsweise waren, Windeln zu wechseln.

Gerardo Seoane, wann dachten Sie zum ersten Mal daran, Trainer zu werden?
Da war ich Mitte 20, Spieler bei Aarau und einmal pro Woche Assistent des U13-Trainers. In diesem Team spielte auch Loris Benito. In meinen letzten vier Jahren als Spieler des FC Luzern war ich bereits im Nachwuchs als Trainer tätig. Ursprünglich dachte ich, Turn- oder Geschichtslehrer zu werden, bis ich das Lehrer-Seminar abgebrochen habe.

Und Sie Christoph Spycher, spielten Sie nie mit dem Gedanken, Trainer zu werden?
Ich machte mir schon Gedanken, einmal in diese Richtung zu gehen. Gleichzeitig bringt der Trainerjob in der Regel oft Wohnorts-Wechsel mit sich. Und das hatte für unsere Familie nicht erste Priorität.

Aber ich denke nicht, dass Sie als Bub davon träumten, einmal Sportchef zu sein.
Nein, das nicht.

Vor zwei Jahren feierten Sie den Titel bereits nach 29 Spieltagen. Jetzt stellen Sie diesen Rekord ein. Ist YB zu stark oder sind die Gegner zu schwach?
Spycher: Jeder Titelgewinn hat seine eigene Geschichte und ist etwas aussergewöhnlich Schönes. Es trifft zu, dass wir konstant gute Leistungen zeigten und die Konkurrenz sich gegenseitig Punkte abgenommen hat. Aber wir schauen in erster und zweiter Linie auf uns und versuchen, immer die bestmögliche Leistung zu erbringen.
Seoane: Dem ist nichts beizufügen. Vielleicht noch das: Wir sind immer konstant unseren Weg gegangen. In dieser Saison mit der Pandemie war es für jedes Team sehr schwierig. Aber wir haben es geschafft, unserer Linie stets treu zu bleiben und die Konzentration und die Anspannung hochzuhalten. Und ich glaube, man kann auch sagen, dass YB in personeller Hinsicht in den letzten Jahren oft ein glückliches Händchen gehabt hat.

In der Europa League überzeugte YB gegen Bayer 04 Leverkusen, war aber gegen Ajax Amsterdam mehr oder weniger chancenlos. Was braucht YB ausser Los- und Spielglück, um auch auf internationaler Ebene noch weiterzukommen?
Spycher: Man muss das realistisch betrachten. Als Schweizer Klub ist man in der Europa League gegen jede deutsche Mannschaft krasser Aussenseiter und selbstverständlich auch gegen Ajax, das sich in völlig anderen Dimensionen bewegt. Ich finde, man sollte das Weiterkommen gegen Leverkusen viel höher gewichten als das Ausscheiden gegen Ajax. Es wird für jeden Schweizer Klub schwierig bleiben, auf europäischem Parkett für Furore zu sorgen. Wir sind sehr ambitioniert, können aber gleichzeitig auch die Realität nicht ausblenden.
Soane: Jedes Spiel, jede Erfahrung auf diesem hohen Niveau bringt YB und alle Spieler weiter. Wir haben in der Vergangenheit schon oft die Lehren aus schmerzhaften Niederlagen gezogen und uns weiterentwickelt. Diese Erfahrungen muss man in die tägliche Arbeit im Training einfliessen lassen. Anschauungsunterricht von den besten Teams ist sehr wertvoll.

Gerardo Seoane, was schätzen Sie besonders an Christoph Spycher?
Seine offene und menschliche Art.
Das sind zwei der wichtigsten Werte, die bei YB gelebt werden. Dazu kommt bei Christoph auch noch die Mischung aus Bodenständigkeit, Fachkompetenz, Teamgedanke, Ambition und Ehrgeiz.

Christoph Spycher, was imponiert Ihnen am meisten an Gerardo Seoane?
Das ist das gesamte Paket. Wir haben ein absolutes Vertrauensverhältnis. Gerry lebt jeden Tag Professionalität vor und versucht alles, um das Team und jeden einzelnen Spieler besser zu machen. Es ist beeindruckend, welchen Aufwand er auf sich nimmt.

Gerardo Seoane, eine Frage, die vielen YB-Fans auf der Zunge brennt. Bleiben Sie in Bern oder ziehen Sie weiter?
Ich bin glücklich bei YB und schätze sehr, was ich hier habe. Gleichzeitig ist es im Fussball schwierig, über eine lange Zeit zu planen. Meine Energie setze ich voll für das Hier und Jetzt ein. Aber jeder ambitionierte Schweizer Trainer zieht die Möglichkeit in Erwägung, irgendeinmal im Ausland zu arbeiten. Aber auch hier müsste das Gesamtpaket stimmen.

Christoph Spycher, Sie sind bekannt dafür, dass Sie immer eine Lösung bereithaben, wenn sich eine Vakanz ergibt. Wer wird Nachfolger von Gerardo Seoane, wenn dieser einem Angebot nicht widerstehen kann?
Wir sind glücklich mit Gerry, aber wissen, dass er nicht ewig bei YB bleiben wird. Doch die Frage nach dem Nachfolger wird sich erst stellen, wenn klar ist, dass er YB verlässt. Und das ist zum Glück nicht der Fall.

Christoph Spycher, wir wissen, dass Sie nicht über Interna sprechen und Transfers via Ihren Kommunikationsdirektor Albert Staudenmann erst an die Öffentlichkeit gelangen, wenn sie unterschrieben sind. Deshalb fragen wir nur nach einer Trendmeldung. Gibt es viele Abgänge und Zuzüge?
Das Transferkarussell dürfte in die-sem Jahr erst spät in Schwung kommen und sich in Anbetracht der Pandemie weniger schnell drehen als gewohnt. Stand heute gehen wir davon aus, dass es nicht allzu viele Wechsel geben wird.

Gerardo Seoane, Sie wurden vor kurzem nochmals Vater. Können Sie Windeln wechseln?
Selbstverständlich kann ich das!

Christoph Spycher. Ihre Buben sind dem Windelalter längst entwachsen. Haben Sie auch Windeln gewechselt?
Selbstverständlich tat ich das!

Pierre Benoit

Weitere Beiträge

Weitere Beiträge