Als David Wagner im Sommer 2021 seine neue Aufgabe als Cheftrainer der Young Boys antrat, war er sich sehr wohl bewusst, dass ihn kein Spaziergang erwartet. Seine Vorgänger Adi Hütter und Gerardo Seoane verliessen Bern als Meister.
Die Erwartungshaltung war dementsprechend hoch, im Verein, bei den Spielern und den Fans. Auch das war bekannt, doch mit einer Verletzungsserie, wie sie YB in der ersten Saisonhälfte erlebte, mussten weder die grössten Pessimisten noch der neue Trainer rechnen. Die häufigen Besuche von YB-Spielern in Spitälern, bei Ärzten und Physiotherapeuten sind denn auch der Hauptgrund, dass die Gelb-Schwarzen acht Punkte Rückstand auf den soliden Leader FC Zürich aufweisen und in der zweiten Saisonhälfte jetzt mit dem (hoffentlich) ganzen, vollzähligen Orchester, mit Pauken und Trompeten, zum Angriff blasen werden.
Nach dem letzten Spiel in Lugano gab es auch für Sie eine kurze Verschnaufpause. Wie haben Sie die Auszeit genutzt, konnten Sie den Fussball vorübergehend vergessen?
Ja, ich verbrachte mit meiner Familie eine Woche an der Sonne. Da konnte ich meine Batterien bestens aufladen. Das neue Jahr bei YB ging dann bereits am 3. Januar wieder mit dem Trainingsstart los.
Zwei zuletzt verletzte Spieler waren beim Trainingsstart in Quarantäne, das Trainingslager in Marbella wurde abgesagt, Nicolas Moumi Ngamaleu für Kamerun und Mohamed Ali Camara für Guinea weilen beim Afrika-Cup und Silvan Hefti zog nach Genua. Es gibt schon wieder viele Stolpersteine. Wie reagieren Sie und die Spieler?
Es ist unser Motto, stets das Beste aus der jeweiligen Situation zu machen. Im Vergleich zur Verletzungsserie in der Hinrunde haben wir nun viel kleinere Probleme. Wir freuen uns vor allem, dass zahlreiche verletzt gewesene Spieler wieder dabei sind. Und Ngamaleu und Camara wünschen wir am Afrika-Cup viel Erfolg, weil wir wissen, wie wichtig ihnen das Nationalteam ist.
Die Mannschaft wurde für meist gute Leistungen in der Champions League zu wenig belohnt – wo sehen Sie die Hauptgründe, dass nicht europäisch überwintert werden konnte?
Wir haben das intern genau analysiert. Auf diesem Niveau müssen wir uns immer am Limit bewegen, um überhaupt eine Chance auf Punkte zu haben. Und das ist uns praktisch in jedem Spiel gelungen. Unter dem Strich fehlte nur ein Tor im richtigen Moment und damit verbunden ein zusätzlicher Punktgewinn oder Sieg, um europäisch zu überwintern. Aber die Erfahrungen dieser Spiele bringen YB als Klub und jeden einzelnen Direktbeteiligten weiter. Von den Besten kann man am meisten lernen.
Wir hoffen, dass die Verletztenliste endlich ein Ende hat. Das grosse Kader ist für einen Coach aber auch eine Zwickmühle. Wie lautet ihr Plan, um in der Rückrunde alle Mann bei Laune zu halten?
Im heutigen Fussball braucht man ein grosses Kader mit ausgeprägtem Konkurrenzkampf, um erfolgreich sein zu können. Wir haben das mit den Spielern besprochen: Es geht für jeden Einzelnen darum, seinen Beitrag zu leisten, damit YB weiterhin Erfolg hat.
Ohne internationale Belastung und ohne Cup wird YB angreifen. Wir denken, dass das Aufholen des Acht-Punkte-Rückstands auf den FCZ eine lösbare Aufgabe ist. Sind Sie ebenso zuversichtlich wie wir?
Wir steigen ebenfalls sehr optimistisch in die zweite Saisonhälfte und werden alles dafür tun, den Titel zu verteidigen. Gleichzeitig darf man nicht ausser Acht lassen, dass sich der FCZ ein schönes Polster erarbeitet hat. 40 Punkte nach 18 Runden sind eine stolze Ausbeute. Zürich steigt als Favorit in die zweite Saisonhälfte. Aber wir glauben daran, Aussergewöhnliches zu schaffen – und sind auf jeden Fall angriffslustig.
Wir wissen, dass Sie nur ungern über einzelne Spieler sprechen. Eine Frage sei trotzdem erlaubt: Was sagen Sie zur Entwicklung von Fabian Rieder?
Er hat sich höchst erfreulich entwickelt und kann sich noch weiter steigern. Fabian Rieder ist ein Paradebeispiel für die gute Nachwuchsarbeit bei YB und die Integration eigener Junioren in die erste Mannschaft. Seit diesem Jahr gehören auch Lewin Blum und Aurèle Amenda zum Kader der ersten Mannschaft. Auch sie haben viel Potenzial.
Wie steht es nach sieben Monaten eigentlich um Ihre Kenntnisse im «Bärndütsch». Haben Sie schon Fortschritte gemacht?
Da kommen immer wieder neue Ausdrücke dazu; zuletzt waren es «schutte» und «hinech».
Pierre Benoit