Dank der 15-jährigen Berner Gymnasiastin Livia Maria Chiariello sorgt die sonst wenig beachtete Sportart auch für positive Schlagzeilen. Als 14-fache Schweizer Meisterin hat sie in den letzten vier Jahren jeden Wettkampf in der Schweiz gewonnen.
An internationalen Wettkämpfen schaffte sie es in Corbeil mit der russischen Weltspitze aufs Podest und konnte im Keulenfinal die amtierende Juniorinnen-Europameisterin aus Bulgarien hinter sich lassen. Mit einem in der Schweiz zuvor nie erreichten Wert von 20 Punkten (Keulen) und 19.2 Punkten (Ball) debütierte sie vor zehn Tagen am International Academic Wintercup in Sofia erfolgreich als Seniorin.
Beide Schwestern haben sich hohe Ziele gesteckt. Livia Maria träumt von einer Teilnahme an den Olympischen Spielen 2024 in Paris, ihre 12-jährige Schwester Sophia Carlotta möchte 2028 Olympia-Luft schnuppern.
Weshalb habt ihr den beschwerlichen Weg in die Rhythmische Gymnastik (RG) gewählt, eine Sportart, in welcher der Trainingsaufwand und die Entbehrungen riesig sind?
Livia Maria: Die Kindergärtnerin riet meinen Eltern einst, mich mehr auszulasten, etwa mit Sport und Musik. Ich sah RG-Videos und war sofort begeistert. Danach legte ich ein Jahr Pause ein, bis die Begeisterung erneut aufflammte.
Sophia Carlotta: Ich begleitete meine Eltern zu Livias Training und wollte auch mitmachen. Ich musste beinahe angebunden werden, damit ich nicht in die Halle stürmte.
Was fasziniert euch an der RG besonders?
Livia: Die Mischung aus Sport und künstlerischen Elementen. Die Eleganz, die Interpretation der Musik, das Zusammenspiel von Gerätetechnik und Artistik, aber auch die physische und mentale Arbeit, über sich hinauszuwachsen, sich mit anderen zu vergleichen und festzustellen, dass ich Fortschritte erziele. Körper, Kopf und Seele müssen eins sein, um Höchstleistungen zu erzielen.
Sophia: Die Übungen dauern 90 Sekunden und sind begleitet mit Musik. Neben den technischen Elementen der Geräte- und Körpertechnik, geht es um die Interpretation der Musik. Ich möchte das Publikum mit auf eine Reise nehmen und Emotionen wecken.
Wie kommt ihr mit dem riesigen Aufwand mit Schule, Training und Fahrten nach Biel zurecht?
Livia: Ich gehe im Gymnasium Neufeld in die Sportklasse, kann statt vier fünf Jahre aufwenden und gehe sehr gerne zur Schule. Die Schule begegnet mir als Sportlerin mit Interesse und Wertschätzung, was mir sehr viel bedeutet. Die Fahrten nach Biel mache ich entweder mit dem Zug oder mit einem Elternteil. Wichtig ist die Freude an der Sache, die Begeisterung, die Möglichkeit, sich stets zu verbessern und hohe Ziele anzustreben. Dass dies bisher gelungen ist, verdanke ich der Unterstützung des Vereins (RG/Gym TV Länggasse), des Leistungszentrums (RLZ Biel und Region) und des Verbands (STV).
Sophia: Der Aufwand ist kein Problem. Die Freude an der Bewegung mit Musik, an den Fortschritten, das fasziniert mich. Ich besuche die Schule in der Laubegg, die mich seit Jahren unterstützt und kann für die Fahrten oft mit meiner Schwester hin- und herpendeln.
Die Junioren-Europameisterschaften in Kiew fanden ohne dich statt, weil der Verband das Risiko wegen Covid-19 zu hoch einstufte. Wie gross ist die Enttäuschung?
Livia: Ich war sehr enttäuscht, für mich wäre es eine gute Möglichkeit gewesen, mich auf höchstem Niveau mit anderen zu vergleichen und meine Fortschritte bestätigen zu können.
Dank Gymnastinnen wie euch gewinnt der Sport auch in der Schweiz an Popularität. Ihr habt euch sportlich hohe Ziele gesteckt. Wie sehen diese aus?
Livia: Ich strebe die Teilnahme an internationalen Turnieren ebenso an wie die Welt- und Europameisterschaften. Und dann stehen selbstverständlich die Olympischen Spiele 2024 in Paris ganz oben auf meiner Prioritätenliste. Das grösste Ziel ist es, jeden Tag aufs Neue das Beste zu geben.
Sophia: Die Olympischen Spiele 2024 kommen für mich etwas zu früh, doch 2028 möchte ich dabei sein. Vorher will ich mich ständig verbessern und an internationalen Turnieren und Welt- und Europameisterschaften gute Resultate erzielen.
Pierre Benoit