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«Den Menschen sehen, nicht die Krankheit»

Rahel Kunz ist Geschäftsleiterin von Alzheimer Bern. Im Gespräch erklärt sie, wie man die Krankheit erkennt und was man tun kann, um mit ihr dennoch gut zu leben.

Wann und woran merke ich, ob ich Alzheimer habe resp. an Demenz leide?
Rahel Kunz: Man merkt es als erstes, wenn die alltäglichen Dinge nicht mehr so reibungslos von der Hand gehen. Dass das Gewohnte nicht mehr gewohnt ist. Gleichzeitig kann es sein, dass man Sprachstörungen entwickelt. Die Worte nicht mehr findet und nach ihnen sucht. Auch ein fehlender Orientierungssinn ist ein Symptom. Viele haben das Gefühl, dass sie sich Namen nicht mehr merken können. Damit aber eine beginnende Demenz erklärt werden kann, müssen mehrere dieser Faktoren zusammenkommen.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Alzheimer und Demenz?
Demenz ist der Überbegriff. Das wird oft verwechselt. Alzheimer ist eine Art der Demenz und am meisten verbreitet.

Wie gehe ich damit um, wenn ein Familienmitglied an Alzheimer leidet?
Wichtig ist der Grundsatz: die Person als Mensch sehen und nicht die Krankheit. Wahrzunehmen, was sich verändert hat, was nicht mehr geht, was aber noch möglich ist. Dabei muss man aufpassen, dass man die Personen nicht bevormundet. Hinzu kommt, dass man lernen muss, mit den Unsicherheiten der Betroffenen umzugehen. Die Betroffenen sollen so weit wie möglich im Alltag integriert bleiben. Bewegung ist da beispielsweise etwas sehr Gutes. Weiter ist wichtig, die Personen nicht zu überfordern. Man sollte den Alltag in ihrem Tempo gestalten. Demenzkranke Personen drücken sich viel über ihre Körpersprache aus. Daran kann man oft schon sehr gut erkennen, ob sie gut oder schlecht drauf sind.

Gibt es Dos und Dont’s im Umgang mit Demenzkranken?
Bevormundung und Überforderung sollten auf jeden Fall vermieden werden. Das eigene Bedürfnis über das der Betroffenen stellen, ist auch problematisch. Ein Do ist sicherlich Musik. Sie stimuliert demenzkranke Menschen. Bewegung ist auch hilfreich. Allgemein hilft alles, was diese Personen mit früher in Verbindung bringen, sofern dies mit positiven Erinnerungen verknüpft ist.

Da muss man sehr empathisch sein.
Ja, das ist so.

Das ist schwierig, oder?
Ja, denn das Rollenbild wechselt. Wenn man beispielsweise einen Ehepartner hat, der sein ganzes Leben lang selbstständig war und man sich nun um sie oder ihn kümmern muss, ist das eine grosse Veränderung und Belastung. Das geht manchmal schon in den Bereich der Pflege. Entsprechend raten wir, dass man sehr früh in unsere Beratung kommt und Hilfe in Anspruch nimmt.

Ist Alzheimer nur eine Alterskrankheit?
Die Mehrheit der Menschen mit Alzheimer ist tatsächlich älter. Das Alter ist ein Risikofaktor. Natürlich gibt es Fälle, in denen jüngere Menschen bereits vor dem Pensionsalter betroffen sind. Das kommt aber weniger häufig vor.

Wie viele Menschen sind in Bern betroffen?
Im Kanton Bern sind 20 350 Menschen von Demenz betroffen. Davon nehmen die Frauen den grösseren Prozentanteil ein. Aber es gibt sicherlich eine recht hohe Dunkelziffer. Das liegt daran, dass es in gewissen Regionen viel weniger Thema ist, sich mit Demenz auseinanderzusetzen und entsprechend wird damit meist innerhalb der Familie umgegangen – ohne Hilfe.

Unterscheidet sich Bern in Sachen Alzheimer von anderen Städten?
Von den Angeboten gibt es wesentliche Unterschiede, da nicht jede Sektion gleich viel Ressourcen zur Verfügung hat. Wir sind ein grosser Kanton und kommen direkt nach Zürich. In der Stadt geht man eher offener mit dem Thema Demenz um als in ländlichen Regionen.

Führen Alkohol- oder Tabakkonsum eher zu Alzheimer?
Es gibt gewisse Lebensstile, die eine Demenz fördern können. Dazu gehören auch Tabak und Alkohol. Gerade ein Missbrauch kann dazu führen, eine Demenz zu entwickeln. Wir reden hier nicht von einem Glas pro Tag, sondern von einem übermässigen Genuss.

Muss ich Angst haben, ebenfalls zu erkranken, wenn meine Mutter oder mein Vater bereits Alzheimer hatte?
Wenn innerhalb der Familie mehrere Personen – und vor allem in jungen Jahren – an Demenz erkrankt sind, besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Diese genetische Variante kommt aber selten vor. Nur weil jemand erkrankt ist, muss man nicht zwangsläufig auch erkranken.

Sie sagen, dass Sie sich für den Schutz und die Achtung der Würde Betroffener einsetzen. Wie genau darf man das verstehen?
Wir nehmen die Betroffenen mit ihrem Umfeld wahr. Die Leute kommen meist zu uns, wenn sie der Grenze nah sind, wenn es kurz vor der Eskalation steht, da sie oft überfordert sind. Unser Ziel ist es, dass die betroffenen Personen so lange wie möglich daheimbleiben können. Es kann sein, dass der Betreuer aussteigt, weil er überfordert ist, oder der oder die Betroffene, weil er oder sie mit der Situation einfach unglücklich ist. Das kann man vermeiden, wenn man die Situation analysiert und herausfindet, welche Massnahmen sinnvoll sind.

Was umfasst Ihr Angebot?
Wir vermitteln zwischen verschiedenen Institutionen und den Betroffenen sowie deren Umfeld. Gleichzeitig haben wir selbst Angebote. Diese beinhalten Informationen und Beratung – unsere Kernkompetenzen. Zusätzlich haben wir Freizeitangebote für Betroffene und Gesprächsgruppen für Angehörige, ganz wichtig als Entlastung im Alltag.

Wie sind Sie organisiert?
In Bern ist unsere Geschäftsstelle, in Thun, Biel und Huttwil gibt es Regionalstellen. Alzheimer Schweiz ist unsere Dachorganisation, daran angeschlossen sind 21 Sektionen. Jeder Kanton hat seine eigene Sektion, die allerdings alle sehr unterschiedlich aufgestellt sind, dennoch das gleiche Jobprofil haben: Beratungen,Informationen zum Thema Demenz, Schulungen, Netzwerken.

Wie finanzieren Sie sich?
Wir haben einen Leistungsvertrag mit dem Kanton, auf den wir sehr angewiesen sind. Weiter finanzieren wir uns mit Spenden und Mitgliedsbeiträgen.

Wie zufrieden sind Sie mit der Auslastung Ihrer Organisation?
Sehr. Wir haben alle Regionalstellen pensumsmässig auf 50 Prozent aufgestockt und das hat direkt gewirkt. Durch die höhere Präsenz erreichen wir viel mehr Menschen, die unsere Hilfe sowie Unterstützung in Anspruch nehmen. Den Menschen muss die Hemmschwelle genommen werden, sich bei uns zu melden. Dazu benötigt es Öffentlichkeitsarbeit. Das Wichtige ist wirklich, dass man sich anschickt und Hilfe holt und sich um Unterstützung bemüht, denn das macht den Betroffenen und deren Umfeld das Leben definitiv einfacher.

Dennis Rhiel

Rahel Kunz (45) hat ihre Ausbildung in der Hotellerie absolviert und Weiterbildungen im Altersbereich gemacht. Kunz ist seit August 2021 Geschäftsleiterin von Alzheimer Bern. Sie lebt mit ihrer Familie in Rubigen und ist in ihrer Freizeit gerne in der Natur.

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