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«Eine so grosse Vielfalt gab es noch nie»

Schweizer Modelabels galten noch bis vor kurzem als unsexy. Das hat sich mittlerweile stark geändert. Zum Glück, finden Laufmeter-Chefin Michaela von Siebenthal sowie die beiden Berner Designerinnen Debora Rentsch und Carla Lehmann.

Debora Rentsch und Carla Lehmann, was verstehen Sie unter nachhaltiger Mode?
Debora Rentsch: Am nachhaltigsten ist es ganz generell, wenn ein Kleidungsstück lange getragen wird. Die Lebensdauer ist entscheidend.
Carla Lehmann: Für mich geht es auch darum, dass sich in einem Schrank auserlesene Stücke finden – und diese bewusst gekauft wurden. Das Kleidungsstück soll unter fairen Bedingungen produziert worden sein und aus guten Materialen bestehen.

Wie wichtig ist der regionale Aspekt? Ist es okay, wenn eine Hose oder eine Bluse in Frankreich oder Bangladesch produziert wurde?
Rentsch: In meinem Fall ist das gar kein Thema, da ich alles selber anfertige. Was die Nachhaltigkeit anbetrifft, spielt die Qualität eine entscheidende Rolle. Und selbstverständlich die Arbeitsbedingungen.
Lehmann: Nein, die Hose muss nicht zwingend in der Schweiz hergestellt worden sein. Bei Fast Fashion besteht allerdings die Gefahr, dass man stets neue Sachen kauft und sie ein- oder maximal zweimal trägt, vor allem, weil sie so billig sind. Unsere Kleider hingegen kosten mehr, da besteht
diese Gefahr kaum.

Michaela von Siebenthal, wie nachhaltig ist Laufmeter als Event?
Michaela von Siebenthal: Wir möchten Schweizer Mode fördern und unterstützen. Die präsentierten Kleider werden samt und sonders hier designt, teilweise aber im Ausland, in Europa, produziert. Das passiert oftmals aus Kostengründen.

Das geht für Sie in Ordnung?
Von Siebenthal: (Überlegt) Eine schwierige Frage. In unserem Laufmeter-Onlineshop etwa informieren wir transparent, woher die Stücke stammen und wie sie produziert werden – hier sind wir auf die Informationen der Labels angewiesen. Die Konsumentinnen und Konsumenten können dann selber entscheiden, ob sie das Kleidungsstück kaufen möchten oder nicht.

Wer nachhaltige Mode kauft, galt noch bis vor kurzem als linker Öko.
Von Siebenthal: Die Schweizer Mode stand lange im Ruf, ich formuliere es jetzt absichtlich etwas zynisch, bloss handgestrickte Wollpullis anzufertigen. Mittlerweile hält sie locker mit internationalen Marken mit. Einzig Labels für Männer sind untervertreten, da sie sich schlechter verkaufen lassen – ansonsten gibt es tolle Brands.
Lehmann: Während Corona lag der Fokus mehr auf dem Lokalen. Das Regionale erhielt eine deutlich höhere Wertschätzung. Von Siebenthal: Das lag namentlich an den Lieferengpässen: In der Schweiz zu produzieren galt als sicherer.

Nachhaltige Kleider mögen toll sein – nur kann sie sich längst nicht jeder leisten.
Rentsch: Ja, unsere Produkte sind teurer, das ist richtig. Trotzdem: Wer nachhaltig Mode konsumieren will, kann selbst mit kleinem Budget Schönes kaufen: Secondhand-Ware zum Beispiel, man kann in die Brocki gehen, tauschen oder selber etwas anfertigen. Meine Kundinnen etwa sind 30 oder älter und sparen teilweise für bestimmte Stücke.
Lehmann: Schweizer Mode hat ihren Preis. Dennoch kommen auch jüngere Kundinnen zu mir – sie kaufen normalerweise Secondhand, gönnen sich aber dann ab und zu etwas Teureres. Anstatt fünf Strickpullis bei H & M leistet sich jemand einen hochwertigen Strickpulli für 250 Franken.
Von Siebenthal: Oft wird vergessen, dass sich solche Kleider schenken lassen.

Sie beide leben von diesem Job?
Rentsch: Ja, ich bin nun seit über zehn Jahren selbstständig.
Lehmann: Mein Label startete 2019, daneben arbeitete ich weiterhin als angestellte Designerin. Seit 2021 bin ich komplett selbstständig.

Sie würden nie auf die Idee kommen, bei H & M einzukaufen?
Von Siebenthal: Ich habe früher auch bei H & M eingekauft, einige Teile davon gehören noch heute zu meinen Lieblingskleidern. Es gibt eine magische 30er-Grenze für nachhaltigen Kleiderkauf: Wer ein Kleid sieht und bereits weiss, dass er oder sie es weniger als 30 Mal trägt, sollte die Finger davon lassen.

Es heisst, auf die Laufmeter-Besuchenden warte eine Überraschung.
Von Siebenthal: Wir führen dieses Jahr in den Gassen offiziell keine Modeshows durch. Wer am Samstag um 11 oder um 14 Uhr vorbeischaut, wird trotzdem etwas Schönes zu sehen
bekommen.

Ihre Models sind keine Hunger­haken?
Von Siebenthal: Die Labels sollen natürlich aussehende Frauen aufbieten und zeigen, das ist um einiges charmanter.

Dachten Sie nie daran, einen «Star» einzuladen, Tamy Glauser zum Beispiel?
Von Siebenthal: Das war nie die Idee. Bei einem Label wurde kürzlich dar­über diskutiert, Frauen zu engagieren, die bei einer Agentur unter Vertrag stehen. Man hätte sie aber nirgends öffentlich fotografieren dürfen – deswegen sahen wir sofort von einer Verpflichtung ab.

Ich rede hier mit drei Frauen – kommen beim Laufmeter auch Männer auf ihre Kosten?
Von Siebenthal: Ein wichtiger Punkt. Diesmal nehmen nur Labels teil, die Mode für Frauen anbieten. An unserem Laufmeter-Stand im Kornhausforum stehen hingegen tolle Stücke für Männer bereit.

Wann ist Laufmeter 2023 für Sie ein Erfolg?
Von Siebenthal: Wenn die Labels und unsere Gäste happy sind. Ich bin sehr gespannt, habe ehrlicherweise etwas Schiss nach der Pandemie – der Corona-Schreck steckt immer noch etwas in den Knochen.
Rentsch: Wenn ich schöne Begegnungen erlebe und meine Kleider an meinen Kundinnen sehe.
Lehmann: Wenn ich die Menschen sehe, wie sie die Kleider in all ihren unterschiedlichen Farben und Formen tragen. Wenn sie meine Stücke dann noch kaufen – umso besser (lacht).

Was überlegen Sie sich für den Laufmeter 2024?
Von Siebenthal: Ob es nächstes Jahr wieder eine Modeschau «uf dr Gass» gibt, entscheiden wir im Herbst dieses Jahres. Yves Schott

INFO

Laufmeter ist ein Fashion-Event, der einheimische Mode im Sinne der Nachhaltigkeit fördern will. Er findet dieses Jahr am 6. und 7. Mai im Kornhausforum statt, der Eintritt ist gratis. Mehr Infos unter laufmeter.ch.

ZAHLEN

Im Schnitt hängen in der Schweiz 118 Kleidungsstücke in einem Schrank, pro Jahr kommen 60 neue dazu. Jedes Jahr werden zudem 6,3 Kilo Altkleider pro Person weggegeben, wie der «Blick» berichtet. Laut Fashion Revolution Schweiz werden 40 Prozent der Kleider nie oder nur zwei- bis viermal getragen. Eine weitere spannende Zahl: Die Modeindustrie produziert je nach Quelle zwischen 1,2 und 1,7 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen – das sind mehr als Luft und Schifffahrt zusammen.

PERSÖNLICH

Debora Rentsch ist selbstständige Mode-Designerin und -Produzentin. Ihr Label existiert seit 2009, sie betreibt zusammen mit zwei Frauen den Laden Ooonyva in der Münstergasse. Carla Lehmann ist gelernte Fashion-Designerin, seit 2019 selbstständig und betreibt das Label Sode. Zusammen mit weiteren Schweizer Labels führt sie den Mint Store Bern in der Postgasse. Michaela von Siebenthal war beim Migros-Kulturprozent zwanzig Jahre lang als Projektleiterin tätig. 2013 gründete sie Laufmeter. Seit 2019 wird der Modeevent mit Unterstützung des Migros-Pionierfonds veranstaltet.

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