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Alec von Graffenried: «Ich war ziemlich überrascht»

Alec von Graffenried weibelt für die Fusion von Bern und Ostermundigen. Im Interview erklärt er, ob er bei einem Ja seinen Amtskollegen trösten muss und wie er auf die Haltung des Ostermundiger Gemeinderats reagiert hat.

Alec von Graffenried, auf einer Skala von 1 bis 10: Wie schade wäre es, wenn Ostermundigen nicht mit Bern fusionieren würde?
Eine verpasste Chance, sehr schade, eine glatte 10.

Nennen Sie drei Gründe, die jeden noch so skeptischen Fusionsgegner respektive Fusionsgegnerin überzeugen.
1. Tiefere Steuern.
2. Bessere Leistungen.
3. Günstigere Perspektiven für beide Gemeinden.

Bis 1894 war Bern grösser als Zürich. 1919 fusionierte die Stadt Bern einzig mit Bümpliz, obwohl der Kanton eine Eingemeindung wie in Zürich forderte. Zürich fusionierte 1894 und 1934 mit seinen 20 Nachbar­gemeinden. Das Resultat können Sie heute sehen. Einmal einen Fehlentscheid zu treffen ist erlaubt. Aus Fehlern in der Geschichte sollte man aber die richtigen Lehren ziehen.

Ganz ehrlich: Wie gut kennen Sie Ostermundigen?
Als ehemaliger Regierungsstatthalter, Bärnfan und Velofahrer kenne ich alle Gemeinden rund um Bern sehr, sehr gut. Ostermundigen kenne ich noch etwas besser, weil ich nur 500 Meter neben der Gemeindegrenze wohne.

Haben Sie in Ostermundigen eine Art «Lieblingsort» oder verbindet Sie sonst etwas Spezielles mit dieser Gemeinde?
Ich habe in der Pfadi im Steinbruch Abseilen geübt. Später war ich an unzähligen Sitzungen und Versammlungen im früheren Bären und bei der Feuerwehr an der Forelstrasse; ich half, mehrere Überbauungen in Ostermundigen zu ermöglichen. Für meine Kinder war das Freibad Ostermundigen die nächste Badi. Wo ich unbedingt einmal hin möchte, ist die Schmitte an der Oberdorfstrasse: Ich habe es noch nie geschafft, dort essen zu gehen. Immer, wenn ich anfrage, ist schon ausgebucht.

Was macht Ostermundigen besser als Bern?
Ostermundigen hat den besseren Sandstein.

Was macht Bern besser als Ostermundigen?
Bern macht mehr aus dem Ostermundiger Sandstein.

Und jetzt ernsthaft?
Ostermundigen hatte nach der Trennung von Ittigen und Bolligen vor 40 Jahren sehr schwierige Rahmenbedingungen. Die Gemeinde hat sich seit der Aufhebung der Schiessanlage Oberfeld vor 20 Jahren aber hervorragend aus dieser schwierigen Lage befreit. Nach einer Fusion mit der Stadt wird Ostermundigen die Vorteile der Fusion voll ausspielen können.

Wenn Ostermundigen Ja sagt zur Fusion: Müssen Sie Ihren Mundiger Amtskollegen Thomas Iten dann trösten oder ihm zuprosten?
Ich werde ihm gratulieren und zum Dank einen richtig guten Wein schenken, denn ohne seinen riesigen Einsatz und seine Leadership wäre das nie gelungen.

Wird Thomas Iten bei einem Fu­sions-Ja Ihr «Untertan» oder erhält er einen ebenso feudalen Amtssitz wie Sie?
Untertanen gibt es in Bern seit 225 Jahren nicht mehr. Über seine Pläne kann nur Thomas Iten etwas sagen.

Hand aufs Herz: Sind Sie nicht etwas enttäuscht, dass der Ostermundiger Gemeinderat kein klares Ja zur Fusion aussprach?
Ich war ehrlich gesagt ziemlich überrascht, vor allem nach der ganzen riesigen gemeinsamen Büez. Heute halte ich das Vorgehen für konsequent: Der Gemeinderat hat treuhänderisch einen Auftrag des Parlaments ausgeführt, jetzt gibt er diesem ein Top-Verhandlungsergebnis zurück und sagt: Voilà, jetzt könnt ihr beziehungsweise die Bevölkerung entscheiden.

Was ändert sich bei einem Ja zur Fusion für Bern, was ändert sich für Ostermundigen?
Da muss man ehrlich sein: Die Fu­sion bringt den einzelnen kurzfristig nichts, ausser, dass in Ostermundigen die Steuern sinken. Berner wie auch Mundiger:innen werden am 1. Januar 2025 aufwachen und keine Änderung merken. Die Fusion bringt aber der ganzen Region Bern einen langfristigen Nutzen.

Haben bei Ihnen bereits einige links-grüne Stadträtinnen und Stadträte angeklopft, weil sie befürchten, dass der Stadtrat bei einer Fusion bürgerlicher wird?
Nein. Ich glaube, die Befürchtung wäre unbegründet. Die Stadt und ihre Nachbargemeinden gleichen sich politisch immer mehr an. Das ist ja auch kein Wunder, wohnen doch die gleichen Menschen in Stadt und Agglomeration. Zehn Prozent zügeln jedes Jahr in die eine oder andere Richtung über die Gemeindegrenzen zwischen der Stadt und ihren Nachbargemeinden. Ich vermute, dass wohl fast ein Viertel der Ostermundiger:innen auch schon einmal in der Stadt gewohnt haben.

Müsste Ostermundigen nicht einen fixen Sitz im Berner Gemeinderat erhalten, was allerdings nicht der Fall ist?
Nein, kein Stadtteil hat Anspruch auf eine Vertretung im Gemeinderat. Bei uns sind nie alle sechs Stadtteile im Gemeinderat vertreten.

Ihr Tipp, wie die Abstimmungen in Bern und Ostermundigen am 22. Oktober ausgehen?
In Bern wird die Fusion deutlich angenommen, für Ostermundigen weiss ich es nicht. Die nächsten Monate werden entscheiden.

Yves Schott

PERSÖNLICH

Alec von Graffenried, geboren am 16. August 1962, ist seit 2017 Berner Stadtpräsident. Zuvor war er von 2007 bis 2015 Nationalrat der Grünen, er amtete als Berner Regierungsstatthalter, Präsident von Bern Tourismus und als Rechtsanwalt. Seine beiden Eltern Ruth und Peter verstarben früh (1984 und 1971). Von Graffenried ist verheiratet, hat vier Kinder und wohnt im Murifeld.

DARUM GEHT ES

N Ch12 16x9 FarUnter dem Titel «Kooperation Bern» klärten die Gemeinden Bern, Bolligen, Bremgarten, Frauenkappelen, Kehrsatz und Ostermundigen Möglichkeiten vertiefter Zusammenarbeit ab. Nach der Erstellung einer Machbarkeitsstudie und einer breit geführten Konsultationsphase entschieden sich Bern und Ostermundigen Ende 2020, Fusionsverhandlungen aufzunehmen. Die weiteren Gemeinden stiegen aus dem Projekt aus. Seit Anfang 2021 laufen nun die eigentlichen Fusionsverhandlungen zwischen den beiden Gemeinden. In den Parlamenten ist die Fusion am 1. Juni (Bern) respektive am 29. Juni (Ostermundigen) traktandiert. Die Abstimmungen dazu finden am 22. Oktober statt.

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