«Hallo Velo!» – am Sonntag huldigen zwischen Bern und Münsingen auf 40 Kilometern über 20 000 Menschen dem Zweirad.
Der Bärnerbär sprach mit der Ideenund Taktgeberin Franziska Teuscher und dem Gesamtprojektleiter Fränk Hofer über das Berner Velofestival und die «kleine Königin». Aber auch über Hugo Koblet, Fabian Cancellara, die Velo-Offensive der Stadt Bern und den Respekt gegenüber den Auto- und Motorradfahrern.
Franziska Teuscher, welche Schweizer haben die Tour de France gewonnen?
Die Namen kenne ich nicht, das ist aber leider schon eine ganze Weile her, oder?
Stimmt, der letzte helvetische Sieg an der «Grande Boucle» ist 67 Jahre her. Ferdy Kübler setzte sich 1950 durch. Hugo Koblet gewann 1951.
Genau. Über Koblet gibt es ja den Film mit dem schönen Namen «Pédaleur de Charme».
Wissen Sie, wer der amtierende Olympiasieger im Einzelzeitfahren ist?
Aber klar doch, das ist Fabian Cancellara!
Welches ist Ihr Lieblingsvelo, Fränk Hofer?
Mein Mountainbike. Die Wahl fällt mir nicht leicht; ich bin durch und durch Velofan und besitze viele «kleine Königinnen». Die Franzosen nennen das Velo so und beweisen auch hier ihre Fähigkeit zur Alltagspoesie.
Und Ihres, Franziska Teuscher?
Ich habe nur ein Velo, die Frage kann ich entsprechend schnell beantworten. Ich fahre mit meinem Damenvelo an die Arbeit in die Altstadt und benutze es auch in der Freizeit.
Welches ist Ihre Lieblingsstrecke?
Franziska Teuscher: Bereits als Präsidentin des Verkehrs-Club der Schweiz betonte ich stets, dass wir den Velos den roten Teppich ausrollen sollen. Dank der vom Gemeinderat im Herbst 2014 lancierten Velo-Offensive verfügt Bern mittlerweile über viele gut ausgebaute und gesicherte Velostrecken. Ich geniesse beispielsweise die Velo-Hauptroute Lorraine-Nordring-Wankdorf. Dort finde ich zwischen den Autos und den Randsteinen genügend Platz und fühle mich sicher. Sehr schön ist auch die Strecke von meinem Wohnquartier Länggasse via Viererfeld ins Rossfeld und zurück. Dort hat es ebenfalls gute Velospuren. Ich kann das prächtige Panorama mit der Stadt und den Alpen während des Fahrens geniessen. Fränk Hofer: Technisch schwierige Strecken im Wallis fahre ich besonders gerne.
Was ist Ihr bisheriges Meisterstück auf dem Velo?
Franziska Teuscher: Ich war stets eine Alltagsvelofahrerin ohne sportliche Ambitionen. Das gilt auch heute noch. Als Kind erlernte ich das Velofahren im Brückfeld in einem baumreichen Garten auf einem viel zu grossen Damenvelo. Das war anspruchsvoll. Dank der dort erlernten Geschicklichkeit fühle ich mich noch heute sehr sicher auf dem Velo. Selbst tückische Manöver bringen mich nicht aus der Fassung. Das ist zwar kein Tour-de-France-Sieg, bringt mir aber im Alltag sehr viel. Fränk Hofer: Auf dem Koba-Trail von meinem Freund Jan Koba erlebte ich eine Sternstunde. Der Trail ist eine äusserst anspruchsvolle Teststrecke.
Welche Bedeutung hat das Velo in der Gesellschaft, Franziska Teuscher?
Eine sehr grosse. Und zwar aus mehreren Gründen: Das Velo ist schnell, einfach abgestellt und abgeschlossen, sehr umweltfreundlich, geräuschlos, kostengünstig und erst noch gesund. Wer das Velo in seinen Alltag einbaut, spart sich den Besuch des Fitnesscenters. Insbesondere in den Städten gibt es keine griffigen Argumente gegen den Gebrauch der Velos. Haben Sie gewusst, dass in der Schweiz jede zehnte Autofahrt kürzer als ein Kilometer ist? Und jede dritte weniger lang als drei Kilometer? Genau für diese Distanzen ist das Velo ideal.
Weshalb braucht es für die Velofahrer auch in Bern weitere Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur?
Velofahrerinnen und Velofahrer sind nicht durch Carrosserie, Airbags und Sicherheitsgurte geschützt, daher sind für sie sichere Verkehrswege ganz besonders wichtig. Leute, die neu mit Velofahren beginnen, sind zudem im Verkehr schnell verunsichert. Ich denke da insbesondere auch an die Kinder. Umso mehr, weil verschiedene Studien zeigen, dass die Mädchen und Knaben ihre Velos heute weniger benützen als vor zehn Jahren.
Bern will mit der Velo-Offensive zur Velo-Hauptstadt werden. Kommt Bern diesem Ziel näher?
Auf jeden Fall! Neben den erwähnten Radwegen kümmert sich die Stadt auch um den Ausbau der Veloparkplätze. Weiter funktioniert seit Juni das Veloverleihsystem Publibike auch in Bern. Das war höchste Zeit. Die Möglichkeit, ein Velo an verschiedensten Standorten ausleihen zu können, ist für viele Menschen enorm praktisch. Entsprechend gut nutzen sie das neue Angebot.
Ist das Berner Velofestival «Hallo Velo!» Teil der städtischen Velo-Offensive?
Nein, obwohl es thematisch ideal dazu passt und bereits in seiner ersten Austragung 2017 dank 15000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein Riesenerfolg war. Die Geschichte von «Hallo Velo!» begann mit dem slowUp – den autofreien Erlebnistagen. Wir wollten in und um Bern ebenfalls einen solchen Tag durchführen. Leider genügte unser Streckenvorschlag den Ansprüchen der Organisatoren nicht. Auch weil wir nicht durchgehend asphaltierte Abschnitte bieten konnten. Dies ist aber bei den slowUp-Veranstaltungen wichtig, weil an diesen bekanntlich auch viele Inline-Skater teilnehmen. Wir aber blieben hartnäckig, gell Fränk …? Fränk Hofer: …das stimmt Wir waren von unserem Rundkurs begeistert und machten gemeinsam mit den beteiligten Gemeinden aus der Not eine Velo-Tugend. Wir entschieden, dass unsere Strecke ausschliesslich mit Velos befahren wird. So entstand die Idee für ein Velofestival. Um Bern als Velohauptstadt zu positionieren, ist «Hallo Velo!» der deutlich bessere Event. Franziska Teuscher: Genau. Wir sagten uns: Lasst uns lieber das erste «Hallo Velo!» der Schweiz feiern, anstatt zum 20. slowUp-Austragungsort zu werden.
Wie beteiligen sich die Gemeinden am Velo-Festival?
Fränk Hofer: Die Berechnungsformel ist einfach: Jede Gemeinde bezahlt pro Einwohner einen Franken. Allmendingen steuert deshalb 500 Franken und die Stadt Bern 140000 Franken an das Velo-Festival bei.
Wer hatte die Idee, den slowUp nach Bern zu bringen?
Franziska Teuscher: Das waren der Leiter des Sportamtes, Christian Bigler, und ich. Als Präsidentin von ProVelo Bern durfte ich den slowUp Murten eröffnen. Ich war hell begeistert und sagte mir, dass so etwas auch in und um Bern stattfinden sollte. Ich denke, dass ich mit diesem Gedanken schon damals nicht alleine war. Zudem erhielt ich von Christian Bigler rasch genauso viel Schub wie von Beat Moser, dem Gemeindepräsidenten von Münsingen sowie von Fränk Hofer. Beat Moser scharrte die Vertreter der südlichen Gemeinden des Rundkurses um sich. Wir diejenigen aus der Agglomeration. Dieses velobegeisterte Konglomerat wuchs dann sehr schnell zu einer Einheit zusammen.
Weshalb führt die Route eigentlich nach Münsingen?
Fränk Hofer: Auch hier konnten wir von der Basisplanung für den slowUp profitieren. Wir hatten eine möglichst schöne und flache Strecke vorzuschlagen, die auch für Familien mit kleinen Kindern geeignet ist. Zudem sollte die Strecke mindestens 30 Kilometer lang sein. Bei kurzen Strecken droht vielen Teilnehmenden Stau.
War die Tour-de-France-Etappe nach Bern für Sie ein Türöffner?
Fränk Hofer: Auf Seiten der Bevölkerung sicher schon. Denn die Etappe zeigte die Faszination des Radsports. Die Behörden aber waren traumatisiert. Wir mussten insbesondere der Polizei klarmachen, dass wir eine viel kleinere Kiste sind und kaum Anforderungen stellen.
Velobegeisterung hin oder her: Können Sie, Frau Teuscher, nachvollziehen, dass es Autofahrer gibt, die mit der Velo-Offensive der Stadt Mühe bekunden?
Es werden ja auch gezielt Autoparkplätze umgenutzt. Nein, das kann ich nicht nachvollziehen. Das Auto trägt sehr stark zum Klimawandel bei, das Velo hingegen nicht und braucht zudem viel weniger Platz. Das ist gerade in einer Stadt sehr wichtig. Real betrachtet hat das Fahrrad im Stadtverkehr immer noch einen kleinen Stellenwert. Es geht vor allem auch darum, den in den nächsten Jahren auf uns zukommenden Mehrverkehr aufs Velo zu bringen. Die Mobilität wird weiter zunehmen, in Bern werden gemäss Stadtentwicklungskonzept bis 2030 15000 zusätzliche Menschen leben.
Was ist mit den Menschen, die auf ein Auto angewiesen sind?
Franziska Teuscher: Die werden auch davon profitieren, wenn der motorisierte Verkehr nicht weiter zunimmt. Ich denke da nicht nur an alte und gehbehinderte Menschen, sondern auch an all jene, die wichtige Transporte auszuliefern haben.
Haben Sie ein Problem mit Auto- und Motorradfahrern?
Nein. Der gegenseitige Respekt ist auch im Verkehr wichtig. Genauso, wie es Autofahrern nicht schadet, mit dem Velo unterwegs zu sein, können auch Velofahrer davon profitieren, wenn sie in einem Auto oder auf einem Motorrad die Perspektive der motorisierten Verkehrsteilnehmer kennen lernen. Nicht nur rüpelhafte Autofahrer, auch rüpelhafte Velofahrer sind aus meiner Sicht ein Ärgernis.
Für «Hallo Velo!» arbeitet die Stadt mit den Gemeinden Köniz, Kehrsatz, Belp, Allmendingen, Rubigen und Münsingen zusammen. Ist dies ein Musterbeispiel dafür, dass die Stadt irgendwann mit den Agglomerationsgemeinden fusionieren sollte, Frau Teuscher?
Wir Gemeindepolitikerinnen und -politiker sollten nicht nur bis an die Gemeindegrenzen denken. Zusammenarbeit und Vernetzung sind wichtiger denn je. Dies gilt global genauso wie auf nationaler, kantonaler und eben auch auf lokaler Ebene. Wie weit die Zusammenarbeit gehen soll, ist eine ganz andere Frage. Es muss nicht unbedingt gleich eine Fusion sein. Für eine Gemeindefusion braucht es noch viel Überzeugungsarbeit bei der Bevölkerung, denn sie wird als Souverän über ein Fusionsprojekt abstimmen müssen. Bei «Hallo Velo!» zeigte sich, dass alle beteiligten Gemeinden rasch zueinander fanden und unprätentiös loslegten. Insofern ist das Projekt ein gutes Beispiel für die partnerschaftliche Zusammenarbeit über Gemeindegrenzen hinweg. Man darf aber auch nicht vergessen, dass das Velo politisch von links bis rechts viele Anhängerinnen und -anhänger hat. Das erleichtert vieles. Fränk Hofer: Viele Gemeindevertreter haben mir gesagt, dass ihnen die Zusammenarbeit mit den anderen Gemeinden bei «Hallo Velo!» Spass mache. Wir wiederum haben uns bemüht, dass jede Gemeinde ein einzigartiges Angebot bieten kann. So radeln die Berner bis nach Münsingen und die Münsinger bis nach Bern. Der ganze Parcours wird so zur Party.
Wo werden wir Sie am Sonntag bei Hallo Velo antreffen?
Franziska Teuscher: Ich werde vor allem im City Loop unterwegs sein. Ganz besonders freue ich mich auf die gemeinsame Eröffnung am Vormittag auf dem Bundesplatz. Fränk Hofer: Ich werde den ganzen Parcours befahren. Besonders aber freue ich mich auf das Velo-Polo im Kirchenfeldquartier.
Dominik Rothenbühler