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«Alles weist darauf hin, dass Panik fehl am Platz ist»

28 Jahre lang leitete Christian Griot das IVI, das Institut für Virologie und Immunologie in Mittelhäusern. Ende März ist er zurückgetreten. Hier erzählt er, wieso er jetzt als Koch tätig ist und wieso er der Zukunft relativ gelassen entgegensieht.

Sie sind Ende März mit 63 vorzeitig zurückgetreten. Wieso?
Das Institut für Virologie und Immunologie IVI, nach seiner Eröffnung 1939, ist im Umbau begriffen. Es existieren auch Überlegungen, wie das Institut nach 2035 aussehen sollte und allenfalls neuen Bedürfnissen angepasst werden muss. Zusammen mit dem Amtsdirektor kam ich zum Schluss, dass es sinnvoll wäre, wenn meine Nachfolgerin Barbara Wieland schon von Anfang an in dieses Projekt involviert ist.

Der Bärnerbär berichtete Mitte März 2020 über das Labor in Mittelhäusern. Sie waren die ersten, die das Coronavirus aus der Berliner Charité erhielten und daran forschten. Doch gross in den Schlagzeilen standen Sie danach nie.
Das IVI und somit Volker Thiel, der am IVI für die Virologie verantwortlich ist, forschen vor allem im Grundlagenbereich. Er und sein Team sind mit ihrer Arbeit einen guten Schritt weitergekommen, das sieht man auch an den bewilligten Forschungsgesuchen. Wir hatten den Vorteil, dass Herr Thiel schon jahrelang mit Coronaviren arbeitet und somit lag es auf der Hand, dass er und sein Team sich sofort mit dem SARS-CoV-2 befassten.

Konkret: Was hat das IVI zur Pandemie beigetragen?
Das IVI hat grosse Fachkompetenzen in den Bereichen Diagnostik, Forschung und Impfstoffe. Somit kann das IVI auch schnell auf Pandemien reagieren. Die Erkenntnisse, die jetzt gemacht werden, sollten auch auf zukünftige Pandemien im Grundsatz anwendbar sein. In Bezug auf das neue SARS-CoV-2-Virus verstehen wir unter anderem die Immunantwort des Körpers deutlich besser als noch vor einem Jahr. Und an welche Zellen das Virus andockt und sich repliziert. Da reden wir aber von Themen, die vielleicht für die Öffentlichkeit eher weniger greifbar sind.

Vermissen Sie Ihren früheren Job?
Eigentlich nicht, ich stehe noch immer früh auf und bereite für den jüngeren Sohn das Zmorge vor. Als ich im April zur Einarbeitung meiner Nachfolgerin mehrmals wieder nach Mittelhäusern fuhr, war das natürlich schon ein etwas komisches Gefühl, klar. Ich fuhr ja schliesslich 27 Jahre lang dorthin und wieder zurück.

Sie sind seit bald zwei Monaten im offiziellen Ruhestand. Das Virus lässt Sie aber wahrscheinlich jetzt nicht einfach kalt?
Richtig, da geht es mir kaum anders als anderen Pensionierten. (lacht) Ich hatte ja sowieso die Idee, mich nach meinem Rücktritt mit etwas komplett anderem zu beschäftigen.

Mit was denn?
Ich habe mich einerseits schon immer für die Fahrzeugaufbereitung interessiert. Sprich: ein – altes – Auto so herrichten, dass es für die Kundin oder den Kunden in vollem Glanz erstrahlt. Dazu habe ich nun im zürcherischen Fällanden einen Workshop besucht. Spannend, aber natürlich «Chnochebüetz!» Das andere…

Ja?
Ich amte ab August als Koch bei einer Familie.

Erzählen Sie!
Im Laupener Anzeiger sah ich vor einigen Monaten ein Inserat, in dem eine Familie einen Koch suchte. Drei Kriterien wurden aufgeführt: mittleres Alter, Lebensweisheit und Erfahrung mit Kindern. Also keine Kenntnisse mit der Zubereitung von Chicken Nuggets oder Ähnlichem. Einen Tag vor der Deadline habe ich der Familie einen Brief geschrieben und nebenbei das letzte Interview mit dem Bärnerbär erwähnt.

Und?
Offenbar habe ich ihnen zugesagt. Ich habe dann mit den Eltern und den Kindern geskypt, ohne meiner eigenen Familie etwas zu sagen. Die hätten wahrscheinlich gedacht, ich sei jetzt vollkommen übergeschnappt. (lacht) Beim Skype-Gespräch spürte ich schon in den ersten fünf Minuten, dass das passen könnte. Im Vertrag steht übrigens explizit, dass ich nicht nur koche, sondern auch am Tisch mitesse und mich mit den Kindern unterhalte, vielleicht sogar bei den Aufgaben helfe. Ein tolles Experiment für beide Seiten! Und in der Zwischenzeit weiss es natürlich meine Familie ebenfalls!

Zurück zum Virus: Wie schätzen Sie die aktuelle Coronalage ein?
Im Moment sieht die Situation ganz gut aus: Die Zahlen sinken, immer mehr Menschen sind geimpft, das Testsystem ist auf gutem Weg. Im Sommer dürfte es eine weitere Entspannung geben. Wir müssen nur darauf achten, keinen zweiten Herbst 2020 einzufangen. Ich bin allerdings zuversichtlich. Im Herbst werden wohl 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung immun – geimpft oder genesen – sein. Zudem weist alles darauf hin, dass die Vakzine gegen Mutationen wie die indische Variante ebenfalls gut schützen und Panik fehl am Platz ist.

Gutes Stichwort: Manche werfen der wissenschaftlichen Taskforce Panikmacherei vor.
Die wissenschaftliche Taskforce macht einen guten Job. Manchmal stimmen die Modelle, manchmal nicht. Dass jedes Mal, wenn ein Modell versagt, sofort Vorwürfe laut werden, wonach die Experten versagt hätten, finde ich unschön.

Mag sein. Die Taskforce warnte aber eindringlich davor, Restaurantterrassen, Fitnesscenter oder Kinos zu öffnen. Passiert ist das Gegenteil: Die Zahlen sind gesunken. Eine veritable Fehlprognose!
Vielleicht hat man sich hier allzu fest auf die Modelle gestützt. Ich kenne das aus der Veterinärmedizin: Bei der Maul- und Klauenseuche zeigen Modelle ebenfalls, wie schnell sie sich von Tier zu Tier überträgt. Modelle sind eine Hilfestellung, doch nicht das Mass aller Dinge.

Was halten Sie von den Aussagen von Beda Stadler, der in dieser Pandemie eine andere Position einnimmt als die meisten seiner Zunft?
Ich halte es für wenig hilfreich, wenn einzelne Exponenten komplett andere Dinge erzählen als das BAG. Auf die Menschen wirkt das eher verwirrend. Und ja, jeder kann seine eigene Meinung haben und diese entsprechend kundtun.

Wie gehen wir mit Impfunwilligen um?
Schon vor Corona habe ich mich stets darum bemüht, Verständnis für jene Menschen aufzubringen, die sich nicht impfen möchten. Das Schlimmste wäre, die Leute von der eigenen Haltung zu überzeugen versuchen. Jeder Einzelne hat das Recht auf Selbstbestimmung. Gleichzeitig muss den Menschen gesagt werden, dass diese Entscheidung gesundheitliche Folgen haben kann.

Sollen Impfunwillige Ihrer Meinung nach also ein Konzert oder einen Fussballmatch besuchen dürfen?
Jeder private Veranstalter hat grundsätzlich das Recht, nur Geimpften Zutritt zu gewähren. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass sich nie alle impfen lassen werden. Der Besuch eines Fitnesscenters gehört de facto ja nicht zu den persönlichen Grundrechten. Aber sicher, eine schwierige Frage. Es ist eine neue Situation für uns alle.

Auch in Bezug darauf, wo das Virus seinen Ursprung hat?
Weiterhin eine völlige Blackbox. Wahrscheinlich stammt es nicht aus einem Labor. Man hat dazu wohl kaum Zeit investiert, dieser Frage in den letzten Monaten wirklich nachzugehen. Die WHO-Mission Anfang Jahr hat gezeigt, dass das Virus nicht aus dem Labor in Wuhan entwichen ist. Wildtiere als Wirt spielen ganz bestimmt eine wichtige Rolle.

Die Labor-These wurde zunächst als Verschwörung abgetan.
Dass ein Virus aus einem Labor in die Aussenwelt gelangt, ist theoretisch immer möglich. In Wuhan scheint das aber unrealistisch.

Wie lautet Ihre Corona-Zukunftsprognose?
Das Virus dürfte sich zu einer saisonalen Influenza entwickeln. Noch ist unklar, wie lange der Impfschutz wirkt. Bietet er, so jedenfalls sieht es aktuell aus, einen Schutz von rund einem Jahr, wird in Zukunft jedes Jahr einfach ein Piks fällig.

Wann fällt die Maskenpflicht?
Ich kann mir derzeit kaum vorstellen, dass alle, die geimpft sind, keine Maske mehr tragen müssen.

Fair wäre das ja schon.
Die Amerikaner beschreiten derzeit einen ähnlichen Weg. Eine heikle Frage, da sie nicht nur wissenschaftlich, sondern auch gesellschaftlich beantwortet werden muss.

Was halten Sie von den Schnelltests?
Eine gute Sache.

Wie verbringen wir Weihnachten 2021?
Diese Frage stellen mir Journalisten dauernd. (lacht)

Oje, wie unkreativ!
Ex-Taskforce-Mitglied Marcel Tanner sagte einst, man müsse sich an solchen Feiertagen ja nicht stundenlang in den Armen liegen. Diese Aussage finde ich treffend!

Yves Schott

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