Ferien hätte sie wohl dringend nötig. Doch das Coronavirus hält Simonetta Sommaruga auch nach ihrem Präsidialjahr auf Trab. Ein Gespräch über Kritik, Mut und neue Hoffnung.
Wie würden Sie Ihren derzeitigen Gemütszustand beschreiben?
Mir geht es wie vielen anderen auch: Die Pandemie dauert schon lange, und das belastet.
Haben Sie Ihr Präsidialjahr 2020 trotz allem geniessen können oder waren da wirklich nur Sitzung um Sitzung, Krisenmanagement und schlaflose Nächte?
Es war ein intensives, ein aussergewöhnliches Jahr. Und natürlich hatte das Krisenmanagement für mich oberste Priorität. Da blieb kaum Zeit für anderes. Zumindest auf persönlicher Ebene ist das Jahr aber schön zu Ende gegangen. Über die Festtage konnten mein Mann und ich unser zweites Grosskind besuchen. Wenn ich dieses kleine Wesen sehe, dann weiss ich, wofür ich mich täglich einsetze. Ich möchte, dass auch jene Menschen, die jetzt geboren werden, ein gutes Leben haben. Deshalb ist das Klimaschutzgesetz, über das wir dieses Jahr abstimmen, so wichtig. Hier geht es um ihre Zukunft.
Waren Sie froh, das Amt als Bundespräsidentin auf Anfang Jahr abgeben zu können?
Bundespräsidentin ist man immer nur ein Jahr. Darum war klar, dass ich das Amt wieder abgebe. Als Präsidentin habe ich so gearbeitet, wie ich das in der Politik auch sonst tue: Ich habe dafür gesorgt, dass Lösungen möglich sind, hinter denen möglichst viele stehen können. Das war in der Krise natürlich schwieriger als sonst. Aber es entspricht meiner Arbeitsweise: Ich bin eine Teamplayerin. Und das war ich auch während des Präsidiums.
Geniessen Sie Ihre freie Zeit aufgrund der Stresssituation umso mehr oder ist es gar nicht so einfach, sich überhaupt zu entspannen?
Freizeit geniesse ich immer, auch wenn sie knapp ist. Bundesrätin ist man aber 365 Tage im Jahr, auch an den Abenden und am Wochenende. So wirklich abschalten ist darum schwierig.
Was bereitet Ihnen derzeit am meisten Kopfzerbrechen?
Die Situation für die Bevölkerung ist teilweise schwierig. Die einen haben Angehörige verloren, andere haben Angst um ihre Stelle. Und viele leiden, weil ihnen der Kontakt mit Freunden fehlt. Ich hoffe darum, dass wir aus dieser Situation so rasch wie möglich wieder rauskommen.
Wie und woraus schöpfen Sie Kraft, was macht Ihnen Mut, wo tanken Sie auf?
Kraft schöpfe ich in der Natur. Ich spaziere gern, etwa aufs Guggershörnli. Gleichzeitig gibt mir die Arbeit viel Energie. Wir stellen jetzt die Weichen für die Schweiz, damit auch unsere Grosskinder ein gutes Leben haben. Darum machen wir jetzt beim Klimaschutz vorwärts.
Wie gehen Sie mit Kritik an Ihrer Person um? Ihnen wurden 2020 teilweise happige Vorwürfe gemacht.
Kritik gehört dazu. Das muss man als Bundesrätin aushalten. Ich bin mit der Kritik nicht immer einverstanden. Aber oft hilft sie auch, dass wir im Bundesrat bessere Entscheide finden.
Bekommen Sie Kritik mit, googlen Sie aktiv danach – oder mögen Sie sich gewisse News im Fernsehen und in Zeitungen gar nicht mehr antun?
In der Schweiz ist die Regierung nahe bei den Leuten. Was der Bevölkerung Kummer macht, höre ich bei meinen Gesprächen von den Betroffenen direkt, beim Einkaufen auf dem Markt oder im Bus auf dem Weg zur Arbeit. Und ich habe Tausende Briefe und Mails von Bürgerinnen und Bürgern erhalten. Dort gab es auch wahnsinnig viel Unterstützung.
Worauf müssen Sie, abgesehen von den persönlichen Kontakten, momentan verzichten, das Ihnen eigentlich sehr am Herzen liegt?
Auf Konzerte, Museums- und Kinobesuche. Bei meinem letzten Kinobesuch habe ich «Persischstunden» von Vadim Perelman gesehen; das ist jetzt schon eine ganze Weile her.
Was raten Sie Menschen, die sich alleine fühlen und die unter der Situation schier zerbrechen – ältere Personen in Pflegeheimen etwa?
Ich weiss, dass die Situation für viele schwierig ist. Meine Mutter lebt auch in einem Altersheim. Ich versuche, ihr auch jetzt nahe zu sein. Ich schreibe öfters, ich rufe mehr an. Und einmal habe ich ihr etwas auf dem Klavier am Telefon vorgespielt. Und wenn es die Umstände erlauben, besuche ich sie. Ich hoffe, meine Mutter spürt, dass ich an sie denke.
Sind die Impfungen bloss ein Silberstreifen am Horizont oder die Lösung all unserer Sorgen?
Die Impfungen helfen uns, die Pandemie zu bewältigen. Gleichzeitig müssen wir aber die Zahl der Ansteckungen weiter senken.
Dürfen wir im Sommer wieder Fussballspiele, Open Airs und Theatervorführungen besuchen?
Ich hoffe es natürlich – für die Bevölkerung, aber auch für die Kulturschaffenden und den Sport. Am Schluss ist aber entscheidend, wie die gesundheitliche Lage aussieht.
Wie würden Sie versuchen, einen Impfskeptiker oder eine Kritikerin zu überzeugen?
Ich gehe mit gutem Beispiel voran.
Werden Sie selbst sich impfen lassen?
Selbstverständlich. Wenn die Risikogruppen geimpft werden konnten und genügend Impfstoff vorhanden ist, werde ich mich impfen lassen.
Welche aufmunternden Tipps geben Sie unserer Leserschaft mit auf den Weg?
Meist geben die Menschen mir Ratschläge. Ich freue mich immer, wenn jemand mir sagt: «Wir stehen das gemeinsam durch.»
Yves Schott