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«Am 1. August ziehe ich meine Gotthelf-Tracht an»

Aline Trede sorgt sich um das Klima. Andrea Geissbühler will Eritreer ausschaffen. Was die beiden Politikerinnen vor dem Feiertag sonst noch beschäftigt.

Aline Trede, würden Sie sich selbst als Patriotin bezeichnen?
Nein, ich denke nicht. Dieses Wort ist für mich zu negativ behaftet und hat etwas Ausgrenzendes. Stolze Schweizerin? Ja. Ich finde unser Land super und bin auch bereit, dafür zu kämpfen. Mit Patriotismus kann ich hingegen nur wenig anfangen.

Andrea Geissbühler, die mit einem T-Shirt mit Schweizerkreuz und aufgedrucktem Schweizer Psalm erschienen ist, dürfte leicht anderer Meinung sein.
Für mich hat Patriotismus eine sehr positive Bedeutung. Es bedeutet, mit der eigenen Nation verbunden zu sein. Bloss haben linke und grüne Politiker sowie viele Medien diesen Ausdruck negativ geprägt, nur weil die SVP die Schweizer Werte hochhält. Dabei meint Patriotismus ausdrücklich, andere Völker und Kulturen eben nicht auszuschliessen.

Das mag sein. Am Ende des Tages ist es aber doch reiner Zufall, wo wir geboren wurden.
Geissbühler: Umso dankbarer bin ich, dass wir in einem solchen Land leben dürfen, wo wir keine Angst haben müssen und frei sein können. Aus- ser dem Meer haben wir hier ja alles.
Trede: Mit dem Klimawandel kommt das schon noch (lacht).
Geissbühler: Was man häufig vergisst, ist die Identität. Sie entsteht durch gelebte Werte. Je mehr wir die Grenzen öffnen und sich Völker vermischen, gehen diese verloren. Mir geht es nicht spezifisch um die Schweiz, sondern um alle Länder. Schauen Sie nur, wie patriotisch die Amerikaner, die Italiener oder die Franzosen sind.

Kann denn jemand, dessen Mutter aus dem Kongo stammt und hier geboren wurde, kein «richtiger» Schweizer sein?
Geissbühler: Doch, natürlich. Die Frage ist nur: Will man dieses Gefühl auch ausleben? Für gewisse Dinge braucht es heutzutage Mut. Ich persönlich beispiels
weise ziehe am 1. August meine Gotthelf-Tracht an. Das wird häufig belächelt, obwohl solche Werte meiner Meinung nach unbedingt weitergegeben müssen.

Was ziehen Sie am 1. August an, Frau Trede? Nichts Spezielles. Wir hängen zuhause vielleicht mal Lampions auf, feiern aber kaum im grossen Rahmen.

«Wir müssen die Reithalle-Chaoten endlich aus dem Verkehr ziehen.»

Für Sie also kein aussergewöhnlicher Tag?
Trede: Besonders schon. Man sieht ja überall, dass 1. August ist. Kommt hinzu, dass ich noch dauernd Fragen beantworten muss, ob ich für ein Feuerwerksverbot bin. Und: Nein, das bin ich nicht! Aber wenn du, Andrea, sagst, es brauche Mut, deine Tracht oder ein T-Shirt mit dem Schweizerkreuz anzuziehen, finde ich das ebenfalls nicht cool. Jeder soll anziehen dürfen, was er will.

Ganz falsch liegt Andrea Geissbühler mit ihrer Feststellung aber nicht.
Geissbühler: Das Verbot von Edelweiss-Hemden in der Schule ist gar nicht so lange her!
Trede: Kleidervorschriften finde ich generell unnötig und dumm.

Wo liegen denn die drängendsten Probleme dieses Landes hinsichtlich des Nationalfeiertages?
Geissbühler: In meiner Rede, die ich in Habkern halte, geht es darum, jene Werte hochzuhalten, die uns als Schweiz schon immer stark gemacht haben. Probleme sehe ich bei der Übernahme von EU-Recht. Jeder neue Vertrag schränkt unsere Freiheit ein. EU-Beitritt, Rahmenabkommen … wir geben einen grossen Teil unserer Souveränität ab.

Trede: Der Grund, wieso ich Politik mache, war schon immer die Umwelt. Wir sehen es ja, schon wieder ein Hitzesommer: Berge brechen weg, die Landwirtschaft hat zu wenig Wasser … wem das Land am Herzen liegt, müsste sich um solche Dinge kümmern. Hier würden wir beide uns vielleicht sogar finden: Wir haben wahrscheinlich das gleiche Ziel, vielleicht ist allerdings der Weg ein anderer.

«Für mich ist die Reithalle kein dringendes Problem.»

Ihr Urteil zur Stadt Bern?
Geissbühler: Die ganze Schweiz ärgert sich über die Reithalle! Dort müssen nach Jahrzehnten endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden. Es braucht wohl einen toten Polizisten, bis dort etwas passiert – und dann wäre der Polizist in den Augen einiger wohl sogar selbst schuld. Kultur ist gut und recht, doch wir müssen die Chaoten endlich aus dem Verkehr ziehen.
Trede: Flaschen und Steine gegen Polizisten werfen – das geht nicht, ist ja klar. An diesem Ort kommt allerdings einiges zusammen: Die Reithalle ist ja auch ein Freiraum. Und wo können Jugendliche heute noch …
Geissbühler: (unterbricht): … randalieren?
Trede: Wo können sie heute noch ihr Bier trinken, ohne konsumieren zu müssen? Als man aus dem ehemaligen Sanitätsposten an der Nägeligasse einen Jugendtreff mit klaren Regeln machen wollte, hagelte es 71 Einsprachen. Obwohl dort kaum jemand wohnt. Jede Stadt benötigt Plätze, wo junge Menschen sein dürfen, ohne dass sie 13 Franken für einen Drink ausgeben müssen. Für mich ist die Reithalle aber kein dringendes Problem, sondern gehört einfach zur Stadt Bern.

Lassen Sie uns einige positive Worte zu Bern finden.
Geissbühler: Die Altstadt mit den Lauben ist der Hammer. Zusammen mit der Aare: genial!

Trede: Dass wir als Hauptstadt auf öffentlichen Plätzen am Boden Zmittag essen – darum bewundern uns sogar Leute aus dem Ausland. Und: Bern ist lebendiger geworden und schläft nicht mehr so tief wie zu meiner Zeit, als ich in Zürich studiert habe.

Auf welche Themen werden Sie, sofern Sie im Herbst wiedergewählt werden, in der kommenden Legislaturperiode den grössten Fokus legen?
Trede: Die Umweltthematik, Grundrechte im digitalen Raum sowie die Vereinbarung von Beruf und Familie.
Geissbühler: Ich habe zwei Kernanliegen: Zum einen Eritrea. Meine Mutter hat das Land unabhängig bereist und es sehr positiv erlebt. Für afrikanische Verhältnisse ein Vorzeigestaat. Sprich: Jene Menschen, die von dort hierherkommen, sind allesamt Wirtschaftsflüchtlinge. Diese kosten Unsummen von Geld, das lieber in unsere hiesigen Sozialwerke investiert werden sollte. Wichtig wären Projekte vor Ort, um den Jungen Perspektiven zu geben.

Der zweite Punkt?
Geissbühler: In unseren Gefängnissen beträgt der Ausländeranteil rund 70 Prozent. Wir wollen aber, dass diese Menschen in ihrem Heimatland inhaftiert werden, um Kosten zu senken.

Aline Trede, was möchten Sie Frau Geissbühler zum 1. August mit auf den Weg geben?
Ich wünsche Ihr eine gute Rede und eine gute Feier – feiern finde ich immer gut (lacht). Da ich nicht so mehrheitsfähig bin wie sie, darf ich nie eine Rede halten (lacht laut). Ausserdem, dass sie das Thema Klima in ihre Partei einbringen kann, das würde der SVP guttun. Und natürlich viel Gesundheit.

Und umgekehrt?
Geissbühler: Dass sich alle darauf besinnen, was unser Land stark gemacht hat. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir dort sind, wo wir sind. Es muss uns wichtig sein, die Grundwerte der Schweiz zu erhalten. Ganz generell ist es schön, dass es verschiedene Menschen gibt, die auf unterschiedliche Weise probieren, Dinge zu verbessern. Deswegen: Danke auch für diesen Einsatz. Am Ende geht es ja um die Sache.

Yves Schott

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