Die Gesellschaft scheint ein immer dichter werdendes Netz von Gräben zu sein. Am 10. Juni vermittelt das Berner Generationenhaus mit Pro Futuris, wie unter kontroversen Meinungen – mit Empathie – Gräben überwunden werden können.
Polarisierung ist ein Synonym für die Verhärtung zwischen politischen oder gesellschaftlichen Lagern. Sie nimmt mehr und mehr zu. Ein Zeichen dafür sind die Gräben, die uns von «den Anderen» trennen. Der bekannteste, aber längst nicht mehr tiefste, ist der Rösti-Graben. Auch an den Links-Rechts-, Jung-Alt- und Reich-Arm-Graben haben wir uns einigermassen gewöhnt. Doch in den letzten Jahren sind neue Gräben mit hoher Sprengkraft dazugekommen: Stadt-Land-, Migrations-, Klima-, Generationen-, Fleisch-Vegan-, Gender-, Woke- oder Corona-Graben. Für alle ist bezeichnend, dass Diskussionen zu solchen Themen meist von sehr kurzer Dauer sind – sie eskalieren, indem sie sich von der sachlichen auf die persönliche Ebene verschieben. So ist ein konstruktiver Diskurs nicht möglich. Das Berner Generationenhaus bietet nun mit einem «Dialogtag» eine Chance, konstruktiv streiten zu lernen. Wir sprachen darüber mit Till Grünewald, Leiter des Generationenhauses.
Wie real sind Gräben? Gibt es zum Beispiel wirklich einen Generationengraben, oder wird dieser von Medien und Politik herbeigeredet?
Die Forschungsstelle Sotomo erhebt für uns einen Generationen-Barometer. Damit fühlen wir den Puls der Schweizer Bevölkerung – was bewegt oder belastet sie, oder wie nimmt sie den Zusammenhalt zwischen den Generationen wahr.
Die jüngste Umfrage besagt, dass ein Viertel der Bevölkerung einen Generationengraben wahrnimmt. Bei der im Fokus stehenden Generation Z ist es sogar die Hälfte. Diese Generation blickt pessimistischer in die Zukunft, sie ist weniger zufrieden und sieht den Zusammenhalt mehrheitlich als gefährdet an. Der Generationengraben ist nicht der Grösste, den es gibt – es lohnt sich aber, sich damit zu beschäftigen.
War das der Impuls zum Dialogtag?
Neben unserer zentralen Aufgabe, der Förderung von Begegnung und Dialog, sind es die Resultate des Generationen-Barometers 2023 insgesamt. Vor allem zwei Trends lassen aufhorchen: Nur ein Drittel der Bevölkerung redet noch regelmässig mit Andersdenkenden, und zwei Drittel glauben, dass die Empathiefähigkeit abnimmt. Fakt ist aber auch, dass wir für das Funktionieren unseres pluralistischen, demokratischen Landes darauf angewiesen sind, dass Menschen, die nicht einer Meinung sind, miteinander sprechen. Deshalb zögerten wir nicht lange, als Pro Futuris, der Think + Do Tank der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, uns anfragte, gemeinsam einen Dialogtag zu organisieren. Dabei stehen zwei Dinge im Vordergrund: Aktives Zuhören und lustvolles Streiten. Lustvoll bedeutet mit Engagement, aber ohne Eskalation und Feindseligkeit.
Wie läuft der Event ab?
Wir beginnen nach einer Begrüssung und professionellen Einführung – Inhalt sind die elementaren Grundlagen des konstruktiven Dialogs. Danach verorten sich die Teilnehmenden anhand von Fragen (z. B. «Muss die Schweiz militärisch aufrüsten?» oder «Darf man als weisse Person Rastas tragen?») auf einer Ja-Nein-Achse. Es werden danach Kontrahentenpaare gebildet und anschliessend lustvoll gestritten. Nach drei Runden endet die Veranstaltung beim gemeinsamen Apéro. Dort haben die Teilnehmenden Gelegenheit, ihre Erkenntnisse in Gesprächen mit der Moderation und Teilnehmenden noch zu vertiefen. Die Teilnahme am Dialogtag ist kostenlos, eine Anmeldung (auf www.begh.ch/programm/dialogtag) ist wegen der beschränkten Platzzahl erforderlich.
Wie schafft man es, «Andersdenkende» für die Teilnahme zu gewinnen?
Das Berner Generationenhaus hat ein ausgesprochen vielfältiges Publikum, und wir sind überzeugt, auf diesem Fundament Teilnehmer:innen für sehr spannende, kontroverse Dialoge zu finden. Es ist auch ein Versuchsballon herauszufinden, welche öffentlichen Diskursformen funktionieren.
Kann man den guten methodischen Dialog-Aufbau lernen?
Ja, unbedingt! Weil wir müssen! Sehen Sie, wir haben die Rahmenbedingungen und die Werkzeuge: Wie spricht man miteinander, nicht über die Person, sondern zur Sache. Die Kunst der Kommunikation und Empathie ist es, Eskalation zu vermeiden. Und das ist grundsätzlich möglich.
Als Schulfach, vielleicht?
Warum nicht. Das gibt es ansatzweise mit dem Fach Medienkompetenz, welches auch Soziale Medien einschliesst. In Dänemark ist Empathie ein Schulfach. Dort lernen Kinder mit Gefühlen umzugehen, zuzuhören, zu respektieren. Empathie müsste ein Fach der Zukunft sein, ganz im Sinne von «Future Skills».
Glauben Sie also auch, dass Gräben zugeschüttet werden können?
Dagegen spricht, dass viele Diskussionen eskalieren. Dafür spricht, dass laut Generationen-Barometer die Gräben wie zwischen «Jung und Alt», zu «Covid-Massnahmen» oder «Schweizer oder ausländischer Nationalität» in den letzten drei Jahren tendenziell kleiner geworden sind.
Abschliessend noch diese Frage: Gibt es in der Gesellschaft noch etwas, was «unbestritten» ist?
Spontan fällt mir als unbestritten der Konsens für die Menschenrechte und die Schweizer Demokratie ein – beides Werte, welche eine wichtige Basis für den konstruktiven Diskurs sind. Und dann noch das menschliche Grundbedürfnis nach Kontakt und Austausch, Dialog.
Lahor Jakrlin
PERSÖNLICH
Till Grünewald, verheiratet und Vater von drei Kindern, ist Leiter des Berner Generationenhauses. Er studierte zuerst Musik bzw. Jazz an der Berner Hochschule der Künste und danach Wirtschaft und Recht mit Masterabschluss an der Uni Bern. Er ist seit Eröffnung 2014 dabei, also quasi «der Mann der ersten Stunde».
INFOS
Am Bahnhofplatz gelegen, vereint das Berner Generationenhaus 13 Institutionen unter seinem Dach, und ist ein öffentlicher Ort der Begegnung und des gesellschaftlichen Dialogs. Mit seinem grossen Angebot leistet es einen sozialen und kulturellen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Als Tagungsort bietet es zudem Räume für Events und Tagungen.