«Am wahrscheinlichsten ist, dass es beim Verhältnis 4:1 bleibt»

THESE 1: Alec von Graffenried verliert sein Amt als Stadtpräsident

Ein Teil der SP-Basis ist nach wie vor verärgert, dass von Graffenried Sozialdemokratin Ursula Wyss 2017 das Amt als Stapi weggeschnappt hat. Zudem hat sich von Graffenried mit seinem zögerlichen Vorgehen bei der Klimademo auf dem Bundesplatz kaum neue Freunde geschaffen und verliert somit zahlreiche Mitte-Stimmen. Folglich fliegt der 58-Jährige aus dem Gemeinderat und ist damit auch nicht mehr Stadtpräsident. Mark Balsiger sagt dazu: «Zittern um seine Wiederwahl muss Alec von Graffenried nicht. Schliesslich ticken gegen 60 Prozent der Stimmberechtigten Rot-Grün, ein grosser Teil steht aufseiten der Klimabewegung, für ein rigoroses Durchgreifen seitens der Polizei hätten nur wenig Leute Verständnis gehabt. Die Mehrheitsverhältnisse werden am 29. November nicht einfach umgepflügt. Es ist aber möglich, dass bei der Stapi-Wahl verhältnismässig viele leere Zettel eingehen, was ein Misstrauensvotum für von Graffenried darstellen würde.»

THESE 2: Claudio Righetti wird zur Überraschung aller Berns neuer Stapi

Dem Polit-Neuling gelingt die grosse Sensation! Er schafft die Wahl in Berns Exekutive auf Kosten von Alec von Graffenried – in der zweiten Runde, bei der schliesslich der neue Stapi gewählt wird, setzt er sich dann gegen Franziska Teuscher oder eine andere Person durch. Mark Balsiger: «Claudio Righetti kann im Wahlkampf bestenfalls für einige Farbtupfer sorgen. In meiner Wahrnehmung agierte er bis dato weitgehend unbedarft. Zuerst wollte er direkt Stadtpräsident werden, dann hat er diese Strategie auf Druck der Mitte-Parteien über den Haufen geworfen. Um das Szenario ‹Righetti for Stapi› als realistisch erscheinen zu lassen, braucht es schon sehr viel Fantasie. Righetti fehlen Basis und politische Erfahrung, die Mitte-Liste konnte schon vor vier Jahren ihren Sitz mit Reto Nause nur knapp verteidigten. Wie sollte also Righetti zuerst überhaupt Gemeinderat werden? Nimmt er diese Hürde nicht, kann er auch nicht Stapi werden.»

THESE 3: Reto Nause verteidigt seinen Sitz problemlos

Berns Polizeidirektor gehört, für hiesige Verhältnisse, einer Kleinstpartei an (Stimmenanteil 2016: 2,4 Prozent). Weil Reto Nause allerdings gute Arbeit leistet und die Grünliberalen, die ebenfalls zur Mitte-Liste gehören, den Wählerschwund der CVP und der BDP wettmachen, wird der 49-Jährige souverän wiedergewählt. Mark Balsiger: «Wenn die Mitte-Liste einigermassen performt, ist diese These richtig. Fällt hingegen nur eine Partei um ein oder zwei Prozent zurück, wird es für Reto Nause eng. Zur Erinnerung: Um garantiert einen Sitz im Gemeinderat zu ergattern, sind 16,7 Prozent nötig. Genau dieselbe Liste hat vor vier Jahren aber bloss 13,2 Prozent geholt. Selbst mit einer GLP, die sich im Aufwind befindet, ist Halten eine Herausforderung, zumal die BDP zerbröselt. Wir dürfen nicht vergessen: Für den Gemeinderat gilt eine Listenwahl nach Proporz, es geht also nicht primär um Köpfe.»

THESE 4: Michael Aebersold fliegt aus dem Gemeinderat

Berns Finanzdirektor wird unmittelbar mit dem Steuerdebakel von Anfang Jahr in Verbindung gebracht. Der Unmut über den 58-Jährigen ist derart gross, dass er seinen Platz räumen muss. Mark Balsiger: «Es ist nicht komplett abwegig, dass es innerhalb der SP einen Wechsel geben könnte, also: Aebersold raus, Neuling Marieke Kruitrein. Was diesen Gedanken stützt: Seit 1996 gab es, von einer Ausnahme abgesehen, bei jeder Gesamterneuerungswahl jedes Mal mindestens eine Abwahl. Das Verhältnis in der Stadtregierung wäre dann bei 3:1:1: dreimal Rot-Grün, einmal Mitte, einmal bürgerlich.»

These 5: Nach den Wahlen vom 29. November haben die Bürgerlichen wieder zwei Sitze

Das 4:1-Verhältnis zugunsten von RGM (Rot-Grün-Mitte) hat ein Ende. Neu sind wieder zwei Bürgerliche in Berns Stadtregierung (Reto Nause und Bernhard Eicher oder Thomas Fuchs), die SP verliert den Sitz der abtretenden Ursula Wyss.
Mark Balsiger: «Da halte ich dagegen. Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass RGM seine vier Sitze behalten kann und der Mitte-Sitz an Bernhard Eicher geht. Wieso? Am 29. November wird auch auf nationaler Ebene abgestimmt. Die Konzernverantwortungsinitiative wird die Leute in Scharen an die Urnen locken. Ich erwarte eine Stimmbeteiligung von gegen 60 Prozent. Blicken wir auf das letzte Abstimmungswochenende zurück: Die Kampfjets wurden in Bern mit 71 Prozent Nein hochkant abgelehnt, die städtische Transparenzinitiative mit über 88 Prozent angenommen. Links und Linksliberal sind im Hoch. Davon profitiert RGM.»

THESE 6: Thomas Fuchs setzt sich auf der bürgerlichen Liste gegen Bernhard Eicher durch

SVP-Schwergewicht Fuchs wird von vielen unterschätzt. Er verfügt über etliche Fans, gerade in Bern-West, ist gut vernetzt und kann dazu noch neue Wählerinnen und Wähler mobilisieren. Diese Tatsache reicht, um es in den Gemeinderat zu schaffen. Mark Balsiger: «Aussenseiterchancen hat er. Es ist möglich, dass das Rennen enger laufen könnte als allgemein erwartet. Aber: Thomas Fuchs ist isoliert. Er hat den Support der SVP-Wählerinnen und -Wähler – und damit zehn Prozent. Danach wird es für ihn bereits schwierig. Einige freisinnig denkende Menschen werden generell Mühe bekunden, ihn überhaupt auf die Liste zu setzen. Panaschierstimmen gibt es für Fuchs sowieso keine. Dafür pflegte er jahrzehntelang ein zu kontroverses Profil, erst seit kurzem tritt er moderater auf. Mir fehlt der Glaube, dass er wirklich Gemeinderat werden will.»

THESE 7: Franziska Teuscher übernimmt die Verkehrsdirektion von Ursula Wyss

Der Verkehr ist Teuscher ein wichtiges Anliegen – sie setzt sich nicht nur mit dem Festival «Hallo Velo!» in Szene, sondern liess sich auf Twitter erst Anfang September mit einem Begegnungszone-Schild ablichten. Hier bahnt sich ein Wechsel an! Mark Balsiger: «Teuscher hätte die Tiefbau- und Verkehrsdirektion schon vor acht Jahren gerne gehabt – diese Themen liegen ihr. Man darf allerdings nicht vergessen, dass sie bereits 62 ist, also nur noch vier Jahre anhängen wird. Eine vierte Legislatur deutlich über das Pensionsalter hinaus wäre in linken Kreisen hingegen verpönt. Jetzt einen Wechsel zu vollziehen, würde für Unverständnis sorgen, da vier Jahre später bereits wieder eine neue Kraft übernähme. Einen Direktionswechsel wegen vier Jahren durchzuboxen, käme nicht gut an.»

THESE 8: Newcomerin Marianne Schild von der GLP düpiert Reto Nause

Reto Nause ist in der Stadt Bern zwar bekannt und etabliert (s. These 3), sitzt jedoch in der «falschen» Partei, da sie sehr klein ist. Die Grünliberalen mit Marianne Schild wiederum befinden sich im Hoch, 2016 holte die GLP bereits knapp zehn Prozent. Das reicht, um Nause zu übertrumpfen. Mark Balsiger: «Schild besitzt eine gewisse Aussenseiterchance. Sie ist keine geborene Wahlkämpferin und aus dem Oberland zugezogen. Was sie aber bis bislang gezeigt hat, hat Hand und Fuss. Trotzdem: Um den Bisherigen Reto Nause zu überholen, müsste einiges passieren: Wenn Schild als echte Option gehandelt wird, die Medienaufmerksamkeit steigt und Dynamik zu ihren Gusten entsteht – oder aber bei Nause würde ein gravierender Fehler publik.»

Yves Schott

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