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An den heutigen Feministinnen findet sie längst nicht alles gut

Als zweiter weiblicher Brigadier der Schweiz überhaupt war Jeanie Pollak eine Vorreiterin für Frauen in der Armee. Zum Frauentag am 8. März spricht sie über Fortschritte und Gleichstellungsschlachtfelder.

«Wie kommen Sie dazu, mir einen solchen Lohn anzubieten?» Mit diesem Satz brachte Jeanie Pollak 1969 den Personalchef der Bundeskanzlei gehörig ins Schwitzen. Die Forderung gleicher Lohn für gleiche Arbeit, die heute noch auf Plakaten der Frauenstreikbewegung zu lesen ist, war für sie damals schon selbstverständlich. «Ich war genauso qualifiziert oder gar noch besser als meine männlichen Kollegen, dennoch kam ich automatisch in eine niedrigere Lohnklasse. Das war damals so, wir Frauen mussten uns alles erkämpfen», erinnert sich die Feministin. Die Episode illustriert gut Pollaks unbändigen Willen, für sich und die Frauen einzustehen. Ob ihr dieses Selbstbewusstsein in die Wiege gelegt war oder am progressiven Vorbild ihrer Mutter und Grossmutter lag, die auch schon im Frauenhilfsdienst der Armee im Zweiten Weltkrieg tätig war respektive fürs Frauenstimmrecht kämpfte, vermag sie nicht abzuschätzen. Schon früh kommt die Bernerin zur Haltung, dass eine Frau, die gleiche Rechte habe, auch gleiche Pflichten übernehmen muss. Für sie mit ein Grund, in die Armee einzutreten. Sie besucht Rekruten-, Unteroffiziers- und die Offiziersschule sowie höhere Lehrgänge. Ab 1989 leitet sie dann im Rang des Brigadiers zehn Jahre den Militärischen Frauendienst. In Sachen Gleichstellung vertritt sie nach wie vor eine Idee: «Eine allgemeine Dienstpflicht würde unserem Land dienen. Das heisst, dass alle jungen Erwachsenen dem Staat für eine gewisse Zeit zur Verfügung stehen.» Das kann Zivildienst, Sanität oder Dienst an der Waffe sein. «Auch damit die Frauen Grundkenntnisse erwerben und wissen: Wenn ein Krieg kommen sollte, sind wir vorbereitet. Wie verheerend mangelnde Ausbildung ist, erleben wir leider gerade im Ukrainekrieg.» Über 30 Jahre beschäftigte sich Pollak mit diesen Ideen und dem Weiterentwicklungspotenzial von Frauen in der Armee. Heute kommen die Themen erneut aufs Tapet. Verteidigungsministerin Viola Amherd hat die Seniorin gar in eine Arbeitsgruppe berufen. Eine Dienststelle für weibliche Armeemitglieder wurde wieder eingerichtet, damit sich Frauen auch an Frauen richten können. «Frauen und Männer sind unterschiedlich. Gleichstellung darf nicht Gleichmacherei bedeuten», so Pollak.

«Das war mir zu violett»
Den heutigen Feministinnen steht sie mit gemischten Gefühlen gegenüber. Es sei gut, dass die Frauen laut für ihre Rechte einstehen. Beim Frauenstreik 2019 ist sie dennoch nicht mitgelaufen: «Das war mir zu violett. Ich fürchte, dass solche Massenaktionen von Frauen in den Köpfen der Männer leider das Gegenteil bewirken.» Wenn sie abends den Fernseher einschaltet und die Moderatoren die Zuschauer:innen begrüssen, schüttelt es sie. «Allzu schnell werden dann aus den Zuschauern und Zuschauerinnen nur die Zuschauerinnen und das ist genauso falsch.» Eine richtig gute Lösung in der sperrigen gendergerechten Sprache sei bis heute nicht gefunden. In der Armee war sie schlichtweg Brigadier, wie die Männer auch. «Brigadierin? Nein, hören Sie auf», winkt sie ab. «Man kann ja immer noch Frau Brigadier sagen. Sonst würden wir wieder eine Sonderkategorie aufmachen.» Sich einfach vermännlichen lassen, ging für Pollak aber auch nicht, obwohl sie es oft vergnüglich fand, die einzige Frau im Generalstab zu sein. «Der Stabschef neigte stets dazu, die Herren nach dem Rapport mit ‹Messieurs› zum Sitzen aufzufordern. Ich blieb dann einmal stehen.» Sich mit solchen symbolischen Aktionen oder verbal Gehör zu verschaffen, war Pollaks effektivste Waffe. Zudem nahm sie vieles mit Humor, definierte sich nicht über ihren Dienstgrad. «Ich strahlte immer genug natürliche Autorität aus», resümiert sie. Ihre Frauentruppe anzuschreien, fand Brigadier Pollak völlig unnötig. Heute stellt sie glücklich fest, dass sich der Ton in der Armee verändert habe. «Ich habe ein paar Mal in meinem Leben gebrüllt, aber das war nie im Beruf.» Obwohl sie von vielen Männern Rückendeckung erfuhr, begegnete offener Sexismus Pollak so manches Mal. Unpassende Sprüche parierte sie sofort oder meldete denjenigen. «Wir Frauen müssen uns wehren, solche Männer verstehen keine andere Sprache.» In der Zeit vor ihrem Ausscheiden aus der Armee war sie gar Mobbing ausgesetzt. Dennoch verzichtete sie darauf, den Fall publik zu machen, da sie dem Ansehen der Armee nicht schaden wollte. «Das war es mir nicht wert. Der Mobber hat aber von mir ordentliche Konsequenzen bekommen.» Wer sich durchsetzen wolle, müsse klug agieren: «Auf jeden Fall klüger als die Männer.»

Sorgende Seite nicht vergessen
Vergleicht sie das heutige Frauenbild mit dem ihrer Jugend, stellt sie fest, dass sich einiges getan hat. Die jungen Männer sind viel offener und helfen in der Familienarbeit, was früher nicht selbstverständlich war. «Doch ein gewisser Rest-Machismus bleibt. Den können wir auch nicht mit Massnahmen eliminieren. Man kann ihm mit Humor begegnen und versuchen, deutlich zu machen, wie dieses Verhalten Frauen verletzt.» Trotz gesetzlich geregelter Gleichberechtigung hapert es im Alltag immer noch in der Gleichstellung. Als Beispiel nennt Pollak die männlich dominierte Medizin oder männliche Seilschaften, die die Beförderung von Frauen blockieren. Doch warum kommt der Wandel so langsam voran? «Oft sind unsere Wertmassstäbe immer noch männlich. Es geht um Kraft.» Ihre Botschaft an jüngere Frauengenerationen? Auch in Männerdomänen sollten sie ihre feminine und sorgende Seite nicht vergessen oder in die Falle tappen, die besseren Männer sein zu wollen. Beide Seiten sollten aufeinander Rücksicht nehmen und sich mit ihren Qualitäten einbringen. Das beste Beispiel, wie eine echte Bereicherung durch gemischte Teams gelingen kann, erlebte Pollak bei einem 100-Kilometer-Marsch. Ihre Frauentruppe hätte damals zwar nur 80 Kilometer laufen müssen, marschierte aber freiwillig genauso viel wie die Männer. «Das ist keine physische Angelegenheit, sondern am Ende nur psychisch», erklärt sie. An der 30-Kilometer-Marke erblickte sie damals eine Gruppe mit Männern und einer Frau. «Sie war fertig, aber ihre Kameraden stützten sie, trugen ihren Rucksack. Einer der Aspiranten versicherte mir, dass sie sie übers Ziel bringen würden.» Zum Schluss hatte sich das Blatt dann gewendet. Die Frau lief voraus ins Ziel und feuerte die Männer an. Pollak lächelt heute noch, wenn sie an dieses Bild zurückdenkt. «Nun so kann es gehen, wir müssen uns gegenseitig ergänzen.» Als Pollak 1998 das Kommando des Militärischen Frauendienstes niederlegte, begann sie ein komplett anderes Leben. «Mit grosser Freude», lacht sie. Sie liess sich zur PolarityTherapeutin ausbilden und eröffnete eine Praxis, in der sie auch heute nach der Pensionierung noch wirkt. Menschen kommen mit körperlichen Problemen zu ihr, die oft einen psychischen Ursprung haben. In Gesprächen ergründet Pollak dann die PERSÖNLICH Jeanie Pollak (74) ist geschieden, stammt aus Bern und wohnt in Worb. Sie war von 1989 bis 1998 Brigadier und leitete den Militärischen Frauendienst. Die Polarity-Therapeutin ist Rentnerin und eine grosse Tierfreundin. Ursachen. Sie hat mehr Patientinnen als Patienten, da die Männer oft noch Scheu haben, Hilfe zu suchen. «Auch das sollte sich ändern. Männer müssen erfahren, dass es ein Zeichen der Stärke ist, wenn man zu sich schaut.» Von militärischer Härte ist nichts zu spüren, vielmehr strahlt sie Empathie aus. Sie hat zwei Stiefkinder, die sie liebevoll Vize-Mutter nennen, und fünf Enkelkinder. Ihren Kampfgeist wird sie aber nie verlieren: «Ich hoffe, dass der Feminismus irgendwann nicht mehr nötig sein wird. Aber bis dahin müssen wir aufzeigen, was noch im Argen liegt.»

Michèle Graf

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