Ihr Ziel ist klar: Am 22. Oktober will Flavia Wasserfallen in den Ständerat. Die SP-Nationalrätin über ihre eigenen Wahlchancen, grüne Misstöne und ihre Trefferquote auf dem Fussballplatz.
Flavia Wasserfallen, wechseln Sie eigentlich mittlerweile die Strassenseite, wenn Ihnen jemand von den Grünen entgegenläuft?
Nein, überhaupt nicht! Wieso?
Es war zu lesen, die Grünen seien einigermassen verstimmt, da Sie nicht mit Bernhard Pulver in den Ständeratswahlkampf ziehen.
Diese Aussage muss ich korrigieren. Wir sind im Kanton Bern die einzigen beiden Parteien, die einander direkt empfehlen und dazu eine schriftliche Vereinbarung getroffen haben. Andere wie FDP und SVP kennen solch ein Agreement nicht. Vielleicht hätte sich der eine oder die andere bei den Grünen eine noch engere Kooperation erhofft, schlussendlich handelt es sich allerdings um eine Majorzwahl, bei der alle Kandidierenden über das eigene Wählerpotenzial hinaus Stimmen holen müssen. Ein eigenständiger Wahlkampf hat daher für alle auch Vorteile.
Sie haben also persönlich keine Probleme miteinander?
Nein, wir verstehen uns gut.
Sie lancierten Ihren persönlichen Wahlkampf bereits letzten November. Wieso so früh?
Die Möglichkeit bot sich an, da Hans Stöckli seinen Rücktritt frühzeitig angekündigt hatte. Daraufhin nominierte mich die Partei bereits im August 2022. Eine Majorzwahl ist eine grosse Herausforderung. Ich möchte möglichst viele Menschen erreichen – ob persönlich, an Anlässen oder über soziale Kanäle. Das braucht Zeit.
Wie schätzen Sie selbst Ihre Wahlchancen ein? Es wird ein enges Rennen erwartet.
Diese Einschätzung teile ich, das Gedränge um die beiden Sitze ist gross.
Auch weil Pulver bei manch bürgerlichen Wählern gut ankommt. Wie wollen Sie diese Menschen von sich überzeugen?
Als erfahrene Politikerin, berufstätige Frau und als dreifache Mutter kann ich eine neue Perspektive in den Ständerat bringen und dazu beitragen, dass die Bevölkerung des Kantons Bern möglichst breit vertreten ist. Mir wird auch attestiert, über die Parteigrenzen hinweg Allianzen bilden zu können. Das braucht es für mehrheitsfähige Lösungen.
Sind Familie und Kinder im Wahlkampf nach wie vor ein Thema? Werden Sie häufig gefragt, ob das zusammenpasst?
Ja, jetzt gerade wieder (lacht).
Ich frage Sie genau deswegen.
Natürlich, das ist mir klar. Im Ernst: Die Frage ist absolut legitim, sofern sie nicht nur den Frauen gestellt wird, was ja mehr und mehr passiert. Mir ist es wichtig, eine politische und berufliche Tätigkeit ausüben zu dürfen, bei der die Familie nicht zu kurz kommt. Dieses Gleichgewicht konnte ich bis heute halten und ich bin überzeugt, das auch als Ständerätin zu schaffen. Aber für mich war die Familie ein wichtiger Faktor, auf eine Bundesratskandidatur zu verzichten.
Da Sie sonst zu wenig Zeit für Mann und Kinder gehabt hätten?
Genau.
Eine Bundesratskandidatur ist endgültig vom Tisch?
Den Entscheid traf ich beim Rücktritt von Simonetta Sommaruga. Mein Lebensziel ist es nicht …
Eines der Hauptthemen Ihres Wahlkampfs ist die Pflege. War das schon vor Corona so?
Ein politischer Schwerpunkt liegt in der Gesundheitspolitik. Ich habe während der Kampagne zur Pflegeinitiative an vorderster Front mitgewirkt und sehr eng mit dem Fachverband des Pflegepersonals zusammengearbeitet. Nun geht es darum, die Initiative umzusetzen, damit die Situation in der Pflege, die nach wie vor alles andere als gut ist, nachhaltig verbessert wird.
Ein weiteres Ihrer Anliegen ist der Fussball. Sie haben sich für die Frauen-Euro 2025 in der Schweiz stark gemacht. Jetzt ist klar, dass der Final in Basel und nicht in Bern über die Bühne geht.
Ich freue mich sehr auf die EM in der Schweiz. Das wird ein grossartiger Fussballsommer. Der Punkt mit dem Final ist das eine. Enttäuscht bin ich, dass nach den Gruppenspielen nur noch ein Viertelfinal im Wankdorf stattfinden soll. Zumindest ein Halbfinal wäre toll. Ich hoffe, dass in dieser Angelegenheit das letzte Wort noch nicht gefallen ist und die Gespräche zwischen der Stadt und YB wieder aufgenommen werden. Ich bin überzeugt: Wenn der Willen vorhanden ist, könnte eine Lösung gefunden werden. Ein Halbfinal würde einer Hauptstadt gut anstehen.
Haben Sie noch nicht bei YB-CEO Wanja Greuel angeklopft?
Die Gespräche rund um die Austragung der Euro 2025 laufen auf Hochtouren. Sie ist auch Thema im Beirat der YB-Frauen, dem ich angehöre. Die Stadt als Austragungsort sollte vorausgehen und mit dem BSC YB die Rasenfrage klären.
Gehen Sie doch direkt zu Stapi Alec von Graffenried!
Ich hatte erst Gelegenheit, mit Sicherheitsdirektor Reto Nause über die EM in Bern zu sprechen. Ich hoffe sehr, dass er und der Stadtpräsident in dieser Sache nochmals über die Bücher respektive über den Rasen gehen.
Welche Rückmeldungen haben Sie erhalten?
Die Lage gestalte sich schwierig, weil über den Kunstrasen im Wankdorf ein Naturrasen gelegt werden soll, der sich relativ schnell abnützt. Noch habe ich die Hoffnung allerdings nicht aufgegeben.
Hat Sie das Amt als Stadtpräsidentin eigentlich nie gereizt? Oder kommt in der SP niemand an Matthias Aebischer vorbei?
(Schmunzelt) Ich möchte gerne Ständerätin werden. Diese Chance will ich packen.
In rund fünf Jahren muss von Graffenried, sollte er Stapi bleiben, sowieso zurücktreten. Dann könnten Sie eingreifen.
Darüber mache ich mir keine Gedanken.
Ganz generell hat sich der Ton in der Politik und in der Gesellschaft verhärtet. Spüren Sie das ebenfalls, werden Sie manchmal beleidigt oder gar diffamiert?
Was ich häufig höre, ist, dass meine Art, respektvoll zu debattieren, sehr geschätzt wird – obwohl diese Leute manchmal anderer Meinung sind. Dann gibt es jene, die stets nach Sündenböcken suchen und ihren Frust ablassen wollen. Damit muss man als Politikerin ein Stück weit leben können. Ich probiere, solche Reaktionen nicht zu nah an mich herantreten zu lassen. Während Corona war das Phänomen meines Erachtens stärker zu spüren als jetzt. Gleichzeitig verunsichern Krisen wie der Ukraine-Krieg, das CS-Debakel oder die Teuerung die Menschen, das ist nachvollziehbar. Mir ist wichtig, dazu beizutragen, dass wir in der Politik als Vorbilder auftreten und so agieren, wie wir uns das von der Gesellschaft wünschen.
Bloss liefert sich die Politik selbst oft unwürdige Hahnenkämpfe.
Ich versuche meinen Teil dazu beizutragen, damit politische Debatten nicht entgleisen. Auf der anderen Seite wird in den Medien häufig nur jener Teil der Politik aufgenommen, der laut und konfrontativ ist, weil das mehr Klicks generiert. Jene Diskussionen und Entscheide, die in den Kommissionen ablaufen, hinter verschlossenen Türen, aber von enormer Bedeutung sind, werden seltener beleuchtet.
In der Schweiz ist also alles halb so wild?
Reichen der Lohn oder die Rente kaum mehr zum Leben, kann ich den Frust absolut nachvollziehen. Die Politik will nicht einmal fünf Franken Teuerungsausgleich bei der AHV geben und gleichzeitig fliessen für eine Bank, die wegen Gier und Misswirtschaft strauchelt, die Milliarden. Das macht viele sauer. Wir müssen dringend aufpassen, das Vertrauen der Menschen nicht zu verlieren.
Was bereitet Ihnen am meisten Sorgen?
Der Fachkräftemangel, der nicht allein die Pflege betrifft. Zum anderen der Reallohnverlust und die Teuerung: Im September werden die Krankenkassenprämien ein weiteres Mal massiv steigen. Zahlreiche Leute dürften in massive Schwierigkeiten geraten, sollten sie nicht bereits drinstecken – leider sehe ich politisch derzeit keine Mehrheiten, um die Bevölkerung bei den Prämien wirksam zu entlasten. Das muss sich ändern.
Was denken Sie sich, wenn Sie Beiträge von Roger Köppel sehen und …
(Interveniert) Seine Posts lese ich schon gar nicht mehr (lacht).
Trotzdem: Er veröffentlicht ein Bild mit Regen und schreibt dazu: «Hitzesommer 2023».
Herr Köppel verwechselt wohl absichtlich Wetter mit Klima und verleugnet wissenschaftliche Fakten. Das ist eine etwas gar billige Taktik. Die SVP hat beim Umwelt- oder Klimaschutz noch nie mit Lösungen brilliert.
Was tun Sie, falls es mit dem Ständerat nicht klappt?
Zuerst mal den Frust abschütteln (schmunzelt). Dann hoffe ich, genug Stimmen zu erhalten, um meine politische Arbeit für gute Renten, bezahlbare Prämien und eine rasche Energiewende im Nationalrat weiterführen zu können.
Wie haben Sie Ihre Sommerferien verbracht?
Die ersten zwei Ferienwochen mit meiner Familie im Tessin, daraufhin zuhause.
Alec von Graffenried war bei SRF vor kurzem beim Sprung in die Aare zu sehen. Wann waren Sie das letzte Mal dort?
Das war im Juli, während der Sommerferien. Ohne SRF-Kamera, dafür mit Freunden aus Schweden (grinst).
Wenn Sie selbst auf dem Fussballplatz stehen, sind Sie Stürmerin. Kennen Sie Ihre Trefferquote?
(Überlegt) Pro Match? Nein. Aber ich habe bis jetzt rund sechs Spiele für den FC Helvetia absolviert und dabei vier Tore erzielt.
Das sind 0,66 Tore pro Partie.
Ganz okay, oder? Wobei: An Messi komme ich wohl nie ganz heran (lacht laut).$
Yves Schott
PERSÖNLICH
Flavia Wasserfallen, geboren am 7. Februar 1979 in Bern, studierte Politik-, Volks- und Medienwissenschaft. Von 2002 bis 2012 politisierte sie für die SP im Berner Grossrat, 2018 folgte sie auf Evi Allemann in den Nationalrat. Wasserfallen ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Bern