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Auch Cannabis war für sie ein rotes Tuch

Sie war die Frau mit der harten Hand – und deshalb der Schreck aller Linken. Im Herbst tritt SVP-Politikerin Andrea Geissbühler ab. Was der Bernerin in 16 Jahren Nationalrat gelungen ist – und was nicht.

Einige werden wohl aufatmen, manche innerlich sogar vielleicht applaudieren. Vermissen jedenfalls wird die linke Ratshälfte Andrea Geissbühler politisch definitiv nicht. Gegen die Ehe für alle, Coronamassnahmen-Skeptikerin, abtreibungskritisch. Die Bernerin vertritt durchs Band Positionen, die progressiv-liberalen Kräften die Zornesröte ins Gesicht treiben. Nett ausgedrückt.

Nun tritt Geissbühler ab. Sie muss. Parteiinterne Amtszeitbeschränkung. 16 Jahre respektive vier Legislaturperioden sind genug, so verlangt es die SVP. Logisch wünscht sich die Bernerin als Nachfolge auf ihrem Sitz eine Person, die genauso tickt wie sie. Bei Geissbühler tönt das so: «Das Konservative verschwindet. Werte und Traditionen, die dieses Land so stark gemacht haben, werden nach und nach heruntergerissen. Die Wurzeln gehen verloren. Toleranz ist wichtig, aber alles hat Grenzen. Es braucht Leitplanken.»

Andrea Geissbühler, das war seit ihrer Nationalratswahl 2007 die Frau mit der harten Hand. In der Drogenpolitik, in der Ausländerpolitik, in der Sicherheitspolitik. 2015 forderte sie eine nationale Kampagne, um vor den Folgen von Cannabiskonsum zu warnen. Jungen Frauen, die in die Schweiz flüchten möchten, jedoch Verstümmelungen an ihren Genitalien aufweisen, wollte sie die Einreise verbieten. 2019 lehnte sie ein verschärftes Waffengesetz ab.

Die ehemalige Polizistin, sie dürfte also ein todernster, bornierter, schon fast boshafter Mensch sein. Eine weltfremde SVPlerin, wie sie im Buche steht. Ja, dieses Vorurteil könnte entstehen. Eines hingegen, das Geissbühler im direkten Kontakt so ganz und gar nicht erfüllt. Die Mutter von drei Kindern gibt sich im Gespräch mit dem Bärnerbär äusserst sympathisch und humorvoll. Kritische Fragen beantwortet sie gelassen und ohne Stirnrunzeln.

Die Sache mit der Abtreibung
Etwa jene, wieso sie sich für eine verschärfte Abtreibungsregelung einsetzt. Geissbühler unterstützt zwei Initiativen: Die eine verlangt von Frauen, vor jedem Schwangerschaftsabbruch einen Tag Bedenkzeit einzubauen. Die zweite sieht vor, Abtreibungen nach der 22. Schwangerschaftswoche komplett zu verbieten, da Babys ab diesem Zeitpunkt ausserhalb des Mutterleibs überlebensfähig sind. «Viele haben nicht begriffen, dass diese Initiativen die Fristenregelung nicht tangieren würden. Die Vergleiche mit den USA sind nicht zutreffend.»

Doch wofür kämpft die Politikerin dann, wenn sie verlangt, dass Frauen mit dem Abtreiben warten müssen? «Man gibt sich vor jedem wichtigen Entscheid im Leben einen Tag Bedenkzeit – das sollte erst recht der Fall sein, wenn es um Leben und Tod geht.» Schliesslich, führt Geissbühler aus, würden gleich 18 europäische Staaten solche Gesetze kennen. «In Deutschland zum Beispiel gilt sogar eine Bedenkzeit von drei Tagen. Es geht mir um den Schutz von ungeborenen Kindern, aber auch der Frauen. Eine Spätabtreibung geht an niemandem spurlos vorbei.»

Das Thema Abtreibung sei aber nur ein kleines Mosaiksteinchen
ihrer politischen Arbeit, hält Geissbühler fest. Viel wichtiger sei ihr zum Beispiel die Abschaffung der bedingten Geldstrafen. «Gerade beim Missbrauch von Kindern verlangte ich eine zwingende Haftstrafe, was in der letzten Session jedoch unverständlicherweise abgelehnt wurde.» Heute würden, betont die Frau, die seit Oktober als Gemeinderätin von Bäriswil amtet, 44 Prozent der Täter, die sich an Kindern vergehen, mit einer bedingten Geldstrafe davonkommen. «Also straffrei. Ein Hohn!»

Zudem habe sie immer wieder, betont Geissbühler, Anliegen aus der Bevölkerung aufgenommen. Und verlangte unter anderem, dass Ausländer in Schweizer Gefängnissen ihre Haftstrafe in ihrem Heimatland verbüssen sollen sowie Rücknahmeabkommen mit verschiedenen Ländern, allen voran Eritrea, abgeschlossen werden.

Als ehrenamtliche Dachverbandspräsidentin von Drogenabstinenz Schweiz lag der 46-Jährigen eine, wie sie es formuliert, «gesunde und leistungsfähige Jugend und Gesellschaft am Herzen». Im Jahr 2008 konnte sie mithilfe verschiedener Vereine und mit vergleichsweise bescheidenen finanziellen Mitteln erreichen, dass die Initiative zur Cannabislegalisierung vom Volk klar abgelehnt wurde.

Rückt nun ihr Mami nach?
118 Voten hat Geissbühler in ihrer Zeit als Nationalrätin gehalten, 193 Vorstösse lanciert – ein einziger wurde laut der Parlamentswebsite angenommen. Trotzdem sei sie mit sich zufrieden, meint sie. «Ich bin froh, durfte ich die letzten vier Jahre noch dabei sein – wegen der grossen Geschäfte im Strafrecht. Das stimmt für mich so.

Ihr neues Mandat als Gemeinderätin an ihrem Wohnort entspreche einem Pensum von rund 15 Prozent, sagt Geissbühler. Im Sommer will sie sich wieder irgendwo als Kindergärtnerin bewerben. «Ich denke, ich kann den Kindern noch viel weitergeben.» Hauptberuflich arbeitet sie als heilpädagogische Reitlehrerin für beeinträchtigte Kinder.

Was Geissbühler am 22. Oktober, am Tag der nationalen Wahlen, vorhat? Sie drückt ihrem Mami die Daumen. Sabina Geissbühler-Strupler, lange Jahre SVP-Grossrätin, kandidiert für die grosse Parlamentskammer. Das Aufatmen auf linker Seite hat nicht eben lange gedauert.

Yves Schott

Andrea Geissbühler, geboren am 3. August 1976 in Bern, ist seit 2007 Nationalrätin der SVP. Sie ist unter anderem Mitglied des abtreibungskritischen Vereins Pro Life sowie Präsidentin des Dachverbands Drogenabstinenz Schweiz. Geissbühler ist verheiratet, hat einen Sohn, zwei Töchter und wohnt in Bäriswil.

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