«Auch mein Haushalt produziert zu viel Ghüder»

Ab 3. September testen 2500 Berner Haushalte das neue Abfall-Trennsystem. Die zuständige Gemeinderätin Ursula Wyss (SP) erklärt im Interview, wie gut sie selber recycelt und warum sie keine Ausreden akzeptiert.

Ursula Wyss, was trinken Sie eigentlich im Sommer so?
Ich hatte unterwegs gerade ein Chai Latte Iced, danke. Mein Grundgetränk ist hingegen Kaffee, nach dem vierten Espresso fängt mein Tag an.

Das heisst, Sie produzieren durchaus PET-Abfall.
Ja, nicht zuletzt im öffentlichen Raum.

Kein schlechtes Gewissen?
Mir geht es da momentan wie wohl vielen anderen: Ich kaufe solche Flaschen aus Bequemlichkeit und dem Angebot folgend, entsorge sie dann zwar schon an der richtigen Stelle verursache aber so eben auch Abfall.

PET wird komischerweise häufig nicht öffentlich gesammelt. (Walter Matter, Chef von Entsorgung + Recycling Bern, schaltet sich ein)
Der Handel hat sich freiwillig verpflichtet, PET-Recycling zu betreiben, deshalb hält sich die öffentliche Hand zurück. Weil viele Leute trotzdem nicht verstehen, wieso PET nur in Supermärkten zusammengetragen wird, haben wir jetzt ebenfalls angefangen, solche Sammelstellen zu betreiben. Zudem wurde die PET-Sammlung ins Abfall-Pilotprojekt integriert.
Ursula Wyss: Das macht sicher Sinn und wird geschätzt. Wir sehen ja, dass die Leute unglaublich seriös und ernsthaft trennen.

Nun gut, Frau Wyss, Sie trennen also immer und werfen eine PET-Flasche nie achtlos weg.
Achtlos sicher nicht, nein. Ich trage das leere Fläschli aber auch nicht den ganzen Tag in der Handtasche rum, um es dann zuhause sachgerecht zu entsorgen. Deswegen schätze ich das neue öffentliche Angebot.

Welche Note würden Sie sich punkto Abfalltrennung auf einer Schulnotenskala geben?
Ich würde sagen…irgendetwas um die 5.

Oh!
Ich betone: Das bezieht sich rein auf die Trennung. Wenn ich sehe, was mein Haushalt generell an Ghüder produziert, ist es insgesamt zu viel. Wir versuchen zwar, so wenig wie möglich fortzuwerfen, und trotzdem sind die Säcke immer voll, weil Tomaten und sehr vieles mehr häufig in Plastik eingepackt sind. Da würde ich mir dann kein «Gut» mehr geben.

Wer mittags einen Fertigsalat, etwas Aufschnitt und zwei Brötchen im Säckli kauft, produziert schon als Individuum unheimlich viel Abfall.
Das geht mir gleich. Wenn ich zum Beispiel beim Ängelibeck mein Picknick kaufe, habe ich die Wahl zwischen einem Salat mit dazugehörigem Ghüder oder ich gehe mit meinem eigenen Auffüllbehälter dahin, kann dann aber nur Suppe essen. Ich gestehe: ich nehme den Salat, obwohl ich somit Ghüder produziere. Suppe mag ich einfach nicht. Ich fände es daher super, wenn ich mit einem persönlichen Mehrweg-Schälchen Salat holen könnte.

Müssen wir denn ein schlechtes Gewissen haben, wenn wir ein Cola im PET und Salat in der Einweg-Plastikschale kaufen?
Eigentlich sind wir ja sehr gut informiert und wissen, was gut ist und was nicht. Wenn wir zum Beispiel sehen, welch grosse Abfallberge nach einem Essen übrigbleiben, finden wir das alle schon nicht so toll. Der nächste Schritt, den wir machen müssen, ist, Lösungen zu finden, die die Qualität erhalten, uns weiterhin Bequemlichkeit erlauben, aber gleichzeitig weniger Ghüder fabrizieren. Diesen Anspruch habe ich an erster Stelle bei den Produzenten all dieser Food-Angebote, jedoch auch bei unserem eigenen Konsumverhalten.

Was den Abfall anbetrifft, dürften Sie für einmal sogar Zuspruch aus dem bürgerlichen Lager erhalten. Oder gibt es einen Politiker, der sagt: Ja, doch, Abfall ist geil?
(lacht) Nein, das ist keine parteipolitische Frage. Anders ist es bei der plastikverarbeitenden Industrie. Da habe ich schon einmal ein Lobbyschreiben gesehen, in dem verlangt wurde, es solle keine Einschränkungen in irgendeiner Form geben. Aber sonst…wem gefallen schon Bilder eines mit Plastik vergifteten Fisches? Es geht doch darum, den Kreislauf sauber und am Schluss auch für uns gesund zu halten. Da brauchen wir noch nicht einmal die Moral zu bemühen.

Macht Ihnen die Abfall-Gesamtsituation Sorgen?
Die Herausforderung für uns, die die Thematik aus privilegierter Sicht anschauen, weil wir den verelendenden Thunfisch oder die stinkenden Müllhalden nicht direkt vor Augen haben, ist, die Sache trotzdem ernst zu nehmen. Deswegen ist entscheidend, dass wir im Grossen Lösungen finden, um den Plastikmüll zu reduzieren. In unserer «kleinen Welt» bin ich glücklich, dass wir die Abfalltrennung jetzt in die Haushalte bringen und nicht nur im öffentlichen Raum anbieten.

Global kann Bern respektive die Schweiz das Problem trotzdem nicht lösen.
Das ist immer die Ausrede, um nichts tun zu müssen. Wir lösen es, indem wir bei uns anfangen. Der Ghüder wird ja oft auch nicht bei uns vor Ort rezykliert, sondern exportiert. Deswegen haben wir gerade als entwickelte Wirtschaftsnation eine globale Verantwortung.

Also reden wir eben doch von der moralischen Vorbildsfunktion.
Dafür brauchen wir keine Moral. Oft geht es um Gewohnheiten und Gedankenlosigkeit. Als ich hier angefangen habe zu arbeiten, standen Plastikbecher und Plastikflaschen rum. Jetzt haben wir Gläser und Hahnenwasser, sprich: Kein Ghüder mehr und trotzdem keine Qualitätseinbusse. Es braucht oft so wenig.

Am 3. September starten Sie das Pilotprojekt mit dem Trennsystem kennen Sie die Farben der einzelnen Abfallsäcke eigentlich schon auswendig?
Lacht) Danke für die Frage! Ich kann sie unterscheiden, habe aber noch keine Ahnung, welche Farbe wofür steht. Der aus Papier ist fürs Papier. Jedenfalls werden alle Abfallsäcke ebenfalls rezykliert.

Nun handelt es sich um einen Test doch natürlich hoffen Sie, dass alles rund läuft und das System definitiv eingeführt wird.
Wovon wir in Bern definitiv loskommen müssen, sind die unsäglichen Ghüdersäcke am Strassenrand. Wir werden in Zukunft auf Container umsteigen. Wir haben dem Stadtrat allerdings gleichzeitig sehr klar deklariert, dass ein Scheitern möglich ist darum machen wir ja jetzt auch einen Pilotversuch und führen das neue System nicht per sofort ein. Die Umstellung auf den Container soll so attraktiv gestaltet werden, dass sie für die Bevölkerung mit einem grossen Zusatznutzen verbunden ist. Was uns freut, ist die grosse Zahl an interessierten Liegenschaftsverwaltern, schon von Anfang an. Am Schluss waren es deutlich mehr als die 2500, die wir jetzt berücksichtigen konnten. Und da sind längst nicht nur rot-grüne Wähler mit dabei.

Wie fast immer hat eine Neuerung Nachteile. Muss der Bürger jetzt einfach mehr bezahlen? Lassen sich die Zeitungen so wirklich klug bündeln?
Walter Matter: Wir sagen doch jetzt hier nicht, was wir negativ finden (lacht). Im Ernst: Ein Nachteil ist, dass wir für gewisse Dinge nun Plastiksäcke brauchen, die wir zuvor nicht mit Plastiksack gesammelt haben, das gilt etwa für Glas und Büchsen; Papier wurde vorher gebündelt. Ursula Wyss: Aber seien wir ehrlich: Ich bringe das Glas normalerweise in einem Plastiksack zur Sammelstelle. Den wasche ich zuhause dann nicht aus, sondern werfe ihn fort. Damit dürfte ich nicht alleine sein. Der Nachteil ist aus meiner Sicht der, dass es sich hierbei um etwas Neues handelt. Wir sind alle zunächst mal skeptisch, weil wir lieben, was wir kennen und wir uns bis hierhin keine Farben merken mussten. Matter: Es geht beim Test eigentlich mehr um Umsetzungsfragen. Wenn alle mitmachen, hat das System tatsächlich kaum Nachteile.

Nicht nur YB macht glücklich, sondern auch Abfalltrennung!
Wyss: Wir haben leider keine gelb-schwarzen Säcke (lacht).

Frau Wyss, Sie rufen zur Besetzung des öffentlichen Raums auf, haben soeben ein neues Velosystem eingeführt und nun noch die Abfallrevolution. Mit welchem Projekt wollen Sie sich als Nächstes ein Denkmal setzen?
Da können Sie sich überraschen lassen (lacht). Im Ernst: Mir geht es nicht um Denkmäler. Was mich beglückt, ist hingegen, dass dies alles Projekte sind, die von vielen in unserer Stadt geschätzt werden. Man kann die Dinge gebrauchen oder nicht. Wer sie braucht, ist damit meistens glücklich und zufrieden.

Klopfen Sie sich abends vor dem Zubettgehen ab und zu mal auf die Schulter?
Nein, sicher nicht (lacht). Lieber stehe ich morgens auf und nehme mir ein neues schönes Projekt vor.

Yves Schott

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