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«Auch Skeptiker haben ein Recht,mehr über das Vakzin zu erfahren»

Impfstoffe seien die Lösung vieler, wenn auch nicht aller Probleme, sagt Emma Hodcroft.Worauf die Berner Forscherin hofft und was sie beunruhigt.

Frau Hodcroft, die Corona-Fallzahlen in der Schweiz sinken. Die Situation ist erfreulich!
Darüber bin ich natürlich grundsätzlich froh. Ich persönlich würde allerdings viel mehr testen: Je häufiger wir das tun, desto tiefer die Positivitätsrate – und umso besser können wir die Situation analysieren. Aber ja, Sie haben Recht, die Situation ist erfreulich, vor allem, weil wir wissen, wie schnell sich die mutierte Variante des Virus derzeit ausbreitet.

Warum sind die Neuinfektionen nach Weihnachten und Neujahr nicht wie erwartet explodiert?
Das können wir nicht mit Sicherheit sagen. Was wir wissen, ist, dass jedes Mal, wenn wir die Kontakte reduzieren, auch die Zahl der Ansteckungen sinkt. Je stärker die Corona-Restriktionen, desto weniger Kontakte gibt es. Wir halten das Virus von dem ab, was es eigentlich tun möchte: sich weiterzuverbreiten. Es kam über die Feiertage zwar zu Kontakten in-nerhalb der Familien, dabei blieb es dann allerdings. Einiges hängt ausserdem davon ab, wie häufig wir draussen sind und ob wir reisen, so wie das etwa in den USA an Thanksgiving passiert ist.

Wie gefährlich ist denn die neue Variante des Coronavirus wirklich?
Der britische Premier Boris Johnson hat kürzlich erklärt, dass Mutation B117 tödlicher sei. Mit solchen Aussagen sollte man vorsichtig sein: Es ist momentan noch zu früh, um verlässliche Aussagen über die Tödlichkeit von B117 machen zu können. Was man hingegen tatsächlich sagen muss: Die neue Variante des Coronavirus ist deutlich ansteckender als sein Vorgänger, die Zahl neuer Ansteckungen könnte also rasch steigen. Das ist gefährlich, gerade für die Kapazität in den Spitälern.

Viele Menschen hoffen auf Lockerungen Ende Februar. Jetzt könnte der Bundesrat wegen der Mutation die Schraube sogar weiter anziehen?
Ich bin froh über die Massnahmen, die der Bundesrat vor rund zwei Wochen getroffen hat. Frühes Handeln war vor dem Hintergrund der Mutation sicherlich vernünftig. Wir müssen auf alle Eventualitäten vorbereitet sein: Aktuell sind die B117-Ausbrüche zwar lokal, doch sie steigen exponentiell. Sollten sich die Verschärfungen als zu hart herausstellen, kann man sie später immer noch zurücknehmen.

Wie beurteilen Sie denn die Vorgehensweise der Landesregierung im Frühling letztes Jahr?
Damals verfügten wir hinsichtlich des Virus über fast keine Informationen. Wir wussten schlicht zu wenig, ausser dass viele Menschen krank waren und starben. In der Retrospektive lässt sich sicherlich sagen: Überall dort, wo früh gehandelt und Masken verteilt wurden, lief die Pandemie milder ab als an anderen Orten. Überreagiert hat die Schweiz sicher nicht.

Also ist der schwedische Weg gescheitert?
Er war in Bezug auf die Mortalitätsrate sicher nicht gut. In Schweden verstarben massiv mehr Personen als etwa in Dänemark oder Finnland. Klar, man wollte einen gesunden Mittelweg zwischen Gesundheit und Wirtschaft wählen, doch auch in diesem Punkt schneidet Schweden schlechter ab. Nur: Im Nachhinein sind wir alle schlauer.

Die Impfkampagne läuft zwar, wenn auch schleppend. Ist das Vakzin das Allerheilmittel?
(Überlegt) Gute Frage. Sagen wir so: Die Impfung ist das Licht am Ende des Tunnels, aber wir befinden uns noch immer im Tunnel.

Etwas genauer bitte?
Der Impfstoff ist kein Zauberer, aber er wird uns helfen. Bloss ist das Virus damit nicht plötzlich weg. Das grösste Problem in diesem Zusammenhang sind Logistik und Produktion: Die ganze Welt will jetzt impfen. Zudem muss das Vakzin tiefgekühlt werden, es kann nicht einfach in eine Apotheke gebracht werden. Jeder benötigt zwei Dosen davon, zunächst kommen die vulnerablen Personen dran etc. Zusätzlich wissen wir zu wenig darüber, ob Geimpfte das Virus weiterverbreiten können. Deshalb dürfen sie auch nicht einfach ältere Menschen besuchen.

Wer die Diskussionen in den sozialen Medien verfolgt, erhält den Ein-druck, dass da draussen unzählige Impfskeptiker rumlaufen.
Das stimmt, doch ihre Zahl halte ich für ziemlich gering. Die ganz grosse Mehrheit vertraut der Impfung. Gewisse sind kritisch, weil sie gehört haben, der Impfstoff sei in weniger als einem Jahr entwickelt worden, was so nicht stimmt. Ich finde trotzdem, dass Skeptiker ein Recht dazu haben, mehr über das Vakzin zu erfahren. Was ist mRNA, was ist DNA? Es geht also nicht zuletzt darum, die Öffentlichkeit mit den nötigen Informationen zu versorgen.

Deutschlands Star-Virologe Christian Drosten warnte kürzlich vor einer dritten Welle im Sommer. Solche Aussagen schüren nur Panik und sind komplett unseriös.
Nun, wir lernen derzeit von Südafrika, dass sich das Virus sehr wohl bei warmen Temperaturen ausbreiten kann. Wieso? Weniger restriktive Vorschriften führen zu mehr Kontakten. Es wäre also falsch, zu denken, im Sommer könne kaum etwas passieren. Letztes Jahr waren wir zu leichtsinnig: Die Grenzen gingen auf, viele kehrten aus den Ferien mit dem Virus zurück. Das darf uns nicht nochmals passieren.

Buchläden sind geschlossen, Blumenshops geöffnet. Mit Verlaub: Absurder geht es kaum.
Manche dieser Massnahmen sind verwirrend, das ist korrekt. Wichtig ist aber, eine Linie zu ziehen, und das ist Sache der Politik. Ganz ohne Willkür geht es wohl kaum. Wir wissen: Wer spontane Kontakte reduzieren will, muss den Traffic einschränken, ohne die Wirtschaft zu fest zu schädigen. Wir sollten uns allerdings nicht zu stark darauf beschränken, weshalb etwas geschlossen ist, sondern darauf, möglichst wenige Menschen zu treffen.

Die meisten wünschen sich bloss eines: Endlich wieder ein normales Leben zu führen, im Sommer ein Konzert oder ein Fussballspiel zu besuchen.
Das muss unser Ziel sein, absolut. Wenn alle geimpft sind, können wir hoffentlich zur Normalität zurückkehren. Wir müssen uns allerdings auf Stolpersteine einstellen, schon nur, da es schwierig sein wird, die Impfung zeitnah zu allen Menschen zu bringen. Unser Wunsch: die Mehrheit der Bevölkerung geimpft zu haben, bevor es wieder kälter wird.

Was in dieser Pandemie auffällt: Die Wissenschaft wird in der Öffentlichkeit weiterhin von Männern beherrscht. In Zusammenhang mit Covid-19 stehen hingegen auffallend viele Frauen Red und Antwort. Fühlen Sie sich trotzdem als Aussenseiterin?
Das weniger, aber wir sind noch immer unterrepräsentiert. An den Unis studieren deutlich mehr Frauen, den wissen-schaftlichen Diskurs hingegen dominieren Männer. Hier halten sich halt diverse Stereotypen: Menschen vertrauen Männern in weissen Kitteln mehr als Frauen. Da liegt einiges an Arbeit vor uns.

Nicht zuletzt, was die Rolle innerhalb der Familie anbetrifft.
Oh ja (lacht). Auch in der Schweiz meint eine Mehrheit nach wie vor, Frauen seien jene, die sich hauptsächlich ums Baby kümmern müssten. Dabei können beide Elternteile Kinder aufziehen. Es gibt Traditionen, sicherlich, aber die dürfen auch mal ändern.

Sie sind halb Schottin und halb Amerikanerin. Wie häufig besuchen Sie normalerweise Ihre Heimat?
Meine Mutter in Texas sehe ich üblicherweise zweimal pro Jahr, Familie und Freunde inklusive meines Vaters in Grossbritannien etwa jeden zwei-ten Monat. Das liegt logischerweise etwas näher.

War es in den letzten vier Jahren schwieriger, Amerikanerin zu sein als auch schon?
Es ist vor allem hart, zwei Nationa-litäten zu haben (lacht). Ich weiss, worauf Sie hinauswollen: Klar wurde ich sehr häufig auf Donald Trump angesprochen, obschon ich nicht in den USA lebte. Wobei ich betonen möchte: Unsere Familie hält nicht viel von Trump.

Aus den Vereinigten Staaten nahmen Sie via Schottland Ihre Katze mit, die diesen Sommer mit 15 verstarb. Schaffen Sie sich eine neue an?
Eines Tages definitiv, allerdings nicht heute und morgen. Wir haben fast ein halbes Leben zusammen verbracht, es wird nicht einfach, sie zu ersetzen.

Sie beschäftigen sich derzeit praktisch nur mit dem Coronavirus. Was tun Sie abends, wenn Sie mal frei haben?
Ich lese. Aktuell «Das unsichtbare Leben der Addie LaRue» von V. E. Schwab. Ein grandioser Fantasy- Roman. Das reicht, um mich abzulenken.

Yves Schott

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