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Bei den Guggen gehören die schrägen Töne zum guten Ton

An der Pop-up-Fasnacht treten die beiden Berner Guggen Aaregusler Bern und Zinökler Köniz gemeinsam auf. Die 42-köpfige Gugge kann ihrem Auftritt locker entgegensehen, sie ist topfit. Der Bärnerbär hat der Hauptprobe beigewohnt.
Freitagabend, 25. Februar, 19.15 Uhr auf dem Areal des Feuerwehrstützpunktes an der Murtenstrasse 98. Die ersten Aaregusler- und ZinöklerMitglieder fahren auf den grossen Besucherparkplatz. Sie begrüssen sich herzlich, die Stimmung ist ausgelassen; als ob schon Fasnacht wäre. Und doch nicht ganz: Noch präsentieren sich die Fasnachts-Musikerinnen und -Musiker in Alltagskleidern und ungeschminkt. Heute findet die Hauptprobe für den bevorstehenen Gast-Einsatz an der Fasnacht vom 26. Februar im freiburgischen Plaffeien statt.

Von Tina Turner über Elvis Presley bis Beatrice Egli
Heute wird das ganze Repertoire durchgespielt, «möglichst ohne korrigierende Unterbrüche», wie Aaregusler-Major Stefan Hagi, kurz «Tambi» genannt, verrät. Dieses Repertoire umfasst insgesamt etwa 20 Hits, unter anderem Evergreens von Jennifer Rush, Nick Kamen, Elvis Presley und Polo Hofer. Die Bernerinnen und Berner werden es auch am Freitag, 4. März in der Kram- und Gerechtigkeitsgasse zu hören und sehen bekommen. Die beiden Guggen stellen sich im Halbrund auf, alle Spielenden an ihrem angestammten Platz, und stimmen ihre Instrumente ein. Um 19.45 Uhr begrüsst die Majorin der Zinökler, die 30-jährige Pflegefachfrau Jeanine Zimmermann, ihre Kolleginnen und Kollegen, und gibt den Einsatz zu «I Promised Myself» von Nick Kamen, dem 2021 verstorbenen britischen Fotomodell und Songwriter. Von blossem Dirigieren zu sprechen wäre untertrieben: Jeanine gibt vollen Körpereinsatz, hüpft, stampft, springt – so gehen Enthusiasmus und Leidenschaft! Wie wird man Majorin? Ein musikalischer Hintergrund sei unerlässlich, antwortet Jeanine Zimmermann. Die junge Musikerin spielt Saxophon, «kein typisches GuggeInstrument», wie sie einräumt. Das Saxophon gelte als Holz-Blasinstrument und sei in Guggen eher unüblich, weil es leise sei und daher klanglich mit den Blech- und Rhythmusinstrumenten nicht immer mithalten könne. Leader-Erfahrungen bringt sie mit, weil sie bereits eine Jugendmusik dirigiert hatte. «Wir studieren die Stücke ein, leiten die Proben, führen die Gugge durch die Fasnacht, kurz: Wir stehen immer vorne», umschreibt Aaregusler-Major Steffu Hagi die Aufgaben eines Majors respektive einer Majorin.

«Die falschen Töne kommen von selbst»
Beim zweiten Stück – «Wyssebüehl» von Polo Hofer – bereitet sich Stefan Hagi auf seinen Dirigiereinsatz vor. «Bei mir wirds etwas ruhiger, ich käme sonst physisch an meine Grenzen», schmunzelt er. Dabei braucht auch er sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, er ist Vollblut-Musiker und spielt in der Westside-Band Tuba, wenn er nicht die Aaregusler/Zinökler leitet. «I bi verliebt, äs isch äs herrlechs Gfüehl, i nes Meitschi vom Wyssebüehl, schalala, schalala…» Der Text wird bei der Gugge-Interpretation zur unvergesslichen Melodie von Polo Hofer wieder gegenwärtig, wir wippen zum Rhythmus des Ohrwurms. Wie kommt eine Guggemusig eigentlich zu den falschen Tönen, die sie auszeichnen? Stefan Hagi lacht: «Wir haben in der Gugge nicht nur Laienmusiker, welche sonst in einem anderen Klangkörper spielen, sondern auch solche, die sich das Spiel auf ihrem Instrument selber beigebracht haben. Da kommen die falschen Töne von selbst! Perfekt tönt es nie, muss es aber auch nicht.» Wir fragen Jeanine Zimmermann nach ihrem Lieblingsstück. Sie überlegt nicht lange und nennt den «Jailhouse Rock» von Elvis Presley aus den 1950er-Jahren. Sagts und gibt sogleich den Einsatz, ein tempogeladenes Stück ganz nach Jeanines Gusto. Der King of Rock hätte seine helle Freude.

Feiern trotz Ukraine-Krieg?
Das ist denn auch das Motto der Aaregusler und Zinökler für die diesjährige Fasnacht. Wegen der seit zwei Jahren herrschenden Ungewissheit, ob die Berner Fasnacht durchgeführt werden kann oder nicht, mussten die beiden Guggen empfindliche Mitgliederabgänge verzeichnen, ihre Register konnten nicht mehr aus eigener Kraft besetzt werden. «An einer Krisensitzung nach Weihnachten 2021 war das Echo der Zinökler eindeutig: Wir machen weiter!», erzählt Jeanine Zimmermann. Ein guter Entscheid, wie sich herausstellen sollte. Aber es war klar, dass dies für die Fasnachtssaison 2022 nur gemeinsam möglich sein wird. Da die Aaregusler und die Zinökler ein ähnliches Repertoire pflegen, nahmen sie miteinander Kontakt auf. Das gemeinsame Bestreiten der Saison war besiegelt – unbürokratisch, rasch und flexibel. «So haben wir eine Zielscheibe mit Pfeil auf unsere Kostüme genäht als Symbol für unsere Zusammenarbeit – ein Volltreffer!», strahlt Jeanine Zimmermann. Die beiden Guggen probten dann wöchentlich ohne Unterbuch gemeinsam und sind nun fit für ihre Fasnachtsauftritte. Aber kann man ungetrübt Fasnacht feiern angesichts des Krieges in der Ukraine? Dazu Stefan Hagi: «Ja, ich denke schon. Die Fasnacht lässt uns die schrecklichen Ereignisse einige Stunden vergessen. Wir dürfen uns dadurch nicht völlig lähmen lassen.»

Peter Widmer

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