Chris 22

«Bern neu gründen» – diese Idee spaltet die Gemüter!

Sie sind beide Berner. Wie ihre Heimatregion aussehen soll, davon haben FDP-Politikerin Claudine Esseiva und Andreas Kaufmann, der Bremgartner Gemeindepräsident (Grünliberale), jedoch ganz unterschiedliche Vorstellungen.

Claudine Esseiva, was möchten Sie mit Ihrem Verein erreichen?
Wir wollen Bern vorwärtsbringen. Bern ist geografisch sehr verzettelt, rundum sind zwölf Gemeinden, die eigentlich zu einer Stadtregion gehören. Ob ich in Bremgarten oder Wabern wohne – ich fühle mich als Bernerin. Deshalb sollen die realen, gesellschaftlichen Welten in der Politik widergespiegelt, die Zusammenarbeit verstärkt werden.

Andreas Kaufmann, was haben Sie gegen diese Pläne? Das tönt doch alles ziemlich vernünftig.
Bern neu gründen als Verein hat sicherlich seine Berechtigung. Ich erkenne in diesem Projekt aber keinen Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger von Bremgarten. Wir unterstützen hingegen die Machbarkeitsstudie, die zeigt, ob sich aus dieser Idee tatsächlich Vorteile ergeben oder ob das Ganze endgültig begraben werden kann.

Dieser Widerstand ist nicht neu. Ostermundigen unterstützt zwar eine Fusion, viele grosse Gemeinden wie Köniz, Muri oder eben Bremgarten äussern sich skeptisch. Esseiva: 
Ich möchte betonen: Es geht nicht um eine Einverleibung der anderen, sondern darum, wie eine Neuorganisation aussehen könnte. Ja, natürlich gibt es Widerstände, wir haben aber auch viele Fans. Wir möchten alte Befindlichkeiten hinter uns lassen. Bern etwa muss sich heute nicht nur regional behaupten, sondern vor allem national sowie international.

Konkret: Nennen Sie uns drei Beispiele, von denen die Bevölkerung profitieren würde!
Esseiva: Im Bereich der Raumplanung und der Kooperationen. Die Feuerwehr von Bremgarten ist schon heute mit jener von Bern zusammengeschlossen.
Kaufmann: Die Raumplanung wird schon lange regional organisiert, die müssen wir nicht fusionieren! Wir als Gemeinde sind fertig geplant und gebaut, Raumplanung als Stichwort lockt keinen Bremgärteler hinter dem Ofen hervor.
Esseiva: Ich rede von einem Mehrwert bei Verwaltungsthemen, bei denen die Zusammenarbeit zwar gut funktioniert, aber jedes Mal neu ausgehandelt werden muss.
Gut. Nächstes Beispiel.
Esseiva: Wichtig ist mir ebenfalls die demokratische Partizipation. Wir nutzen alle den gleichen Lebensraum und ich persönlich fände es schön, wenn Bremgarten mitentscheiden könnte, was in der Stadt Bern passiert.
Der dritte Punkt?
Esseiva: Die realen Lebenswelten, das Wir-Gefühl. Die Stadtregion ist der Wirtschaftsmotor des Kantons. Eine Stärkung dieses Leuchtturms wäre auch für Bremgärteler ein Mehrwert. Ich plädiere für mehr Selbstwertgefühl als Hauptstadt.
Knüpfen wir beim zweiten Punkt, der politischen Mitbestimmung an. Herr Kaufmann, Bremgarten möchte doch bei brisanten Themen wie etwa der Reithalle ebenfalls teilhaben können?
Eine Studie des Kantons Bern hat klar nachgewiesen, dass die Qualität der Demokratie bei Fusionen abnimmt. Es ist immer von Partizipation die Rede: Doch aufgrund der neuen Grösse Berns müssten dann beispielsweise Bürgerforen in den Quartieren gegründet werden. In Bremgarten existieren diese schon in Form der Gemeindeversammlung. Sprich: Wir würden uns anschliessen und mehr Steuern bezahlen, um das zu erhalten, was wir schon haben.
Esseiva: Ich würde mich freuen, wenn die Agglomerationsgemeinden beim Streitpunkt Reithalle mitreden dürften. Es käme ein neuer Wind in die Sache mit ganz anderen Befindlichkeiten.
Kaufmann: Zwei Contra-Argumente: Wir sind knapp 4500 Einwohner. Wir werden die Meinung Berns kaum relevant ändern können, dafür sind die Mehrheitsverhältnisse im Berner Stadtrat viel zu klar. Zudem hat Bremgarten in so gut wie allen kantonalen und nationalen Vorlagen gleich abgestimmt wie Bern. Würden wir mit Bern zusammengehen, würden sich diese Verhältnisse nicht ändern.
Esseiva: Wir als Stadtregion wären rund 300 000 Menschen. Da passiert etwas, auch bei den von Ihnen angesprochenen Mehrheitsverhältnissen, Herr Kaufmann! Vielleicht wären Rot-Grün in der Stadt oder die FDP in Muri dann weniger stark. Mario Branda, der SP-Stadtpräsident von Bellinzona, wo ein ähnliches Bündnis vollzogen wurde, hat das vor Kurzem sehr anschaulich erklärt. Er sagte, jeder müsse bereit sein, etwas zu verlieren, gleichzeitig aber Mehrwert daraus entstehen kann.

err Kaufmann, wehren Sie sich nicht zuletzt deshalb gegen eine Fusion, weil Sie befürchten, als kleine Gemeinde, etwa im Gegensatz zu Köniz mit rund 40 000 Einwohnern, in einem möglichen Grossbern kaum mehr gehört zu werden?
Den Vorwurf, den ich dem Verein Bern neu gründen mache, ist, dass ich, auch diesmal wieder, noch nie gehört habe, was tatsächlich der konkrete Nutzen eines Zusammenschlusses sein soll.
Esseiva: Es wird nicht alles effizienter und einfacher. Es liegt mir fern, falsche Versprechungen zu machen. Die Stadt Bern muss sich ebenfalls reformieren, so kennen wir hier im Gegensatz zu Zürich zum Beispiel keine Wahlkreise. Bümpliz ist im Vergleich zu seiner Bevölkerung im Stadtparlament von Bern klar untervertreten. Das stört mein Demokratieverständnis.
Bestätigen diese Aussagen Sie in Ihrer Wahrnehmung, dass Bremgarten nicht fusionieren muss?
Kaufmann: Es ist das, was ich auf der Strasse und im Sandkasten höre: Was bringt es uns? Was bedeutet das für uns monetär oder für die Schalteröffnungszeiten unserer Gemeindeverwaltung? Dass wir die zweitgrösste Stadt der Schweiz wären, ist den meisten egal. Wir denken als Schweizerinnen und Schweizer, da spielt es keine Rolle, ob wir Bremgärteler oder Berner sind.
Wir halten fest: Harte Fakten machen nur einen Teil der Debatte aus. Emotionale Faktoren sind mindestens genauso wichtig.
Kaufmann: Wenn mich jemand Kantonsfremdes fragt, woher ich komme, sage ich meistens, aus der Region Bern – und nicht aus Bern. Das wäre ja gelogen.
Esseiva: Ich kenne Personen, die von Bern nach Wabern gezogen sind und dann plötzlich festgestellt haben: Hoppla, das ist ja Köniz! Deswegen wollen wir eine Umfrage starten, um den Puls zu messen. Um von diesem Bauchgefühl wegzukommen. Was wollen die Leute wirklich, wie ist der Zeitgeist?
Hard Facts existieren natürlich schon, hier eine Zahl aus dem Jahr 2010: In Schweizer Gemeinden leben im Schnitt 3500 Einwohner, im Kanton Bern nur 920. Wir sind also Meister in Sachen Kleinräumigkeit.
Kaufmann: Na und? Man könnte die Gemeinden ja noch kleiner machen. Im Gegensatz dazu ist der Kanton überdurchschnittlich hoch verschuldet. Wenn wir zum Schluss kommen, dass unsere Kleinräumigkeit uns zu viel kostet, dann könnte man ja sagen: Wir hungern die kleinen Gemeinden aus, indem wir am FiLaG (Finanz- und Lastenausgleich, d. Red.) rumbasteln, damit sie fusionieren müssen. Das halte ich für allerdings keine gute Idee.
Würde Ihnen bei einer Fusion mit Bern das Herz bluten?
Kaufmann: Vermutlich schon ein wenig, ja. Ein gewisser Identitätsverlust ist normal, wenn man in etwas Grösseres aufgeht. Grundsätzlich sind wir verwaltungsmässig stärker mit Meikirch, Kirchlindach und Wohlen verwoben.
Dann schliessen Sie sich doch mit diesen Gemeinden zusammen.
Kaufmann: Nein, wir haben ja keine gemeinsame ÖV-Linie. Esseiva: Sehen Sie: Ein tolles Beispiel, das sehr anschaulich zeigt, dass gewisse Dinge gemeinsam angegangen und gelöst werden sollten.
Abschlussfrage an Sie beide: Was macht Bremgarten besser als Bern?
Esseiva: Die Verwaltung arbeitet sicherlich effizienter, schon rein wegen der Grösse. Genau darum geht es mir: Bern macht nicht alles gut und man darf der Stadt ruhig zeigen, dass es auch anders funktionieren könnte.
Was macht Bern besser als Bremgarten?
Kaufmann: Bern hat alleine durch seine Grösse viel mehr Möglichkeiten. Wir sagen immer: Wir haben eigentlich stets ein Projekt zu viel am Hals. Eine Fusion kommt dann zustande, wenn Bern so cool ist, dass wir unbedingt dazugehören wollen (lacht).

Yves Schott

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