Am Sonntag stimmt Bern über das Budget 2024 ab. Klar ist: Das Defizit wird damit noch grösser. Wird daher bald Berns Bevölkerung zur Kasse gebeten? Nein, sagt Finanzdirektor Michael Aebersold.
Das Stadtbudget 2024 plant ein Defizit von 39 Millionen Franken, was knapp 3 Prozent des budgetierten Aufwandes von 1,35 Milliarden entspricht. In der Finanzvorschau 2025 – 2027 sind ebenfalls Defizite von bis 50 Millionen Franken jährlich vorgesehen. Damit würden sich, rein rechnerisch, die noch vor einigen Jahren vorhandenen Reserven von etwa 100 Millionen plus in etwa 100 Millionen minus verwandeln. Folglich würden Steuererhöhungen, voraussichtlich nach den Wahlen 2024, unausweichlich, und die Stadt würde ihr aktuelles Privileg von verhältnismässig tiefen Steuern verlieren.
In solchen Situationen neigt die Gesellschaft dazu, die Verwaltung zu zwingen, nachzurechnen. Nicht so beim Budget in der linksten Stadt der Schweiz: Der Stadtrat empfiehlt das Budget und die längerfristige Finanzplanung mit 45 zu 25 Stimmen bei einer Enthaltung zur Annahme, und bei den politischen Mehrheitsverhältnissen in der Wählerinnen- und Wählerschaft bestehen keine Zweifel an einem komfortablen Ja an der Urne.
Ist das eine rot-grüne Trotzreaktion oder Ausdruck der Hoffnung, es werde alles nicht so heiss gegessen wie gekocht? Dafür gäbe es durchaus Beispiele. 2022 budgetierte der Berner Gemeinderat ein Defizit von rund 51 Millionen Franken und erzielte, dank unerwartet sprudelnder Steuereinnahmen, einen Überschuss von fast 15 Millionen. Das Ergebnis war also um gut 66 Millionen besser als erwartet. Allgemeine Wirtschaftszahlen (die Konjunkturforschungsstelle der ETH, KOF, prognostiziert Stagnation und Rückgänge in Tourismus und Industrie) und erhöhte Schuldzinsen dürften den Optimismus allerdings trüben.
Alles Pessimismus? Finanzdirektor Michael Aebersold gibt vorsichtig Entwarnung.
Michael Aebersold, wie gut schlafen Sie angesichts der Abstimmung von nächstem Sonntag?
Ich schlafe gut und bin sehr zuversichtlich, dass die Vorlage angenommen wird. Meine Direktion erarbeitete solide Entscheidungsgrundlagen. Seitens des Kantons wird bestätigt, dass wegen des budgetierten Defizits aktuell kein Grund zu Sorge besteht.
Hoffen Sie also auf Schlussabrechnungen wie 2022, als statt eines höheren Defizits ein satter Überschuss erzielt wurde? Welches Resultat erwarten Sie diesbezüglich für das laufende Jahr?
Das Prinzip Hoffnung gehört nicht zur seriösen Finanzpolitik. So hohe Steuermehreinnahmen wie 2022 sind selten. 2021 budgetierten wir, unter dem Einfluss der Corona-Krise auf die Wirtschaft, vorsichtig. Die Wirtschaft erholte sich glücklicherweise rasch. 2023? Der Trend ist positiv, es zeichnet sich ein besseres Ergebnis ab als budgetiert, aber nicht in dem Ausmass wie 2022.
Für 2024 und danach warnen Sie vor Panik. Ihre Vorschau zeigt ein anderes Bild.
Der Finanzplan 2025 – 2027 ist eine Momentaufnahme. Aktuell besteht ein Bilanzüberschuss von 96 Millionen Franken und für die Sanierung von Schulen, Eis- und Wasseranlagen haben wir 172 Millionen in Reserve. Unsere Prognose bildet als Worst-Case-Szenario eine theoretisch mögliche Entwicklung ab. Sie blendet aus, dass wir jedes Jahr den Rechnungsabschluss analysieren und alles daran setzen, damit dieses Szenario nicht eintritt. Aber wir müssen weiterhin sorgsam sein.
Was stimmt Sie optimistisch?
Bern ist der Wirtschaftsmotor des Kantons und liefert über die Hälfte seines Steuerertrags an den Kanton ab; jährlich über eine Milliarde. Es gibt keine Anzeichen, dass die Wirtschaftskraft der Stadt abnimmt. Gleichzeitig kommen auch neue Einnahmen dazu, etwa aus den höheren Parkgebühren.
Die Stadt könnte aber auch Ausgabenreduktionen beschliessen. Es gibt sicher nicht benötigte Nice-to-haves.
Stimmt. Die mit 250 Millionen Franken veranschlagte «Museumsinsel» im Kirchenfeld, ein Museumspark, welcher die Stadt sicher aufwerten würde, kann in den nächsten Jahren von der Stadt nicht mitfinanziert werden. Oder das Projekt der Velobrücke zwischen Breitenrain und Länggasse: Die Realisierung fällt in den kommenden Jahren aus den Traktanden.
Erklären Sie uns trotzdem, wie es zu den budgetierten Defiziten kommt. 2021 wurde ein Stellenabbau versprochen. Wir stellen jedoch fest, dass die Verwaltung um 50 Vollzeitstellen wächst, proportional stärker als die Einwohnerschaft.
Der Stellenausbau widerspiegelt das Stadtwachstum. Wir verzeichnen ein Plus von 130 Schulklassen in zehn Jahren! Das benötigt zusätzlichen Raum, mehr Betreuung, Musikunterricht … für den Schulunterricht wurden 9000 iPads angeschafft.Die Sanierung der Schulhäuser und Schwimmbäder – alles millionenteure Projekte. Auch bauliche Anpassungen zur Erreichung höchster Umweltstandards sind nicht gratis zu haben.
Doch bei all diesen Beispielen geht
es um Investitionen in die Zukunft. Sie zu verschieben wäre unverantwortlich. Selbstverständlich legen wir Wert darauf, so viel wie mög-
lich ohne Verschuldung zu finanzieren.
Was entgegnen Sie dem bürgerlichen Lager, welches – auch aufgrund des mit etwa 35 Prozent sehr tiefen Selbstfinanzierungsgrades der Stadt – eine Steuererhöhung prophezeit?
Heute haben wir noch den Spielraum, den Steuerfuss, welcher deutlich unter dem kantonalen Mittelwert liegt, zu halten. Und in den Jahren nach 2000 hat die Stadt bewiesen, dass sie auch Schulden abbauen kann.
Vielleicht auch, weil Sie nach dieser Legislatur als Gemeinderat zurücktreten?
(lacht) Im Januar 2025 werde ich 63 und habe dannzumal 25 Jahre aktive Politik hinter mir. Deshalb trete ich im Herbst des nächsten Jahres nicht mehr an.
Lahor Jakrlin