In der Stadt und Umgebung schiessen neue Restaurants wie Pilze aus dem Boden. Das freut Berns neuen Gastropräsidenten Beat Hostettler. Doch für viele Lokale beginnt die kritische Phase erst jetzt.
Sie sind seit knapp zwei Monaten Präsident von Gastro Stadt Bern. Wie war Ihr Start?
Was ich deutlich spüre, ist eine enorme Unterstützung – sowohl seitens der Behörden wie der Gastrobetreiber. Es herrscht eine angenehme Tonalität, die Kommunikation funktioniert. Man wird richtiggehend getragen. Das fägt!
Seit rund einem Jahr dürfen die Beizen wieder uneingeschränkt Gäste bedienen. Wie geht es Ihren Betrieben?
Sagen wir: Ich habe ein lachendes und ein weinendes Auge. Lachend, weil endlich wieder gewirtet werden darf. Die Freude, Gastgeber zu sein, ist riesig. Das weinende Auge bezieht sich auf den Personalmangel. Er drückt auf die Stimmung und tut ein bisschen weh. Und man fragt sich: Wo sind all die Menschen hin, die vor Corona die Leute bedienten?
Wie lautet Ihre Antwort?
Sie zerstreuten sich in ganz verschiedene Richtungen. Manche haben sich umschulen lassen, Weiterbildungen gemacht … andere fanden eine neue Stelle im Detailhandel oder auf dem Bau. Eine weitere Gruppe ging zurück in ihr Heimatland.
Lancieren Sie nun eine Werbekampagne, um neues Personal zu finden?
Wir müssen das Jobprofil von Anfang an sauber durchdenken. Das heisst: Lernende früh abholen, sie rekrutieren – und ihnen die Tätigkeit so verkaufen, wie sie ist: attraktiv, aber anstrengend. Ausserdem machen wir uns Gedanken, wie wir die Arbeit noch lukrativer gestalten können: bei der Entlöhnung oder bei der Flexibilität der Zimmerstunden beispielsweise. Damit sich Junge abgeholt fühlen.
Sprich: Sie wollen näher am Puls der Zeit sein.
Früher war ein Beruf ein Kampf, man musste mit dem Einkommen die Familie durchbringen. Es wurde richtig «gekrampft». Heute steht eher die Work-Life-Balance im Vordergrund. Ich meine das nicht wertend; doch die Zeiten haben sich geändert.
Bloss: Neue Arbeitskräfte finden Sie nicht von heute auf morgen.
Das ist klar, wir sprechen hier von einem langen Prozess. Aber wenn wir jetzt gemeinsam anpacken, schaffen wir das. Nehmen Sie die Online-Plattform von Gastro Bern, auf der sich ukrainische Flüchtlinge auf einen Job im Gastgewerbe melden können. Das sind schnelle, innovative Lösungen. Ähnliche Ideen braucht es nun bei der Nachwuchsförderung.
Zu wenig Personal, dafür volle Lokale. Kann der aktuelle Ansturm auf Beizen die Umsatz-Ausfälle der letzten zwei Jahre wettmachen?
Nein, das wäre eine Illusion. Die Leute trinken ja jetzt nicht plötzlich fünf Kafis auf einmal. Abgesehen davon beginnt jetzt für viele in der Branche eine harte Phase, da sie die staatlichen Kredite zurückzahlen müssen.
Wissen Sie von Sorgenkindern? Beizen in Bern, denen das Wasser bis zum Hals steht?
Die Luft ist generell dünn. Ich jedenfalls kenne keinen Betrieb, der aktuell sagt: Uns geht es wunderbar! Jeder und jede muss irgendwo Abstriche machen: beim Angebot oder bei den Öffnungszeiten. Es gibt Terrassen, die für 300 Gäste konzipiert sind, momentan allerdings kaum mehr als 25 Tische aufweisen. Der grösste Teil der Kundinnen und Kunden zeigt zum Glück Verständnis dafür. Die Situation ist tendenziell kritischer als vor Corona, obschon einige dank ihrem Standort oder einem guten Konzept Vorteile geniessen.
Ihre Einschätzung gilt sowohl für Fünfsterne-Betriebe wie für die einfache Quartierbeiz?
Absolut. Sehen Sie: Für manche Restaurants geht es schlicht darum, bei den Gästen nicht in Vergessenheit zu geraten. Denn nicht wenige haben kein finanzielles Pölsterchen, um die angespannte Lage abfedern zu können. Schwierig wird es insbesondere für jene, die schon vor der Pandemie auf dem Zahnfleisch liefen. Hart traf es zudem die, die wegen des Virus ihre Eröffnung verschieben oder sogar komplett absagen mussten.
Wer sich derzeit umsieht, stellt fest: Neue Lokale schiessen in Bern und Umgebung wie Pilze aus dem Boden. Corona zum Trotz scheint Wirten nach wie vor attraktiv zu sein.
Ich teile Ihre Beobachtung – und diese Entwicklung freut mich natürlich enorm. Ja, da sind Leute, die mit ihrem hart ersparten Geld etwas aufbauen. Ganz unterschiedliche Einrichtungen mit eigenen Konzepten. Berns Gastronomie lebt. Das ist toll!
Zu sehen ist diese Diversität unter anderen bei den beiden neuen Restaurants im BäreTower in Ostermundigen. Gemeindepräsident Thomas Iten meinte im Bärnerbär-Interview vor kurzem übrigens, die Zeit der traditionellen Landgasthöfe sei wohl abgelaufen.
Ich widerspreche Herrn Iten logischerweise nur ungerne. (lacht) Ich würde es mal so formulieren: Landgasthöfe sind nicht per se dem Tod geweiht – sie müssen aber wohl oder übel ändern ihr Konzept und ihr Erscheinungsbild ändern. Gleich zwei Landgasthöfe wie die Traube und den Sternen in Köniz: Nein, das wird es so wohl kaum mehr geben. Aus Ostermundiger Sicht verstehe ich Herrn Itens Einschätzung: Die Gemeinde hat einen städtischen Touch, dort sind eventuell andere Bedürfnisse gefragt.
Eine Art Richtungsänderung forderten Anfang dieses Jahres auch sogenannt «linke» Lokale wie etwa das Kapitel im Bollwerk. Sie würden sich, so hiess es, bei Ihnen im Verband nicht mehr richtig aufgehoben fühlen.
Ich habe dazu eine klare Haltung: Wir arbeiten alle in der Gastronomie und sitzen ergo im gleichen Boot. Sicherlich lief in der Vergangenheit einiges nicht immer optimal. Das möchte ich jedoch unkommentiert lassen, denn als neugewählter Präsident kann ich bloss die Zukunft beeinflussen. Ich stehe privat mit mehreren Personen in Kontakt, und wir pflegen einen guten Austausch untereinander. Unser oberstes Ziel ist es, Gäste zu verwöhnen – da ist es egal, ob jemand politisch links oder rechts steht.
Finden Sie es denn richtig, wenn dezidiert linke Wirtinnen politische Gruppen ausladen, weil sie ihnen ideologisch nicht ins Bild passen?
Jeder Beizerin steht es frei, wen sie bedienen möchte. Wir sind generell froh, wenn Gäste kommen. Ich weiss, auf welchen Fall Sie ansprechen. Ich möchte das nicht weiter ausführen. Aus Sicht der Inhaberinnen wird deren Vorgehen wohl seine Gründe haben.
Für Aufruhr sorgte im Frühling die Meldung von Regierungsstatthalterin Ladina Kirchen, die Aussenbestuhlungsflächen zurückzubauen. Mittlerweile hat man sich darauf einigen können, dass diese bis im Herbst bestehen bleiben dürfen.
Wir haben mit Frau Kirchen sehr konstruktive Gespräche geführt, das Einvernehmen ist freundlich. Ein Plan, wie es nach Ablauf der Frist weitergeht, existiert noch nicht. Wir sind allerdings zuversichtlich, einen für alle Seiten vernünftigen Weg zu finden. Klar: Wir Gastronomen freuen uns über den zusätzlichen Platz; die meisten Gäste wohl ebenso.
Die momentan steigenden Corona-Fallzahlen sorgen für neue Unruhe. Sind Ihre Mitglieder auf den Herbst vorbereitet?
Stand heute gibt es von unserer Seite her keine speziellen Empfehlungen. Wir überlassen die Verantwortung den jeweiligen Betreibern – die meisten dürften ihre Schutzwände und Desinfektionsmittel irgendwo griffbereit haben. Wir haben in den letzten zwei Jahren viel über den Umgang mit dem Virus gelernt: Hände waschen, Abstand halten, Maske tragen. Ich denke, wir sind für Herbst und Winter bereit. Eines ist aber klar: Ein erneuter Lockdown wäre verheerend.
Yves Schott