Aufgeregte Marzili-Fans, erwartungsvolle Beizer, streikende Esoteriker: Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) kämpft derzeit gleich an mehreren Fronten. Ein möglicher Ausblick auf den Sommer 2020.
Freuen Sie sich auf den Sommer?
Ja, obwohl er sicherlich etwas speziell wird. Ich hoffe auf einen Sommer, den ein Grossteil der Bevölkerung in Bern oder irgendwo sonst in der Schweiz verbringt. Es bietet sich schliesslich die Chance, das Regionale wiederzuentdecken. Und ich nehme an, dass der Tourismus bereits innovative Pläne geschmiedet hat.
Rechnen Sie mit einer zweiten Pandemie-Welle?
Wir sind jedenfalls darauf vorbereitet. Dazu muss ich allerdings sagen: Die Corona-Krise traf uns nicht unvorbereitet, die Epidemie-Pläne lagen pfannenfertig in der Schublade. Und ich finde, sie haben die Feuertaufe bestanden. Stand heute ist das Fazit positiv. Was uns hingegen überrascht hat, ist die zeitliche Dimension der Krise.
Dennoch wurde Bern zum Glück nicht mit voller Wucht vom Coronavirus erfasst, die Spitäler kamen nie an den Anschlag. Würden Sie bei einem erneuten Ausbruch der Seuche alles nochmal gleich anpacken?
Wir gehen davon aus, dass wir eine zweite Welle ohne kompletten Lockdown bewältigen würden. Das bedeutet gleichzeitig aber auch, weitere Konzepte auszufeilen: Was passiert in einem solchen Fall mit den Schulen oder dem öffentlichen Verkehr? Man müsste versuchen, die Infrastrukturen so aufrecht zu erhalten, als ob es keine Pandemie gäbe.
Bars und Restaurants dürften in diesem Sommer eine noch wichtigere Rolle als sonst spielen, da andere Kulturbetriebe und -veranstaltungen verboten sind.
Die Belebung der Innenstadt hat hohe politische Priorität, um jene Publikumsfrequenzen zu erreichen, die nötig sind, damit Waren- und Gasthäuser überleben können. In der Gastronomie soll die Aussenbestuhlungsfläche pragmatisch insofern vergrössert werden, dass sie über die gleichen Kapazitäten verfügen wie bisher und keine weiteren Einbussen in Kauf nehmen muss. Bestehende Betriebe geniessen dabei klar Priorität.
Nicht alle Bars und Beizen haben allerdings die Möglichkeit, Aussenraum zu nutzen.
Wir führen derzeit Dutzende von Gesprächen und klären ab, welche Bedürfnisse überhaupt bestehen und wo Platz vorhanden ist, den zur Verfügung gestellt werden könnte. Ich denke etwa an den Bundes- oder den Münsterplatz. (Stand Freitag hatten bereits rund 100 Betriebe Erweiterung am Laufen, Anm. d. Red.)
Dort handelte es sich aber nur um eine temporäre Bestuhlung, weil mehrmals pro Woche ein Märit stattfindet.
Es wird zweifellos Flexibilität gefragt sein. Man kann den Bundesplatz natürlich nicht mit Barelementen füllen. Abgesehen ist es der freie Entscheid des Inhabers, ob er solch ein Konzept umsetzen kann und will. Häufig fehlt es etwa an geeignetem Mobiliar.
Was ist mit den beliebten Popups?
Vier Betriebe haben eine Bewilligung erhalten, doch ihre Nutzung hängt in der Schwebe. Denn bei Pop-up-Bars handelt es sich um bewilligte Veranstaltungen im eigentlichen Sinn. Dort bräuchte es zuerst also eine Lockerung des Versammlungsverbots seitens des Bundesrats. Diese dürfte, wenn sich die Zahlen weiterhin gut entwickeln, im Verlauf des Junis erfolgen.
Die erweiterten Gastroflächen kritisieren gewisse bürgerliche Kreise als Vorwand, den motorisierten Verkehr weiter einzuschränken.
Das wäre definitiv kaum im Sinn und Geist unserer Direktion, schliesslich spielen ÖV-Achsen eine wichtige Rolle – Rettungswege darf man ebenfalls nicht vergessen. Es wurde auch verschiedentlich der romantische Wunsch geäussert, die ganze Stadt zu bestuhlen. Doch was nützt uns das, wenn es in der Unteren Altstadt brennt und dem Feuerwehrauto der Weg versperrt ist?
Also kein riesiges Open-Air-Café auf dem Bundesplatz?
Bei allem, was im öffentlichen Raum Eventcharakter annimmt, liesse sich schlecht gewährleisten, dass nicht plötzlich 500 Leute an einem solchen Anlass teilnehmen. Selbst wenn die Idee sympathisch ist: Sie verkennt die mannigfachen Nutzungsbedürfnisse im öffentlichen Raum. In den Parkanlagen müssen Freiflächen zur Verfügung stehen, Anwohnerinnen und Anwohner haben ein gewisses Ruhebedürfnis. Deswegen müssen wir ständig ausprobieren und anpassen, im Wissen darum, es nie allen recht machen zu können.
Werden wir in diesem Sommer wenigstens im Marzili baden dürfen?
Es existieren verschiedene Szenarien: ein Einlass via Tröpfchensystem, die gültigen Hygienemassnahmen, Abstand halten. Längen schwimmen wird sicher möglich sein, das bekannte Tüchlein-an-Tüchlein-Bild halte ich hingegen für unrealistisch.
Was ist mit Sünnele auf dem Rasen?
Wenn alle ihr Badetuch im Marzili auslegen wollen, wird es logischerweise schwierig. Sucht sich hingegen jeder einen anderen Aareabschnitt aus, sieht die Situation schon anders aus. Wobei das Aareschwimmen dann nochmals eine andere Herausforderung darstellen wird.
Planen Sie, die Ein- und Ausstiege zu kontrollieren?
Wir haben bereits an Ostern probiert, den öffentlichen Raum, so gut es ging, zu managen. Ein Infoteam der Stadt war unterwegs, Polizeipatrouillen ebenfalls. Im Perimeter des Tierparks, wo sich grössere Menschentrauben bildeten, haben wir zusätzlich auf die Social-Distancing-Regeln hingewiesen. Ähnliches liesse sich zum Beispiel auf dem Schönausteg realisieren.
Was tun Sie, wenn der Bundesrat entscheidet, dass Badeanlagen und Seen ganz zu schliessen sind?
Dann würde dieser Beschluss auch für die Aare gelten.
Ein Wort noch zu den CoronaMassnahmen-Gegnern auf dem Bundesplatz.
Eine extrem ärgerliche Sache. Ärgerlich für jene, die die Pandemie ernst nehmen und ärgerlich für die Wirtschaft, die den Lockdown beenden will. Für diese Art des Protests habe ich null Verständnis. Diese Menschen verhalten sich zwar friedlich, jedoch äusserst renitent.
Müsste man solche Personen nicht härter anpacken?
Moment: Es gab zig Verzeigungen. Für die Polizei ist diese Art von Einsatz wegen des Ansteckungsrisikos ausserdem sehr unangenehm. Wir lösen die Kundgebungen auf, aber das benötigt Zeit. Würden wir Wasserwerfer einsetzen, hiesse es sofort, wir würden unverhältnismässig handeln.
Es heisst, die Bevölkerung solle derzeit das heimische Gewerbe unterstützen. Haben Sie schon ein Café besucht?
Ja, ich habe vergangene Woche mein Apéro im Restaurant Parlament eingenommen. (lacht)
Yves Schott
PERSÖNLICH
Reto Nause, geboren am 17. Juni 1971 in Birmenstorf AG, ist seit 2009 Gemeinderat der Stadt Bern. Er studierte Geschichte, Politologie und Staatsrecht an der Uni Zürich. Danach war er von 1994 bis 1996 Präsident der Jungen CVP des Kantons Aargau und unterstützte Doris Leuthard 1999 bei deren Wahlkampf. Von 2004 bis 2008 war er Mitglied des Berner Stadtrats. Nause ist Direktor für Sicherheit, Umwelt und Energie, hat zwei Söhne und lebt in Bern.