In Bern ist Urban Gardening hip. Seit Jahren. Nun, im Zuge der Corona-Krise, hat die Beliebtheit nochmals zugenommen. Ein Stadtrundgang.
Trends heissen so, weil sie von zeitlich begrenzter Dauer sind. Irgendwann hat es sich ausgeplankt, ist jedes Pokémon gefangen und wandert das Shirt, das anno dazumal für ach so stylish befunden wurde, in die Altkleidersammlung. Urban Gardening als Trend zu bezeichnen, würde diesem ökologisch prickelnden Bepflanzungserlebnis deswegen auf keine Art und Weise gerecht werden. Das Phänomen, eine Stadt mit Kräutern, Gemüse und Früchten aufzuwerten, hat sich längst etabliert. «2012 entstanden in Bern die ersten Urban-Gardening-Projekte», sagt denn auch Giovanna Alonge, städtische Sachbearbeiterin für Familiengärten. 65 solcher Projekte wurden bis heute insgesamt realisiert, 47 sind aktuell. Sei es der BeerenNaschgarten im Schöngrün-Quartier oder der Gemeinschaftsgarten Wyssloch neben dem Egelsee – es spriesst und sprosst überall.
Druck auf die Gärten ist gross
Die Motivation der Hobbygärtnerinnen- und gärtner ist laut Philippe Marti, Bereichsleiter Friedhöfe und Stadtgärten, klar: «Man weiss, woher die Pflanzen stammen, wie sie aufgezogen wurden und was dahintersteckt. Das riecht und schmeckt anders als die spanische Gurke vom Grossverteiler.» Und so bemüht sich Bern sichtlich, der Bevölkerung möglichst viele öffentlich-zugängliche Orte und Flächen für ihr grünes Treiben zur Verfügung zu stellen – der Platz allerdings dafür ist reichlich knapp, wie Philippe Marti erläutert: «Es existieren dermassen viele Begehrlichkeiten: Wohn- und Schulraum, Badeanlagen, Sporteinrichtungen…der Druck auf die Urban-Gardening-Flächen und insbesondere auf die Familiengartenareale ist gross. Wir setzen uns dafür ein, sie möglichst zu erhalten oder Ersatzflächen bereitzustellen.» Zum Glück handelt es sich dabei häufig um einfache Installationen: Der Gemeinschaftsgarten Wyssloch, der bald einem Schulhaus weichen muss, kann einfach um einige Meter verschoben werden. Nicht immer findet sich so einfach ein Ersatzangebot. «Ein geeignetes Projekt sollte maximal fünf bis zehn Minuten Fussdistanz von zuhause entfernt sein; man will ja kaum quer durch die Stadt fahren, um zu seinem Beet zu gelangen», meint Marti. Eigentlich könnten die Engpässe und damit der Druck auf die Urban-Gardening-Flächen rasch beseitigt werden – namentlich auf privatem Grund. «Dazu müssten Mieter die Rasenfläche vor ihrem Haus umnutzen.» Bloss seien Liegenschaftsverwaltungen und Hausbesitzer häufig noch nicht bereit dazu, findet Alonge. Marti ergänzt: «Hier liegt ein gewaltiges Potenzial brach.»
Gärtnern für 20 Franken im Jahr
Dafür ist Urban Gardening in Bern äusserst günstig. Eine Palette für den zukünftigen Kopfsalat oder den wohlriechenden Salbei auf dem Areal hinter der ehemaligen Feuerwehrkaserne Viktoraplatz etwa kostet gerade mal zwanzig Franken – pro Jahr! Kiste, Lieferung, Pflanzenerde und Abtransport inbegriffen. Ausserdem ist die Stadt um Wasserhähne (immer) und Komposttonnen (häufig) besorgt. Ein echtes Schnäppchen. «Es ist ein symbolischer Preis», erklärt Giovanna Alonge. «Wir wollen nicht daran verdienen. Auch jemand, der von der Sozialhilfe lebt, soll seine Cherrytomaten anbauen können.» Die absichtlich niedrig angesetzten Kosten für die Hobbygärtner sind kein Zufall: Mit Urban Gardening soll der öffentliche Raum nicht zuletzt belebt und damit sicherer gemacht werden. Um es in Alonges Worten auszudrücken: «Es bildet sich eine Gemeinschaft. Menschen, die sich zuvor noch nicht gekannt hatten, grillieren zusammen.» Öffentlichkeitsarbeit mal anders.
Boom wegen Corona-Krise
Derzeit dürfen sich Quartierbewohnerinnen- und bewohner zwar nur bedingt nahekommen und grössere Events veranstalten. Stoppt das Coronavirus also Urban Gardening? Im Gegenteil. Alonge spricht von einem regelrechten Ansturm: «Ich könnte derzeit doppelt so viele Familiengartenparzellen verpachten als sonst, alle paar Tage erhalte ich Dutzende Anrufe und Mails. Verschiedene hätten am liebsten sofort irgendwo ein neues Plätzchen für ihre Saat. Allerdings ist das wegen teils langer Wartelisten häufig schlicht unmöglich.» Beten für Beeren – in Bern momentan keine Seltenheit. Der Grund dafür scheint auf der Hand zu liegen: Weil es sonst bloss beschränkte Freizeitmöglichkeiten gibt, wollen sich Bernerinnen und Berner im Garten engagieren. Die weltweite Seuche und der damit verbundene Fokus auf die eigene Lebenswelt haben den Wunsch nach regionalen Lebensmitteln zudem weiter verstärkt. Doch schon vor der Covid-19-Pandemie nahm die Nachfrage nach Urban Gardening zu, gerade in den letzten zwei Jahren. Gärtnern ist hip und sexy. Ich säe, also bin ich.
Yves Schott