Das Thema Schule wirft wegen weit auseinandergehender Ansichten zu Lerninhalten, Aufgaben der Lehrerschaft, Klassenzusammensetzungen und Kosten hohe Wellen. «In Diskussionen vergessen viele, um was es wirklich geht», sagt Regierungsrätin Christine Häsler, «nämlich um das Recht der Kinder auf eine gute Ausbildung».
Tatsache ist, dass es aufgrund vielfältiger politischer Vorstellungen und Begehrlichkeiten, für die ‹perfekte Schule› keine Patentlösung gibt. Das wird im Gespräch mit Regierungsrätin Christine Häsler, sie ist seit fünf Jahren Chefin der Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern, rasch klar. Zu heterogen seien die heutige Gesellschaft und Interessen. Hinzu komme, wie in den meisten Branchen, der Fachkräftemangel – es fehlen Lehrerinnen und Lehrer. Wie also geht die Regierungsrätin mit den aktuellen Herausforderungen um?
Frau Häsler, beschreiben Sie uns bitte das Spannungsfeld, in welchem sich die Schulplanung heute befindet.
Am Tisch sitzen direkte und indirekte Gesprächspartner. Vorab ist es der Verband der bernischen Gemeinden VBG ACB, denn die Gemeinden sind die Direktverantwortlichen für ihre Schulen und die Arbeitgeberinnen der Lehrerschaft. Dann «Bildung Bern», der Berufsverband beziehungsweise die Gewerkschaft der Lehrerschaft und pädagogisch ausgebildeter Bildungsfachleute. Der bernische Berufsverband der Schulleitungen ist ein weiterer wichtiger Gesprächs-, Informations- und Planungspartner. Gleichzeitig müssen wir als Regierung auch alle indirekten Interessen berücksichtigen, die der Bürgerinnen und Bürger allgemein, und jene der Eltern insbesondere.
Sie erwähnten am Anfang des Gesprächs die Heterogenität der Gesellschaft, wie meinen Sie das?
Stellen Sie sich einmal die «typische» Schulklasse von vor 40 oder 50 Jahren vor und vergleichen Sie dieses Bild mit einer Klasse von heute. Dazwischen liegen Welten, die Gesellschaft hat sich eigentlich in jeder Beziehung enorm gewandelt. Die Lehrerinnen und Lehrer sind heute mit viel mehr Muttersprachen, Lebenswelten und Sitten konfrontiert, Mehr- und Minderheiten in Klassen sind meist nicht mehr die gleichen wie vor drei oder vier Jahrzehnten. Heterogenität, Migration, die Medien und die Informatik ganz generell beeinflussen den Schulalltag erheblich. Daraus entstehen andere Rahmenbedingungen, welche die Lehrerschaft stemmen muss. Auf Schülerinnen und Schüler einzugehen, ist viel komplexer geworden. Die Zeiten, in denen den Kindern Wissen vorrangig im Frontalunterricht vermittelt wurde, sind vorbei. Es wird erwartet, dass die Lehrpersonen vertiefter auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder eingehen, die Lernumgebung und die Lernaufgaben entsprechend gestalten.
Welche anderen Rahmenbedingungen sprechen Sie an?
Die Anforderungen wachsen an vielen Fronten. Ein Stichwort ist die Elternarbeit, neben dem Unterricht ein zusätzlicher zeitlicher Aufwand. Heutzutage äussern die Eltern, nicht zuletzt dank einer verbesserten Vernetzung, ihre Erwartungen vermehrt.
Das klingt nicht gerade nach einer optimalen Motivation, mehr junge Menschen für den Lehrberuf zu begeistern und den Lehrer:innenmangel zu bewältigen.
Die Realität des Fachkräftemangels trifft ja nicht nur die Schulen, es geht ihnen effektiv nicht anders als dem Handwerk, Gesundheitswesen, Tourismus, der Landwirtschaft, Industrie und so weiter. Mit unseren Partnern setzen wir deshalb alles daran, die Attraktivität des Lehrerinnen- und Lehrerberufs hervorzuheben. Dazu gehört eine Menge von Massnahmen.
Nennen Sie uns die wichtigsten.
Zunächst einmal sind gesellschaftlicher Wandel und heterogenere Klassen nicht per se negativ. Sie haben die Aufgabe der Lehrpersonen fraglos verändert, in vielem jedoch zum Besseren, Abwechslungsreicheren. Dieser Wandel betrifft sämtliche Berufsfelder, insbesondere im technologischen Sektor; Lehrerinnen und Lehrer erfahren ihn zusätzlich auf der zwischenmenschlichen Ebene. An vielen Dingen hat sich dennoch nichts verändert: Der Lehrerinnen- und Lehrerberuf ist eine vielseitige und sinnstiftende Aufgabe. Er bietet eine sichere Anstellung bei gutem Einkommen und ermöglicht gleichzeitig selbständiges Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen in einer wichtigen Lebensphase. Alles in allem eine sehr motivierende Aufgabe.
Was die entsprechenden Massnahmen betrifft, sind bereits eine Vielzahl davon wie Klassenhilfen oder Mentorate eingeführt worden. Auf das kommende Jahr hin steht zudem eine deutliche Stärkung für Klassenlehrpersonen an, im nächsten Schritt eine für die Schulleitungen, und in einem dritten Schritt sind auch Gehaltsverbesserungen wieder ein Thema. Diese Beispiele zeigen, dass wir die Klassenlehrpersonen und die Schulleitungen nach Möglichkeit unterstützen.
Man spricht viel von Quereinsteigern in den Lehrberuf, wie sieht es damit aus?
Wir brauchen die Quereinsteigerinnen und -einsteiger. An dieser Stelle möchte ich die ausgezeichnete und vorausschauende Arbeit der Pädagogischen Hochschule Bern hervorheben. Entsprechend der Situation des Lehrerinnen- und Lehrermangels sind an der PH (phbern.ch; Anm.d.R.) neue Angebote entwickelt worden, die zum Beispiel Berufsmaturandinnen und -maturanden den Sprung in den Lehrberuf bei hoher Ausbildungsqualität ermöglichen. Die Berufsmaturität ist, dies eine Bemerkung an alle jungen Leute, eine sehr gute Sache.
Wenn man Klagen der Lehrpersonen analysiert, dann geht es doch weniger um die genannten Massnahmen als um die Forderung nach höheren Löhnen.
Es braucht gute Rahmenbedingungen, damit Lehrpersonen mit Freude arbeiten, dabei ist der Lohn nicht das einzige Kriterium. Deshalb stärken wir die Schulen, Lehrpersonen und Schulleitung ganz gezielt mit den erwähnten Massnahmen. Aber auch eine erneute Gehaltsverbesserung ist ein Ziel, das wir als nötig erachten und erneut in Angriff nehmen werden. Das Image der bernischen Schulen ist nach wie vor ausgezeichnet, und die Leute erkennen, was für alle Sozialpartner im Zentrum steht: den Kindern die bestmögliche Ausbildungsqualität anzubieten.
Lahor Jakrlin
PERSÖNLICH
Christine Häsler, 60, Berner Oberländerin, Mutter von vier Kindern, Kauffrau. Sie war u. a. Gemeindeschreiberin, Geschäftsführerin der Grünen Freien Liste, Kommunikationsleiterin der Kraftwerke Oberhasli, Gross- und Nationalrätin. Regierungsrätin seit 2018.