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«Das Tier auf dem Silbertablett – das ist nicht Natur»

Vögel und Seehunde seien nicht nur für den Jöö-Faktor da, erklärt Friederike von Houwald. Was sie zudem zur Kritik sagt, man sehe im Dählhölzli kaum Tiere – und was ihr Sorgen bereitet.

Ob Vieraugenfisch, Zwergseidenäffchen oder Elch – wer mit Tierparkdirektorin Friederike von Houwald durch den Zoo Dählhölzli geht, spürt sofort: Diese Frau liebt Tiere einfach. Immer wieder fallen ihr neue Details zu Mamba und Co. ein. Von Houwald holt sich noch etwas Energie, ein Tag mit etlichen Terminen liegt vor der Direktorin, die seit etwas über einem Jahr im Dienst ist.

Es reut sie, dass sie durch die Verwaltungsaufgaben weniger Zeit mit den Tieren verbringen kann. «Aber ich hatte mir das vor Stellenantritt gut überlegt. Ich wollte etwas Neues wagen, anstatt in Basel zu bleiben», sagt sie.

Es ist der Gestaltungsfreiraum, der von Houwald lockte. Und darin setzt sie auf Regionales. «Es gibt viele Schweizer Tiere, die die Menschen nicht kennen. Wer weiss schon, was eine Gelbbauchunke ist? Sie sind herzig, gross wie ein Fünfliber, aber vom Aussterben bedroht. Ich glaube fest daran, dass wir Menschen auch mit regionalen Arten bewegen können.»

Die Tierparkdirektorin stellt fest, dass die jüngere Generation sich immer weiter von der Natur entfernt. Wer geht heute noch mit Schaufel und Lupe in den Wald und schaut, was dort lebt? So waren es 2022 die Kleinen, auf die von Houwald besonders stolz war. Zwischen den Gehegen sind nun Hirsch- und Nashornkäfer unterwegs. Zu diesem «Käfertreff» wird es 2023 auch ein Infomobil geben. «Wir siedeln wieder Arten an, die in Bern schon ausgestorben wären. Und das ist nicht nur nice-to-have. Die Natur besteht aus Kreisläufen. Es braucht den Käfer genauso wie den Leoparden.»

Im Tierpark arbeiten insgesamt 60 Personen, viele ihrer Tierpflegenden nennt von Houwald Genies. «Sie züchten Pflanzen selbst, können das Verhalten der Tiere genau lesen, platzieren Wärmelampen so, dass auch die Besuchenden die Tiere oft sehen können. Ich habe wirklich ein tolles Team.»
Dieses durfte sich unlängst über einen Besucherrekord freuen. Für von Houwald die Bestätigung, dass Konzepte mit heimischen und exotischen Tieren und Events bei den Leuten ankommen. «Wir sind auf Kurs.» An diesem Erfolgskonzept will die Direktorin auch nicht rütteln und lediglich schützenswerte heimische Arten hinzufügen.

Die Tiere und ihr «Job»
Nur etwas Zeit sollte man für den Besuch mitbringen. «Oft höre ich die Kritik, man sehe keine Tiere. Wir sind hier keine BBC oder ein digitales Medium. Das Tier auf dem Silbertablett – das ist nicht Natur.» Hier muss man selbst suchen, am besten mit dem Tierpfleger ins Gespräch kommen und inspiriert nach Hause gehen.

Die Grundfrage, ob es einen Zoo brauche oder nicht, beantwortet die Direktorin klar mit Ja. «Neben der Sinnfrage ist auch ganz wichtig, wie die Tiere hier leben. Wir haben glücklicherweise eine wunderbare Lage, viele grosse Anlagen.»

Die Tiere versteht sie als Botschafter ihrer Art, deren «Job» es sei, die Menschen auch für den Tierschutz zu begeistern. «Sie sind nicht nur für den Jöö-Faktor da, es geht um Tieferes. Wir Menschen haben Verantwortung für die Tiere, ob bei Haustieren oder in der Wildnis.»

Noch immer gelingt es den Tieren, von Houwald zu überraschen. Sie erinnert sich amüsiert: «Ich leitete neulich eine Führung am Abend und plötzlich kamen zwei aufgeregte Besucher zu mir. ‹Da hinten ist eine Schlange ausgebrochen!› Ich dachte mir, dass es sicher nur eine Ringelnatter ist, die frei bei uns lebt und willkommen ist.» Tatsächlich lag sie mit ihrer Vermutung richtig. «Die Natter hatte wohl eine Maus gefressen und war an einer Stelle so dick, dass sie nicht mehr durch einen Spalt zwischen den Gehegen passte. Wie in einem Bilderbuch.»

Schildkröte im Gegenstrom
Geht es denn bei der Direktorin zuhause auch tierisch zu? Von Houwald lacht: «Früher hatten meine Tochter und ich wirklich viele Tiere: Sie züchtete Kreuzspinnen, Schnecken aus dem Garten, Rennmäuse. Und wir hatten Hühner.» Inzwischen gibt es nur noch ein Pferd. «Meinen treuen Begleiter, meinen tollen Hund, musste ich letztes Jahr leider gehen lassen.» Die studierte Tiermedizinerin weiss und akzeptiert, dass die Natur ihren Lauf nehmen muss.

Für sie hat das Phänomen, dass viele Leute Tiere vermenschlichen, auch etwas mit der Entfernung von der Natur zu tun. «Manche Menschen vermuten, dass sich die Tiere bei uns in ihren Gehegen langweilen. Oder sie interpretieren einen Blick als traurig. Aber Tiere kennen keine Langeweile. Sie suchen immer Beschäftigung.» So zeigt von Houwald im Mangroven-Aquarium eine Schildkröte, die es mag, stundenlang in der Gegenstromanlage zu schwimmen.

Auch wenn es den Tieren im Park gutgeht, sorgt sich die Direktorin um die Artenvielfalt. In der Biodiversität sei die Schweiz trauriges Schlusslicht in Europa, berichtet sie. Um mehr Biodiversität in den Zoo zu bringen, musste sie im Vorjahr erstmal bürokratische Hürden überwinden, denn die Gelder des Tierparks waren dezidiert für die Anlagen gedacht. Nicht für Artenschutz von Tieren, die auch ausserhalb leben. «Neu gibt es jetzt einen Fonds für Artenschutz, den wir füllen werden.»

Zudem liess von Houwald analysieren, welche Pflanzen, Vögel und Kleinsäuger in und um Bern leben, um Naturkreisläufe sinnvoll nachzubilden. Dieser holistische und schützende Ansatz kombiniert mit Bildung und vielen Partnerinstitutionen macht für sie den Zoo der Zukunft aus – in Bern wird fleissig daran gebaut.

Michèle Graf

Friederike von Houwald, geboren am 24. April 1969, stammt aus Krefeld (D), hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Bern. Die Tiermedizinerin ist seit September 2021 Direktorin des Tierparks, zuvor arbeitete sie im Zoo Basel.

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