Bern schwitzt noch immer. Verhältnisse wie in diesem Sommer könnten in Zukunft aber Normalität werden, warnt Klimaforscher Thomas Stocker von der Uni Bern.
Thomas Stocker, wie haben Sie den heissen Sommer erlebt?
Ich erfreue mich an den langen, stabilen Hochdruckphasen. Gerade in der Schweiz, wo man schon mal nervös werden kann, wenn eine Party ansteht und niemand genau weiss, wie sich das Wetter entwickelt. Es gab aber auch einige unerträgliche Situationen, als es schwül und stickig war, man sich nicht voll auf die Arbeit konzentrieren konnte und merkte: Es ist zu heiss. Je älter man wird, desto schwieriger ist es, mit einer Hitzewelle umzugehen.
Also haben Sie den Sommer hauptsächlich draussen verbracht.
Ich bin jeden Abend ins Ostermundigerbad und habe meinen Kilometer geschwommen, wenn das möglich war. Das hat mich wunderbar abgekühlt und mich wieder fit gemacht für den nächsten Tag. Das tue ich abgesehen davon auch in nicht so heissen Sommerphasen. Wir haben zudem zuhause einige Partys organisiert, weil wir uns darauf verlassen konnten, draussen zu grillieren und bis tief in die Nacht hinein zusammenzusitzen. Diesen Aspekt habe ich sehr genossen. Andererseits habe ich natürlich festgestellt, dass das jetzt das neue «Normal» ist, mit dem man in den nächsten Jahrzehnten rechnen muss, so wie das die Klimaforschung v o r a u s g e s a g t hat. Die mittleren Temperaturen nehmen zu – seit Beginn des 20. Jahrhunderts in der Schweiz um knapp 2 Grad – gleichzeitig verschiebt sich die Häufigkeit und die Intensität von Extremereignissen. 2018 ist vergleichbar mit 2003 – damals wurde ja schon festgestellt, dass es solch eine Hitzewelle in den 500 Jahren zuvor nie gegeben hatte. Und seither haben wie bereits wieder mehrere Sommer erlebt, die mit 2003 vergleichbar sind, nämlich 2014, 2015 und jetzt eben 2018.
Nehmen wir an, der kommende Sommer wird verregnet. Klimaskeptiker werden dann sofort einwerfen, dass es sich 2018 um eine Ausnahmesituation gehandelt habe.
Das ist zu erwarten. Die Klimaforschung beweist den Klimawandel ja nicht mit dem Auftreten der Sommer 2003 oder 2018: Ihr steht aber eine unglaublich grosse Palette an weltweiten Messungen zur Verfügung: Temperaturen, Gletscherstände oder die Eisbedeckung in der Arktis und Antarktis, Meerestemperaturen rund um den Globus und bis 2 Kilometer Tiefe. Seit rund 15 Jahren ist per Satellit sogar das Gewicht von Grönland messbar – und wir sehen, dass Grönland auf Diätkur ist: Die Masse nimmt ab, Grönland wird immer leichter, das Eis schmilzt und der Meeresspiegel steigt an.
Eine Voraussage, wie mancher Hitzesommer in den nächsten zehn Jahren auftreten wird, ist also nicht möglich. Genau solche Prognosen werden jedoch von Kritikern erwartet, um den Klimawandel zu beweisen.
Da bin ich mit diesen Leuten sogar einverstanden. Das ist aber der Anspruch, den wir an unsere Wissenschaft haben, irgendwann mal sagen zu können: Ja, diese Statistik verändert sich in der Hinsicht, dass das Klima in den nächsten 10, 50 oder 100 Jahren so und so aussieht. Doch von welchem Szenario reden wir überhaupt? Entscheidend wird sein, wie viele fossile Brennstoffe wir verbrauchen. Das ist eine gesellschaftliche Entscheidung, die mit dem Klimaabkommen von Paris 2015 getroffen wurde, nämlich die Erwärmung deutlich unter 2 Grad zu halten. Falls dieses Szenario gelingt, dann schätzen wir, dass solche Hitzewellen wie jetzt vielleicht viermal so häufig auftreten als dies in der Vergangenheit der Fall war – und nicht zehn- oder fünfzehnmal. Eine einzelne Hitzewelle aber, etwa für 2019, werden wir heute und auch in Zukunft nicht voraussagen können. Das ist Wetter, Prognosen sind bis etwa zehn Tage im Voraus realistisch, deswegen macht Herr Bucheli keine Langfristprognosen (lacht).
Woran sieht man den Klimawandel in Bern?
Des Berners Herz ist natürlich direkt angesprochen, wenn es um die Aaretemperatur geht. Sie war noch nie so hoch wie 2018, wir haben mit 23,83 Grad sogar den Rekord von 2003 geknackt. Das beweist den Klimawandel zwar nicht, ist jedoch eine Auswirkung davon. Zweitens: Der Berner Oberländer schaut in die Berge hinauf und sieht, wie sich die Gletschter zurückgezogen haben, sprichwörtlich zerfallen sind. Den Unteren Grindelwaldgletscher sieht man heute nicht mehr, ausser Sie nehmen eine einstündige Wanderung und einen Feldstecher auf sich. Weltweit ziehen sich 95 Prozent aller Gletscher, die sich auf dem Land befinden, zurück. Für die Schweiz ist das tragisch, denn das Gesicht dieses Landes wird wesentlich geprägt durch den Alpenraum, Gletscher und Firn. Wir verzeichnen des Weiteren eine Zunahme von Starkniederschlägen, ebenfalls mit Messwerten belegt. In der Vegetation fühlen sich plötzlich Neophyten wohl und bedrängen andere Ökosysteme. Es gibt Pflanzen, die nun in Höhen zuhause sind, in denen sie früher nicht hätten überleben können, weil es damals zu wenig warm war. Und die Technologie ist herausgefordert: Wenn KKW sich nicht mehr mit Flusswasser kühlen lassen, hat das schliesslich eine Auswirkung auf die Produktion von Elektrizität.
Gut, der Klimawandel existiert. Was aber nicht heisst, dass er von Menschenhand gemacht ist.
Das ist eine der zentralen Fragen, mit der sich die Klimaforschung sehr genau befasst. Vor 20 Jahren untersuchte die Wissenschaft nur die globale Durchschnittstemperatur: Man fragte sich, welcher Anteil dieser Erwärmung dem Menschen durch den Anstieg von CO2 zugeordnet werden kann. Eine relativ schwierige Forschung, weil es qualitativ hochwertige Daten braucht. 2001 wurde dann belegt, dass ein grosser Teil der Erwärmung der letzten 60 Jahre durch den Anstieg von CO2 verursacht wurde. Später wurde die Forschung auf regionale Temperaturveränderungen ausgedehnt, auch auf den Ozean, von dem man heute weiss, dass er sich in den obersten 700 Metern messbar erwärmt hat. Den Rückgang des Meereises in der Arktis konnte man mit dem Anstieg von CO2 ebenfalls quantitativ verknüpfen. Mit anderen Worten: Wäre das CO2 nicht angestiegen, gäbe es die Erwärmung nicht, den Rückgang der Eismassen in der Arktis, auf Grönland und in der Antarktis sowie den Anstieg des Meeresspiegels ebenfalls nicht.
Ein grosser Teil der Bevölkerung scheint verwirrt: Fast wöchentlich erscheinen neue Studien. Die eine besagt, Fleisch essen sei für das Klima viel schlimmer als Fliegen, andere wiederum rufen klassisch zum Verzicht des Autos auf. Was ist denn nun am schlimmsten?
Alles, was fossile Energieträger beansprucht, sprich: Kohle, Gas und Erdöl – das betrifft beispielsweise auch Handys – Verkehr, also Privatverkehr und Flugzeuge, Heizen. In der Gesamtanalyse wird klar, dass der Flugverkehr im gesamt-globalen Mix tatsächlich noch keine grosse CO2- Spur hinterlässt. Aber: Sein Anteil wird rasant schnell grösser, weil sich immer mehr Menschen Flugtickets leisten können. Und weil die Schweizer ein reisefreudiges Volk sind, ist unser Pro-Kopf-Ausstoss beim Individualverkehr enorm hoch. Was den Fleischkonsum anbetrifft: Das ist eine persönliche Entscheidung. Natürlich sollte man Fleisch, das im Emmental langsam gewachsen ist, jenem aus dem fernen Ausland vorziehen. Und wenn Sie zweitens den persönlichen Fleischkonsum um 50 Prozent reduzieren, merken Sie das fast gar nicht, im Gegenteil. Sie freuen sich aufs nächste Steak umso mehr. Ich bin nicht Vegetarier, habe meinen Reduktionspfad allerdings hinter mir (lacht).
Konkret: Wie schlimm steht es ums Klima?
Wir schauen hier an der Uni Bern mit Eisbohrkernen in der Antarktis rund 800 000 Jahre zurück. Das ist eine Perspektive über acht Eiszeiten. Wenn es nicht gelingen würde, das Klimaabkommen von Paris umzusetzen, gäbe es gegen Ende des 21. Jahrhunderts eine mittlere globale Erwärmung um 5 Grad, in der Schweiz eine um etwa 8, in der Arktis eine um 12 Grad. Das wäre eine Veränderung, die in ihrem Ausmass deutlich grösser ist als der Übergang von der Eiszeit in die Warmzeit, das letzte Mal geschehen vor rund 15 000 Jahren. Wir reden hier also von fundamentalen Veränderungen.
Reden Sie weiter.
Ich möchte festhalten, dass es nicht nur um Grad Celsius und den Anstieg des Meeresspiegels geht. Es geht vor allem um unsere Ressourcen in einem veränderten Klima. Wenn ich als Mensch ein stabiles Klima vorfinde, macht mir die Hitze nichts aus; am Tag danach ist es wieder kühler, mein Körper kann damit umgehen. Ist es aber 5 Grad wärmer und die Feuchtigkeit hoch, wird es Orte auf dieser Welt geben, an denen ich als Mensch ohne technische Hilfsmittel – also ohne Klimaanlage – nicht mehr leben kann. Diese Orte befinden sich vor allem in der äquatorialen Klimazone, wir reden also von den armen Ländern in Afrika und Südamerika, Indonesien. Dort ist die Bevölkerung gegenüber dem Klimawandel zunehmend verwundbar. Die Ressourcen Gesundheit, Wasser und Land sind bedroht. Wer Land verliert, verliert sein zuhause. Als Folge werden sich die Menschen um die verbliebenen Ressourcen streiten – es kann zu Klimakonflikten und Klimamigration kommen. Ein mögliches Zukunftsszenario. Da geht es ans Lebendige. Manche sagen, die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von 2015 sei die grösste Herausforderung des 21. Jahrhunderts.
Dürfen wir künftige Hitzesommer trotzdem ohne schlechtes Gewissen geniessen?
Wenn Sie ihn geniessen, indem Sie in die Aare gehen, Ihren Glacekonsum erhöhen und für Ihre Freunde noch mehr Partys organisieren dann auf jeden Fall.