Seit 2017 baut der Berner Architekt und Winzer Matthias Rindisbacher am Südhang von Schönberg-Ost, im Volksmund «Wyssloch» genannt, Wein an. Auf 1,4 ha gedeihen hier 7000 Stöcke mit der weissen Rebsorte Sauvignac. Die erste Ernte wird 2021 erwartet.
Zwei Stunden vor dem Gesprächstermin klingelt das Handy. Matthias Rindisbacher fragt, ob wir uns eine halbe Stunde früher treffen könnten, da er in seinem Rebberg in Seftigen noch die letzten Pinot-Noir-Trauben schneiden möchte, «das Wetter ist heute ausnahmsweise trocken und ich habe die freiwilligen Ernte-Helferinnen und -Helfer aufgeboten», begründet er sein Anliegen. Kein Problem, Fotograf und Autor treffen eine halbe Stunde früher am Dählhölzliweg ein. Ja, so ist das Winzerleben: Das Wetter diktiert den Alltag.
Vom Architekten zum Winzer
Matthias Rindisbacher hatte schon in der Jugend einen Hang zur Landwirtschaft, denn seine Familie besitzt seit 1961 Reben im Tessin und als Knabe half er mit seinen Geschwistern wacker im Rebbau mit, obwohl ihn Wein als Getränk damals noch nicht interessierte. «Das hat sich im Laufe der Jahre geändert», schmunzelt er. «Auch heute interessiert mich die Arbeit im Rebberg mehr als im Keller. Man ist draussen in der Natur, verfolgt die Entwicklung, lauscht den Geräuschen – das ist die Faszination», gerät er ins Schwärmen. Der eigentliche «Kick«, auf den Beruf des Winzers umzusteigen, kam um die Jahrtausendwende, als der Architekt Rindisbacher mit dem Umbau zweier historischer Häuser am Bielersee unter grossen Zeitdruck geriet – wie üblich in der Baubranche. »Das stresste mich damals ziemlich und ich stellte mir die Sinnfrage: Hier muss man jahrhundertealte Häuser in wenigen Monaten umbauen, aber als Winzer hat man eine einzige Ernte im Herbst und da nützen Beschleunigungswünsche und Druckversuche des Kunden wenig.» Die Arbeit machte dem Architekten keinen Spass mehr, er war ausgebrannt. Er wusste: Jetzt muss sich etwas ändern! Deshalb verabschiedete er sich 2002 von seinen Kollegen im Architekturbüro und arbeitete vorerst noch von zuhause aus. Durch einen Tipp eines Bekannten stiess er auf die Liegenschaft am Dählhölzliweg 1 im Berner Kirchenfeldquartier. «Ich schaute mir die Räume an und merkte bald, dass sich hier ein tadelloser Weinkeller einrichten liesse», blickt Rindisbacher zurück. Die geernteten Trauben aus dem Tessin wurden nach Bern gekarrt und im neuen Keller vinifiziert. 2005 baute der Jungwinzer in Seftigen das im Familienbesitz befindliche Land zum Rebberg um, und 2009 konnte die erste richtige Ernte eingefahren werden.
Wein in Bern – Name noch unbekannt
1987 erhielt der damals 32-jährige Architekt Matthias Rindisbacher den Auftrag, eine Nutzungsstudie über das Wyssloch zu erarbeiten und lernte so diesen Landstreifen kennen. «Als Winzer träumt man wohl immer davon, welche Fläche sich für welche Rebsorte eignen würde», lacht Rindisbacher. 2013 sprach ihn ein Bekannter mit einer ähnlichen Idee auf das Terrain an. Er begutachtete diesen in der Landwirtschaftszone liegenden Südosthang in der Nähe des Zentrums Paul Klee und befand, dass sich der Boden – Moräne und darunter Sandstein – für den Weinanbau eignen würde. Eine vierköpfige Interessengemeinschaft mit genau zugeordneten Aufgaben verhandelte mit den Landeigentümern und konnte sie von der Idee überzeugen. 2017 wurden schliesslich 7000 Stöcke mit der weissen Rebsorte Sauvignac gepflanzt – der erste Weinberg auf Stadtberner Boden seit 400 Jahren war geboren! So einfach und rasch wie hier beschrieben, gestaltete sich das Projekt natürlich nicht. «Von der Idee bis zur Bepflanzung verstrichen immerhin vier Jahre», weiss der umtriebige Winzer zu erzählen, «aber ich bereue es nicht!» Allseits wurde in diesem Herbst die erste Ernte erwartet – daraus wurde aber nichts. «Wir hatten von 2017 bis 2019 extrem trockene Sommer und letztes Jahr kam im Frühling noch der Frost dazu. Wir hatten einfach zu wenig Wasser. Rückblickend hätte ich im ersten Standjahr eine Bewässerungsanlage anschaffen müssen», bedauert Rindisbacher. Stockausfälle wegen der Trockenheit habe es keine gegeben, aber ein zögerliches Wachstum. Der Stadtberner Winzer rechnet 2021 vorerst mit etwa 3000 bis 4000 Flaschen. Diese werden ab Keller erhältlich sein und in einigen Restaurants der Stadt Bern, «aber nicht im Offenausschank», lächelt er. Seinen Weinen in Seftigen verpasst Matthias Rindisbacher Fantasienamen wie «Versus», «Lumi», «Chatz u Muus», «Queruland» usw. Welchen Namen wird der Wein aus dem Wyssloch dereinst tragen? Vin de Berne ist nämlich nur die Projekt-Bezeichnung. «Der Name ist noch nicht bestimmt, die Taufe wird aber während der ersten Ernte im nächsten Jahr stattfinden», verrät Rindisbacher – mehr aber nicht…
Der weisse Sauvignac – eine neue Sorte
Der Sauvignac, eine Kreuzung aus Riesling und Sauvignon blanc, ist eine Neuzüchtung des 1958 geborenen jurassischen Rebzüchters und Winzers Valentin Blattner. Es ist eine pilzwiderstandsfähige Sorte, kurz «PIWI» genannt, und weist eine hohe Resistenz gegen falschen und echten Mehltau und Graufäule (Botrytis) auf. «Wir bauen den Sauvignac nach Bio-Kriterien an, die Sorte benötigt minimalen Pflanzenschutz und kommt in der Regel mit Pflanzenstärkungsmitteln aus», erklärt Matthias Rindisbacher. «Diese Mittel sind weder für den Menschen, die Pflanzen noch für den Boden schädlich», ergänzt der Stadtwinzer. Er sieht in den neuen Rebsorten wie Sauvignac, Cabernet Jura, Souvignier gris oder Solaris die Zukunft: «Die jungen Weintrinkerinnen und -trinker von heute verlangen vermehrt rasch trinkfähige Naturweine.» Wie wird der Sauvignac schmecken? Es komme darauf an, wie man ihn vinifiziere, entweder im Riesling-Bereich mit hoher Säure oder im Sauvignon-blanc-Umfeld mit hoher Frucht, dann schmecke er nach Zitrusfrüchten. «Ich liebe es gradlinig-frisch, fruchtig, mit knackiger Säure», fachsimpelt Matthias Rindisbacher begeistert. «Sicher ist, dass ich einen Schaumwein vinifizieren werde!», sagt er bestimmt. Man darf gespannt sein… Wären im Wyssloch auch rote Traubensorten denkbar? «Ja, meine Absicht ist es schon, noch weitere Rebstöcke zu pflanzen, auch mit roten Sorten», antwortet Rindisbacher. Er zeigt sich zurzeit aber noch etwas zurückhaltend, denn die gefürchtete Kirschessigfliege bevorzuge vor allem rote Trauben.
Moderne Weinkellerei geplant
Bereits ist Matthias Rindisbacher mit dem nächsten Projekt beschäftigt: Die Besitzer des 400 Jahre alten Rhagorgutes an der Kreuzung Schosshalden-/Laubeggstrasse wollen das Gebäude sanieren und daneben eine schlichte, moderne Weinkellerei errichten. Dadurch könnte der Rebberg um 0,5 ha (etwa 3000 Stöcke) erweitert werden. Im Gutshaus sind eine Wohnung, Räume für die Rebbaubewirtschaftung, die Weinlagerung und Degustationen vorgesehen. Das Projekt wurde im Sommer 2020 publiziert. «Widerstand gab es bisher nicht, auch Einsprachen sind ausgeblieben, im Quartier stösst das Projekt auf grosse Sympathie», freut sich Matthias Rindisbacher. Mit viel Enthusiasmus verfolgt er beharrlich und zielstrebig die weitere Entwicklung.
Peter Widmer