Silvio Flückiger (47) ist Leiter der PINTO Bern. Die mobile Präventionsgruppe kennt die Leute auf der Gasse und ihre Probleme. Im Gespräch verrät Flückiger unter anderem wie man Obdachlosen begegnen soll.
Wie viele Menschen leben in Bern «uf dr Gass»?
Jede Stadt zählt ihre Obdachlosen anders. In Genf zählt man etwa als obdachlos, wenn man keine meldefähige Wohnadresse hat. In Bern gilt man hingegen erst als obdachlos, wenn man wirklich draussen lebt. Das sind zurzeit 21 Personen. Die Zahl jener, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Strasse haben, ist aber weit grösser. Viele «uf dr Gass» haben eine Wohnung, sind aber aufgrund ihres Umfeldes meistens nur draussen unterwegs.
Warum wird jemand obdachlos?
Theoretisch kann das jeden treffen. Es kann manchmal sehr schnell gehen. Ich kenne einen Mann, der Frau und Kind und einen Job hatte. Die Frau hat ihn verlassen, er hat zu trinken angefangen und aufgehört seine Rechnungen zu bezahlen. Der Abstieg passierte innerhalb eines Jahres.
Ist ihr Beruf eigentlich gefährlich?
Nein, eigentlich nicht. Wir setzen auf Kommunikation und Kooperation und haben keine polizeiliche Funktion. Wir hatten im letzten Jahr mehrere tausend Interventionen wegen Fehlverhaltens im öffentlichen Raum und mussten gerade sechsmal die Polizei beiziehen.
Die offene Drogenszene schockierte die Öffentlichkeit in den Neunzigerjahren. Was läuft heute besser?
Die Szenebildung in den Neunzigerjahren war eine Katastrophe. Dank der Drogenpolitik basierend auf Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression ist die Situation heute massiv besser.
Viele Leute fürchten sich vor Randständigen. Wie sollte man diesen Menschen begegnen?
Man sollte sie vor allem als Menschen wahrnehmen, nicht als Störung. Wenn man das Gefühl hat jemand sei eingenickt, sollte man ihn oder sie ansprechen, denn das könnte ein Zeichen von Überdosierung sein. Die einfache Frage «geht es Ihnen gut?» kann man immer stellen. Wir von der PINTO sind dauernd auf der Gasse und es passiert eigentlich nie etwas. Das sind keine bösen Menschen.
Was ist das Schöne an ihrem Beruf?
Zu den schönen Erlebnissen gehört etwa, wenn jemand sich öffnet und uns seine Geschichte erzählt. Oder wenn man jemandem zu einem Bett und einer Mahlzeit verhelfen kann.
Helen Lagger