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«Der Prämienanstieg wurde zu lange einfach hingenommen»

Alle Jahre wieder steigen die Gesundheitskosten. Die Berner KPT hingegen senkte ihre Prämie letztes Jahr um 0,5 Prozent. Wie das möglich war, erklärt CEO Reto Egloff im Interview. Und er fordert die Politik auf, endlich zu handeln.

Die Höhe der Prämie ist nicht alles. Einverstanden?
Das ist richtig. Für viele Menschen spielt die Prämie eine zentrale Rolle bei der Wahl ihrer Krankenkasse. Man will logischerweise nur so viel bezahlen wie nötig. Darüber hinaus sollten sich die Menschen aber bewusst sein, welche Services und Leistungen sie beziehen möchten, falls sie mal krank werden.

Für welche Krankheiten erhalten Sie von Ihren Kundinnen und Kundinnen am häufgsten eine Rechnung?
Wir fnden auf Rechnungen keine Diagnosen. Wir wissen einzig, dass eine Behandlung stattgefunden hat. Was bekannt ist: Spitäler verursachen ein Drittel sämtlicher Kosten, Medikamente machen rund einen Fünftel aus, hinzu kommen etwa ein Viertel Arztkosten. Alleine bei der KPT werden übrigens täglich rund 30 000 Rechnungen verarbeitet – um diese zu bezahlen, geben wir jährlich zirka 1,6 Milliarden Franken aus.

Wie sozial muss eine Krankenkasse Ihrer Meinung nach denn sein?
Das Krankenversicherungsgesetz KVG sorgt für eine breite Solidarität zwischen Gesunden und Kranken. Es besteht zwar ein Versicherungsobligatorium, aufgrund der Freizügigkeit darf man indes jederzeit die Kasse wechseln. Ausserdem wird die Kopfprämie – jeder bezahlt grundsätzlich gleich hohe Prämien, egal wie viel er oder sie verdient – durch die Möglichkeit der Prämienverbilligung wieder ausgeglichen.

2020 wurden die Prämien im Schnitt um 0,5 Prozent erhöht. Was tun Sie als KPT gegen die ausufernde Entwicklung?
Zuerst einmal: Bei der KPT sind die Prämien in der Grundversicherung letztes Jahr um 0,5 Prozent gesunken. Fakt ist jedoch, dass die Gesundheitskosten seit der Einführung des KVG jährlich zwischen 3,5 und 4 Prozent steigen. Das hat verschiedene Gründe: zum Beispiel der technologische Fortschritt, die älter werdende Bevölkerung sowie teurere und wirksamere Medikamente. Die Kosten lassen sich nur über die Prämien abdecken, weil das System vorsieht, Ausgaben durch Prämien zu decken. Als Kasse sind wir daher auf die Prämien angewiesen, um damit die Rechnungen unserer Versicherten zu bezahlen. Zum Glück ist die KPT genossenschaftlich organisiert und muss keinen Gewinn ausschütten. Wir nehmen deshalb auch dieses Jahr wieder einiges an Geld aus den Reserven in die Hand, um die Prämienentwicklung für unsere Versicherten zu dämpfen.

Was kann die Politik tun?
Ihre Aufgabe ist es, Druck auf die entsprechenden Akteure aufzusetzen. Denn die steigenden Prämien sind für viele Schweizerinnen und Schweizer eine Belastung – doch der Anstieg wurde zu lange einfach so hingenommen. Die entsprechenden Dossiers mit Lösungsansätzen liegen seit Jahren auf dem Tisch, ohne dass etwas geschah. Entsprechend gross ist der Reformstau. In den letzten zwanzig Jahren wurden kaum Entscheide gefällt, die das System nachhaltig verändert oder sogar verbessert hätten.

Dazu ist das Gesundheitswesen ein wichtiger Wirtschaftszweig.
Absolut. Wer möchte schon Wachstum abwürgen?

Das KVG wurde vor 25 Jahren eingeführt. Hat es sich bewährt?
Grundsätzlich ja. Bloss: Rückblickend wurde eine aus damaliger Sicht klare Erwartung nicht erfüllt, nämlich jene, dass das Kostenwachstum hätte gedämpft werden sollen. Im Rahmen unserer Möglichkeiten tun wir alles, um diese Entwicklung abzuschwächen, etwa bei den Tarifverhandlungen mit den Leistungserbringern. Die grossen Würfe in der Politik fehlen allerdings und sind derzeit kaum in Sicht.

Wenn Sie Politiker wären und entscheiden dürften: Wo müsste als Erstes gespart werden?
Ich kann nur die Eindrücke aus meiner jetzigen Sicht als CEO der KPT schildern. Eine zentrale Frage ist: Welche Versorgung braucht es und in welchem Umfang? Einerseits gibt es in ländlichen Regionen oft zu wenig Hausärzte, in urbanen Zentren wiederum wimmelt es von diversen Leistungserbringern. Zudem fehlt in der Spitallandschaft die Abstimmung: An manchen Orten wird noch zu wenig auf die richtigen Operationen und entsprechende Fallzahlen fokussiert. Drittens stellt sich die Frage nach der Qualität: Es ist hinlänglich bewiesen, dass hohe Fallzahlen zu einer guten Behandlungsqualität und damit zu tieferen Kosten führen.

Würde eine Einheitskasse die Prämien nicht spürbar senken?
Nein. Die Finanzierungsfrage jedenfalls kann sie nicht lösen. Ob nun eine staatliche oder mehrere private Krankenkassen die Auszahlungen vornehmen, ändert am Umfang und den Kosten der zu bezahlenden Rechnungen unserer Versicherten nichts. Manche würden jetzt wohl einwenden, es könnten Verwaltungskosten gespart werden. Dieses Argument überzeugt mich nicht. Ich kenne keine staatliche Versicherung, die einen besseren Verwaltungskostensatz als die Krankenversicherung hat. Sehen Sie: Lediglich fünf von hundert Prämien-Franken fiessen in die Verwaltung, um etwa die Mitarbeitenden und die IT zu bezahlen. Dieser Aufwand steht bei einer Einheitskasse ebenfalls an. Mit den restlichen 95 Franken bezahlen wir die Rechnungen unserer Versicherten. Man darf natürlich für eine Einheitskasse sein, das ist ein persönlicher Entscheid – bringen würde es den sozialen Krankenversicherungen allerdings nichts.

Das heisst, der Markt spielt?
Ja, dem würde ich zustimmen, selbst wenn er stark reguliert ist. Wir bewegen uns in engen Leitplanken. Manchmal wünschten wir uns etwas mehr Pragmatismus und Flexibilität.

Zum Beispiel?
Besorgt sich jemand ein Medikament im grenznahen Ausland, bezahlt er oder sie dort deutlich weniger. Diese Rechnung dürfen wir laut Gesetz nicht bezahlen. Die KPT hat das eine Zeit lang im Sinne unserer Kundinnen und Kunden zwar übernommen, wurde von den Behörden dann aber zurückbeordert.

Wie hat sich die Pandemie auf die Krankenkassen und die KPT ausgewirkt?
Intern mussten wir uns wie andere Unternehmen auch zunächst auf die neue Situation einstellen. Zum Glück waren wir gut vorbereitet – bereits vor der Pandemie arbeiteten rund hundert Angestellte von zuhause aus. Trotzdem mussten wir innert kürzester Zeit alle Mitarbeitenden mit der benötigten technischen Infrastruktur ausrüsten. Das haben wir pragmatisch gelöst: Einige Mitarbeitende trugen beispielsweise ihre Bildschirme aus dem Büro raus, das war ein Bild! Man hätte meinen können, wir würden gerade ausgeraubt (lacht).

Wie sieht es mit den finanziellen Folgen aus?
Wir gaben in der Corona-Zeit weniger Geld für Rechnungen aus. Das hat damit zu tun, dass etliche Operationen und Behandlungen verschoben werden mussten. Mittlerweile wurden sie teilweise nachgeholt, aber nicht vollumfänglich. Das brachte 2020 tiefere Kosten mit sich; dieses Jahr dürfte es ähnlich aussehen.

Covid-19 als Kostensenker für die Krankenkassen?
Aus unternehmerischer Sicht stimmt das. Wir erwirtschafteten ein positives Ergebnis. Da wir wie erwähnt genossenschaftlich organisiert sind, stiegen unsere Reserven, die wir jetzt wieder für tiefere Prämien einsetzen werden.

Der Bundesrat plant, solche Reserven freizugeben, um sie den Versicherten zugutekommen zu lassen.
Selbstverständlich erwartet die Bevölkerung, dass wir nicht einfach übermässig Geld anhäufen. Daran hat sowieso niemand ein Interesse. Jede Krankenkasse will günstige Prämien anbieten. Die Frage ist einzig, wie und wann man das Geld genau freigibt. Es macht wenig Sinn, in einem Jahr die Prämien um acht Prozent zu senken, um sie im Folgejahr wieder um sieben Prozent anzuheben. Manche Mitbewerber verfahren nach diesem Prinzip. Das führt zu den bekannten Prämiensprüngen.

Was zur Folge hat, dass manche jedes Jahr ihre Krankenkasse wechseln.
Das gehört zur Wahlfreiheit dazu, ja. Sicher: Wenn Sie bei einer teuren Kasse versichert sind, darf man die Frage stellen, ob sich das wirklich lohnt. Handelt es sich hingegen um eine Differenz von zehn oder zwanzig Franken pro Jahr, sollte eher die Servicequalität das entscheidende Kriterium sein. Persönlich habe ich Verständnis für jene, die die Prämien jedes Jahr neu überprüfen. Generell mag es die Bevölkerung, wenn sie eine Auswahl treffen kann.

Stimmt es, dass Sie Ärzten oder Spitälern Vorschläge für bestimmte Medikamente machen, weil Sie damit von Vorzügen proftieren?
Das ist Unsinn. Wer welches Medikament benötigt, bestimmen allein die Ärzte. Richtig ist, dass wir uns beispielsweise dafür einsetzen, bei gleichwertigen Medikamenten ein Generikum zu verschreiben.

Zum Schluss: Woran erkenne ich eine gute Krankenkasse?
Repräsentative Kundenzufriedenheitsumfragen auf Bewertungsportalen liefern eine gute Übersicht. Dort wird klar aufgelistet, wer oben steht und wer abfällt. Die KPT erhält beispielsweise schon seit Jahren regelmässig Bestnoten. Die detaillierten Unterschiede bei den Services erfährt man hingegen erst im Lauf der Zeit.

Yves Schot

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