Chris 7

«Der Welt ist nicht geholfen, wenn wir alle Flughäfen dichtmachen»

Langweilig? Ganz und gar nicht. SP-Regierungspräsident Christoph Ammann ist ein sehr lebendiger Gesprächspartner. Wer ist der Mann, der als Linker die Reitschule kritisierte?

War 2019 ein gutes Jahr für Sie?
Es war jedenfalls so intensiv, dass ich noch gar keine Zeit dafür fand, ein Fazit zu ziehen. In mein Präsidialjahr fielen Grossanlässe wie die kantonalen Jodler-, Schwing- und Trachtenfeste, die bei bestem Wetter stattfanden. An solchen Events stelle ich jeweils fest, wie vielfältig unser kulturelles Leben und wie stark verwurzelt unser Brauchtum ist.

Politisch haben Sie sich für den Flughafen Belp und dessen neue Airline eingesetzt.
Bei solchen Themen erlebe ich Bern im Aufschwung. Ich sehe Menschen, die sich, egal wie man zu solchen Ideen steht, für eine Sache stark machen.

Es ist alles andere als selbstverständlich, dass sich ein SP-Politiker für einen Flugplatz ausspricht.
Dieses Thema wird nicht nur parteiintern kontrovers diskutiert. Ich war allerdings von Anfang an der Meinung, dass es jetzt einen politischen Entscheid braucht, wie auch immer er ausfällt. Diese Planungssicherheit sind wir den Verantwortlichen des Flughafens schuldig, damit sie weiterarbeiten können.

In anderen Bereichen liegt noch keine Lösung auf dem Tisch. In der Causa Reitschule etwa. In einem Brief, der von Ihnen unterzeichnet wurde, wurde die Stadtregierung für deren Trägheit gerügt.
Der Fokus lag aus kantonaler Sicht in diesem Jahr nicht primär auf der Reitschule. Das Thema Moutier beschäftigt uns viel mehr, weil wir da noch lange nicht so weit sind, wie wir uns das wünschen.

Trotzdem hat der Brief für Gesprächsstoff gesorgt.
Dieses Dokument hätte nie an die Öffentlichkeit gelangen dürfen und ist durch eine Indiskretion publik geworden. Der Brief trug meine Unterschrift, weil es sich um ein Anliegen des Gesamtregierungsrats handelte, welches wir mit der Stadt besprechen möchten – aber selbstverständlich intern und nicht via Medien.

Wie halten Sie es denn persönlich mit der Reitschule?
Es handelt sich einerseits um ein kulturelles Angebot, das zu Bern gehört und diese Stadt belebt. Auf der anderen Seite existieren Spielregeln und Gesetze, die die Betreiber der Reitschule einzuhalten haben.

Also sind Sie ebenfalls der Meinung, dass der Gemeinderat manchmal etwas zu lasch mit den Betreibern der Reitschule umspringt?
Zu dieser Frage möchte ich mich nicht äussern.

Der «Bund» hat Sie einst als jemanden bezeichnet, der «das Risiko scheut und so nüchtern agiert», dass man ihn als Wähler «fast vergesst». Das sind keine wirklich schönen Attribute.
«Farblos» deute ich dahingehend, dass durch engagierte Arbeit kaum Zeit bleibt, um an die Sonne zu liegen. (lacht) Im Ernst: Ich bitte Sie, zu betrachten, was ich geleistet habe. Wir haben dieses Jahr sitem-Insel eröffnet, das als Risikoprojekt galt. Das Gleiche lässt sich für das Wyss-Projekt (Mäzen Hansjörg Wyss spendet der Uni Bern 100 Millionen Franken, d. Red.) sagen. Hinzu wurde der Kredit für das Swiss Center for Design and Health genehmigt, ein weiteres Risikoprojekt. Das sind drei Projekte aus meiner Direktion. Sie dürfen sich nun gerne selbst eine Meinung bilden. Vielleicht würde der betreffende Journalist mittlerweile ein anderes Bild zeichnen.

Würden Sie sich als ehemaliger Lehrer ein gutes Job-Zeugnis ausstellen?
Innerhalb des Gestaltungsspielraums, den ich zur Verfügung hatte, bin ich mit mir zufrieden, ja. Es ist viel entstanden, das durchaus meine Handschrift trägt. In anderen Punkten, bei denen äussere Einflüsse eine massgebliche Rolle spielten – ich habe Moutier als Beispiel genannt – bin ich der Meinung, dass wir als Regierungsrat anders hätten agieren müssen. Deshalb kann ich dort nicht zufrieden sein.

Zurückhaltung hat den Vorteil, dass man sich weniger exponieren muss als etwa ein Pierre-Alain Schnegg und so gewissen Konflikten aus dem Weg gehen kann.
Natürlich ist es nie mein primäres Ziel, Konflikte zu schaffen, sondern Lösungen zu präsentieren. Das mag eine Frage der Persönlichkeit sein, es stecken aber gleichzeitig strategische Überlegungen dahinter. Meine Erfahrung zeigt, dass ich mich nicht zwingend in ein Schaufenster stellen muss, um zu einem guten Ergebnis zu gelangen.

Ihre Kollegin Evi Allemann schwärmte in dieser Zeitung vor einigen Monaten von der guten Stimmung im Gremium.
Die kann ich gerne so bestätigen, ohne dass ich Ihnen jetzt Details verraten werde. (lacht) Klar streiten wir ab und zu, doch es ist noch nie vorgekommen, dass wir nach einer Sitzung nicht noch zusammen Zmittag gegessen hätten oder uns zumindest die Hand geschüttelt haben. Wir unterscheiden klar zwischen dem Ringen von politischen Lösungen und dem gemeinsamen Ziel, das anhand der Regierungsrichtlinien definiert wird.

Sie werden häufig als «rechter SPler» bezeichnet. Sie könnten also durchaus auch als BDPler oder gemässigter Freisinniger in Erscheinung treten.
Mich beeindrucken solche Umschreibungen kaum. Ich betrachte mich als SP-Politiker, der ein Exekutivamt innehat. Ich werde nicht daran gemessen, welche ideologischen Parolen ich von mir gebe, sondern daran, welche Lösungen ich für Themen bereithalte, die die Menschen momentan beschäftigen. Ich bin nicht einfach so seit 26 Jahren Mitglied der Sozialdemokratischen Partei.

Was wünschen Sie sich persönlich für 2020?
Als verantwortlicher Direktor für Tourismus wünsche ich mir für die Wintersaison gute Pistenverhältnisse. Und ich denke an die Herausforderungen des Klimawandels, zum Beispiel an den Spitzen Stein in Kandersteg, dessen Kuppe Mitte Dezember bereits abgebrochen ist. Es könnte allerdings noch weitaus schlimmer kommen. Es ist die sprichwörtliche Spitze eines Eisbergs, der schmilzt.

Werden Sie ab Mai, wenn die neue Airline FlyBair abheben soll, ab und an ab Belp fliegen?
Ich betreibe keine Symbolpolitik, weder privat noch als Regierungsrat. Es ist der Welt nicht geholfen, wenn wir alle Flughäfen dicht machen. Der Welt ist hingegen geholfen, wenn wir die richtigen Rahmenbedingungen schaffen und Massnahmen treffen. Ich denke da z.B. an ein nationales CO2 -Gesetz, das nun rasch in Kraft gesetzt werden muss.

Nochmals: Werden Sie ab Belp fliegen?
Dass ich als Volkswirtschaftsdirektor ab und zu in China sein muss, wird von mir verlangt. Ich nehme diesen Weg dann aber nicht wie Greta Thunberg mit dem Segelschiff in Angriff, sondern ich fliege. Zudem wohnen meine Schwiegereltern an einem Ort, der von hier aus vier Tage Zugfahrt erfordern würde. Generell versuche ich aber, Flugreisen auf ein Minimum zu reduzieren.

Sie sind Oberländer und haben Ihr Büro mitten in Bern. Fühlen Sie sich wohl?
Je länger ich hier arbeite und gleichzeitig mein berufliches und privates Netzwerk ausbauen kann, stelle ich fest, dass Bern eigentlich ein Dorf ist. Man kennt einander, wie an meinem Wohnort in Meiringen auch. Ja, ich fühle mich sehr wohl, ich habe ja bereits zu meiner Studienzeit sechs Jahr hier gelebt. Zudem liegt mein Büro direkt neben dem Münster – der schönste Arbeitsplatz, den man sich vorstellen kann.

Was ebenfalls auffällt: Man hört Ihnen kaum an, dass Sie Oberländer sind.
Meiringen ist seit rund dreissig Jahren eine Tourismus- und Zuwanderungsgemeinde. Schon zu meiner Jugendzeit sprach man auf dem Schulhof fast jeden Dialekt, sprich auch ausländisch gefärbte. Das stelle ich bei meinen Kindern fest: In der Klasse, die der Älteste derzeit besucht, haben bloss vier von 22 Kindern keinen Migrationshintergrund. Meiringen ist also eigentlich internationaler als Bern. (lacht)

Yves Schott

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