Die besten Berufsleute, über 300 Gratisstunden und eine eigenhändig installierte Solaranlage

Ab kommender Woche treten die besten jungen Schweizer Berufsleute gegeneinander an. Dass der Nachwuchs auch international zur Elite gehört, ist für SwissSkills-Präsident Claude Thomann kein Zufall.

Selber könnte er gar nicht teilnehmen. Aus Altersgründen, ja, auch. Vor allem aber, weil Claude Thomann persönlich keine Berufslehre, sondern ein Jus-Studium absolviert hat. «Ich wollte als Kind Lokführer werden, kam für diesen Job aber nicht infrage, weil ich schlechte Augen habe und Brillen damals nicht erlaubt waren.» Trotzdem ist Thomann – er wird übrigens bald 67 – heute Präsident der SwissSkills. Und er ist es mit einigem Stolz. «Als die SwissSkills 2014 lanciert wurden, handelte es sich hauptsächlich um einen Deutschschweizer Anlass. Nun ist es uns gelungen, auch die Romandie und das Tessin mit ins Boot zu holen.» Soeben war das Vorstandmitglied des Schweizerischen Arbeitgeberverbands zusammen mit Bundesrat Guy Parmelin an einem Kick-off-Meeting im Welschland. Sein Eindruck: «Tolle Stimmung, alle sind bis in die Haarspitzen motiviert.»

Nur China war besser
Zwischen dem 12. und 16. September zeigen fast tausend junge Menschen auf dem Bernexpo-Gelände, was sie können. Bäcker, Maler, Dachdeckerinnen, Winzer, Gärtner. Dazu Geigenbauer, Geflügelfachfrauen, Korb- und Flechtwerkgestalter, Holzbildhauerinnen. Über die Hälfte von ihnen tritt in Meisterschaften gegeneinander an. Eine Fachjury vor Ort benotet, bewertet und prämiert. Und zwar nach einem einheitlichen Schema, wie es dann auch an den WorldSkills im kommenden Jahr im russischen Kasan zur Anwendung kommen wird. Oder an den EuroSkills Ende September in Budapest. Wer den Anlass als Zuschauer besucht, darf nicht nur artig mitfiebern, sondern kann gleich selbst hinlangen. Mitfräsen, mitsägen, mitmischen statt nur Prospekte einpacken. In Sachen Berufs-WM macht der Schweiz international fast niemand etwas vor. Bei den WorldSkills 2017 in Abu Dhabi holte die Nationalmannschaft elf Goldmedaillen, zwanzig Mal Edelmetall insgesamt. Nur die Chinesen hobelten und konstruierten noch etwas besser. Für Thomann kein Zufall. «Seit Jahrzehnten ziehen wir unseren Nachwuchs systematisch nach. Andere Länder, mit Ausnahme von Deutschland, Österreich, Holland und Dänemark, tun das nicht.» Und so findet Thomann, der in Bern, Strassburg und Chicago studierte, die gymnasiale Ausbildung, die häufig als Königsweg gilt, sicherlich nicht falsch – zumindest aber eine Diskussion wert. «Wer mit 19 seine Matur macht, ist ein guter Allrounder ohne Spezialkenntnisse», sagt er etwa. «Andere im gleichen Alter mit einem Lehrabschluss können hingegen voll ins Berufsleben einsteigen. Ausserdem zeigen Studien, dass, wer eine Berufslehre macht und sich weiterbildet, mehr verdient als jemand im gleichen Alter, der den gymnasialen Bildungsweg absolviert hat.»

Buchhalter? Besser nicht
Die Entwicklung, der regelrechte Hype um Unis und Fachhochschulen der letzten Jahre, macht Claude Thomann insofern keine Sorgen. «Es gibt immer noch genug Jugendliche, die sich für eine Berufsbildung entscheiden.» Für sie respektive die SwissSkills hat er insgesamt zwischen 300 und 350 Arbeitsstunden investiert. «Gratis», meint er lachend. «Nicht, weil ich bluffen will, sondern weil ich in meinem Alter etwas zurückgeben möchte.» Apropos Skills: «Ich bin kein Zahlenmensch, war nie gut in Mathematik», gibt Thomann zu. «Buchhalter wäre wohl nichts gewesen für mich.» Um zu wissen, dass die Schweiz bei der Berufslehre weltweite Spitze ist, braucht es auch keinen Rechenschieber.

Yves Schott

Ein ehemaliger Gymnasiumrektor, der zu Hause die Solaranlage selber installiert? Das ist der Berner Volkswirtschaftsdirektor Christoph Ammann. Im Gespräch mit dem Bärnerbär erklärt er auch, weshalb wir Schweizer in der Berufsbildung keinen Grund haben, uns auf den Lorbeeren auszuruhen.

Christoph Ammann, an den Swiss Skills zeigen sich die Besten aus 135 Berufen. Welche Bedeutung hat der Grossanlass für Bern?
Die SwissSkills sind ein Leuchtturm-Event. Aufgrund ihrer schieren Grösse sorgen sie für viel Wertschöpfung. Das Budget der Veranstalter beträgt 16,5 Millionen Franken. Wir rechnen mit über 3000 Übernachtungen in Hotels und über 2500 in Zivilschutzanlagen und gehen davon aus, dass aus allen Landesteilen bis zu 200000 Besucherinnen und Besucher nach Bern reisen werden, um die besten Berufsleute bestaunen und anfeuern zu kommen.

Die Berufsmeisterschaften sind eine wuchtige PR-Plattform für die Lehrberufe. Ist diese unentbehrlich, weil in vielen Branchen der Nachwuchs fehlt?
Im Kanton Bern gab es die oft erwähnte Akademisierung nie. Die Maturitätsquote blieb stets konstant. Der Nachwuchsmangel in vielen Berufen hat einen demographischen Grund: Die geburtenschwachen Jahrgänge sorgen an den Gymnasien und an den Berufsschulen seit fast 10 Jahren für mehr leere Plätze. Das wird sich frühestens in fünf bis zehn Jahren stabilisieren. Gute PR gebrauchen können insbesondere die technischen Berufe. Viele mathematisch begabte Mädchen haben noch immer Respekt vor dieser Branche. Dabei sind dort kreative, ästhetische und feinmotorische Begabungen gefragter denn je.

Das duale Bildungssystem ist eine Schweizer Erfolgsgeschichte. Dürfen wir uns auf den Lorbeeren ausruhen?
Auf keinen Fall. Die Digitalisierung schafft neue Berufe, ändert viele grundlegend und löscht einige aus. Dieser Wandel fordert uns alle. Ganz besonders die Schulen und die Berufsverbände. Hier haben wir keinen Vorsprung auf das Ausland.

Auch viele Jugendliche und Eltern sind wegen diesen Veränderungen verunsichert. Hilft auch diesbezüglich ein Besuch der SwissSkills?
Ja, denn sie zeigen wie die Berufe heute tatsächlich sind, welche Fähigkeiten sie fordern und welche Chancen sie bieten. Die SwissSkills sind auch eine nationale Berufsmesse.

Hält das Wissen der Menschen mit dem Tempo der Veränderung mit?
Meistens leider nicht. Nehmen wir das Beispiel Mechaniker: Ölverschmierte Finger, Gestank und grosse Zangen sind oft die Assoziationen. Ich durfte mehrere Maschinenhersteller besuchen. Es war in den Produktionshallen extrem sauber. Ich fühlte mich fast wie in Spitälern. Ich sah Auszubildende, die an Roboter arbeiteten. Vieles wirkte futuristisch. Ich war beeindruckt.

Entsprechen viele Berufsbilder in den Köpfen der Menschen also veralteten Klischees?
Ja. Deshalb empfehlie ich auch all jenen einen Besuch an den Swiss Skills.

Was werden Sie sich neben Ihren öffentlichen Auftritten an den SwissSkills nicht entgehen lassen?
Mich interessieren die Holzberufe sehr. Den Schreinerinnen und Schreinern sowie den Zimmerleuten werde ich über die Schultern schauen gehen.

Träumten Sie als Knabe zeitweise von diesen Berufen? Gewählt haben Sie den akademischen Weg und waren Gymnasiallehrer und Rektor eines Gymnasiums …
Durchaus, ja. Ich arbeite übrigens noch immer gerne mit den Händen.

Sie sind also zu Hause auch als Handwerker einsetzbar?
Ich denke schon. Das ist ein guter Ausgleich zu meiner Arbeit. Ich habe beispielsweise unsere Solaranlage installiert und in unserem Hobbyraum den gesamten Innenausbau und Teile der «Stromerei» selber gemacht.

Dominik Rothenbühler

48 Berufsleute aus dem Verteilgebiet des Bärnerbär nehmen an den SwissSkills teil. Wir haben uns mit Elena Hofer getroffen, welche für die Lindenhofgruppe ins Rennen steigen wird.
«Wenn ich mich etwas annehme, dann will ich es auch richtig machen.» Elena Hofers’ Ambition ist, wie sie von sich selbst sagt, angeboren. Soeben hat sie ihre Lehre als Pflegefachfrau im Lindenhofspital abgeschlossen. Am 12. September wird sie für ihren Arbeitgeber gegen die besten ihres Fachs an den SwissSkills antreten. Die Qualifikation zur Schweizer Berufsmeisterschaft erfolgte automatisch, weil Hofer schon die Berner Kantonalmeisterschaft für sich entschieden hatte. Sie ist also aktuell die beste Berner Fachfrau Gesundheit, «von all denen, die sich zur Berner Ausscheidung angemeldet hatten», fügt sie bescheiden hinzu. Hofer hebt die praxisnahe Ausbildung im Lindenhofspital heraus, ist dankbar, dass sie so schnell in ihrem Beruf fortkommen konnte. Auf die SwissSkills wird sie von ihrem Arbeitgeber explizit vorbereitet, es sind auch bereits Fantrikots mit ihrem Namen im Umlauf. Dem internen Kommunikationsnetzwerk der Lindenhofgruppe sei Dank, dass mittlerweile alle ihre Kollegen wissen, dass sie es ist, die das Spital an den Schweizer Berufsmeisterschaften vertreten wird. Auch ihre um 3 Jahre jüngere Schwester, welche soeben ihre eigene Ausbildung beim selben Arbeitgeber wie Elena in Angriff genommen hat. «Sie weiss wohl am besten, wie ambitioniert ich sein kann.» Hofer schmunzelt und fügt an, «sie wird ihre eigene Messlatte finden. Die Erwartungen, die ich im Vorfeld der SwissSkills an mich stelle sind höher als die aller anderen.» Ein Platz unter den besten zehn müsse es schon sein.

Im Rampenlicht stehen Patienten
Elena Hofer hat einen Beruf gewählt, bei dem ihre Patienten im Mittelpunkt stehen. Sie hat bereits die Berufsmatura in Angriff genommen, die Höhere Fachschule Pflege soll folgen und irgendwann will sie an vorderster Front stehen, wenn Menschen in medizinischer Not erste Hilfe geleistet wird. Ihre Leidenschaft gründet darin, anderen Menschen durch Pflege zu helfen. Doch nur wenige Wochen nach ihrem erfolgreichen Lehrabschluss dreht sich alles um sie. Eine unbekannte Situation. Sollte sie auch den Schweizer Meistertitel holen, wäre sie für die Berufs Weltmeisterschaften in Russland qualifiziert.

pd

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