Es hat etwas gedauert, bis Melanie Mettler in Bundesbern Fahrt aufnehmen konnte. Nun läuft die GLP-Nationalrätin zu Hochform auf. Ein Porträt.
Sie entschuldigt sich sofort, obwohl sie gar nichts dafür kann. Mit etwas Verspätung trifft Melanie Mettler zu unserem Interviewtermin am späteren Mittwochnachmittag in einem Berner Café ein. «Die Kommissionssitzung hat länger gedauert.» Eilig bestellt sie ein Cola. Dann beginnt das Gespräch doch noch. Zum Glück. Es wird eines, in dem Mettler auch verrät, was sie abends vor dem Zubettgehen liest. Vor genau zwei Jahren wurde die heute 43-Jährige in den Nationalrat gewählt – nachdem sie zuvor acht Jahre lang für die Grünliberalen im Berner Stadtrat sass. Damit gerechnet hatte Mettler eigentlich kaum. «Ich trat mein Amt ziemlich unvorbereitet an. Was mir bei meinem abrupten Einstieg geholfen hat, war der Rucksack aus dem Stadtparlament: Ich wusste, was es heisst, Mehrheiten zu schaffen.» Als Fraktionschefin der GLP tat sie das von 2013 bis 2019 ziemlich erfolgreich.
Barocker Engel im Bundeshaus
Noch im Herbst 2020, kurz vor der zweiten Corona-Welle und rund ein Jahr nach ihrem Einzug ins nationale Parlament, erklärte Melanie Mettler leicht frustriert, sich im bundesrätlichen Politbetrieb nicht wirklich zuhause zu fühlen. Zudem würde sie aus ihrer Optik von den Medien zu wenig wahrgenommen. Das hat sich mittlerweile geändert: Erst am Freitag sass sie in der SRF-«Arena» – wenn auch «nur» in der zweiten Reihe («Ich war vor meinem Auftritt schon etwas nervös») –, die TamediaRedaktion kürte sie vor kurzem ausserdem zu einer der zwölf einflussreichsten Neo-Nationalrätinnen. Als «Brückenbauerin» wurde die Bernerin dort bezeichnet. Die klassische Bezeichnung für ein Mitglied einer Mittepartei? «Einfach die eigenen Positionen zu proklamieren, das überlasse ich den politischen Polen. Ich wurde gewählt, um mich mit der Materie auseinanderzusetzen und zu differenzieren.» Derzeit versucht Mettler, das schon fast als unlösbar geltende Dossier Altersvorsorge so mitzugestalten, dass es im Parlament und schliesslich in der Bevölkerung eine Mehrheit findet. «Es wäre schön, wenn ich meinen Teil dazu beitragen könnte.» Mit einem Augenzwinkern zwar, aber nicht ohne Stolz erwähnt Mettler ihre Arbeit im Covid-Gesetz, über das Ende November abgestimmt wird. Von ihrer Partei habe sie das Dossier gefasst – und es zusammen mit Mattea Meyer (SP) und Albert Rösti (SVP) auf «breitere demokratische Füsse» gestellt. «Ursprünglich war ein Urnengang gar nie vorgesehen.» Und so nennt Melanie Mettler, Geschäftsführerin des Arbeitgebendennetzwerks Compasso, auf die Frage, was ihr am Job als Bundesparlamentarierin persönlich denn so gefalle, explizit den Austausch mit Menschen, mit denen sie sonst wohl nie eine gemeinsame Gesprächsebene finden würde. «Den Austausch ausserhalb der eigenen Bubble halte ich für enorm wichtig.» Und ergänzt: «Persönliche Sympathien haben wenig damit zu tun, wie stark man politisch gleicher Meinung ist.» Doch klar: Die eigene Fraktion sei selbstverständlich ihre Homebase. Zudem sei so ein Leben unter starken Persönlichkeiten nicht nur spannend, sondern oft auch lustig, erzählt Mettler. Zum Beispiel, wenn Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard im kaputten Glaslift wie ein barocker Engel hoch in der eindrücklichen Bundeshaushalle hängt und seine Geschäfte halt per Telefon weitertreibt oder wenn Magdalena Martullo-Blocher Abenteuergeschichten darüber erzählt, wie sie im Frühling 2020 die damals in der Schweiz raren Masken für die Coiffeure und Coiffeusen importierte.
Das Privatleben leidet
Was Mettler sauer aufstösst, ist, wenn jemand nur aus Eigeninteresse oder Machtgedanken heraus politisiert anstatt, wie sie es formuliert, als Volksvertretungen die Gesellschaft zu gestalten. Die Macht spielen lassen, nicht, weil es der Gesamtgesellschaft dient, oder bessere Bedingungen für künftige Generationen schafft – sondern einfach, weil sie es können. «Da sträubt es mir das Fell!» Nachfrage: Meint sie damit die SVP? «Solche Exponenten finden sich an beiden Rändern.» Da drückt sie wieder durch, die Mitte-Politikerin. Die Brückenbauerin. Im Gespräch betont die doktorierte Anglistin wiederholt, wie viel Freude ihr die Aufgabe im Bundeshaus mache. Obwohl ihr Privatleben doch ein wenig darunter leidet. Wenn sich während der Session die Verhandlungen bis Mitternacht hinziehen und am Morgen darauf um 6 Uhr im Bundeshaus weitergeführt werden, dann existiert kaum Freiraum. Sie schlafe zu wenig, gibt Mettler zu. Der parlamentarische Milizbetrieb läuft Tag und Nacht, sieben Tage die Woche – das zeitigt seine Wirkung. «Ich altere in Siebenmeilenstiefeln», lacht Mettler. Zumindest äusserlich ist ihr davon seit ihrer Wahl im Oktober 2019 nur wenig anzusehen. Mettler muss ihre Freiräume demnach wohl oder übel einplanen – und legt sie auf die Zeit vor dem Zubettgehen. Sie liest. Auf die Frage nach dem Inhalt zögert Mettler zunächst. Dann sagt sie etwas verschämt: «Fantasyromane!» Und lacht erneut. Muss jemand, der sich den ganzen Tag mit zähen Dossiers herumschlägt, abends auch noch «Krieg und Frieden» lesen? Trotz aller Mühseligkeiten möchte Melanie Mettler in zwei Jahren erneut antreten. «Es braucht die Kräfte der GLP.» Natürlich: Wer Anfang Jahr zur Vizepräsidentin der Partei ernannt wurde, wird kaum nach einer Legislatur bereits die Segel streichen. «Wir Grünliberalen wollen erwachsen werden und müssen uns parat machen, um in den Exekutiven dieses Landes Verantwortung zu übernehmen. Dazu benötigen wir Sitze in den Parlamenten.» Die Chancen für eine Wiederwahl Mettlers stehen gut: Eine Tamedia-Wahlanalyse zeigt, dass seit 2019 von den grossen Parteien einzig die Grünen (+3,1%) sowie die GLP (+2,8%) in den Kantonsparlamenten zulegen konnten. Und das Zugpferd Klimaschutz dürfte nicht so schnell von der Bildfläche verschwinden. Melanie Mettler kann sich darauf einstellen, bald in der ersten Reihe der «Arena» Platz zu nehmen.
Yves Schott