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Diese Frauen wissen, wie trendy Bern wirklich ist

Bern, das verschlafene Nest? Tempi passati. Und wenn das eine Zürcherin sagt, dann muss es ja wohl stimmen.

Sie könnten es wissen. Nein, sie müssen eigentlich. Wenn es um Gastronomie, Kultur und Lifestyle in und um Bern geht, sind sie schliesslich die Expertinnen. Seit über sieben Jahren betreiben die Bärner Meitschi – nein, kein Sexismus-Alarm, so nennen sie sich selbst – ihren gleichnamigen Internet-Blog. Dort geben sie Tipps, wo es sich in der Hauptstadtregion am besten brunchen lässt, welches die schönsten Brockenstuben sind und wie ein Frühlingsputz für den eigenen Körper funktioniert. Fast 25 000 Personen folgen den insgesamt sechs jungen Frauen mittlerweile auf Facebook, Instagram und Twitter.

Bern, das neue Berlin?
Frage gleich zu Beginn also: Wie viel Klasse hat Bern denn jetzt? Simona sagt: «Mehr, als viele dieser Stadt wohl zugestehen würden. Man muss einfach nur danach suchen.» Wirklich? Ja. Bloss: «Bern gibt sich in dem Bereich ziemlich bescheiden.» Die 28-jährige Kommunikationsfachfrau dürfte es als gebürtige Zürcherin ja wissen. Es habe sich in den letzten Jahren einiges getan, bestätigt Pascale (31). «Bern ist gewachsen.» Vorbei die Zeiten also, als es praktisch ein Ding der Unmöglichkeit war, sich an einem Sonntagmittag noch ein anständiges Zmorgebuffet zu gönnen und man für diese Frage von Servicekräften schräg angeschaut wurde? «Es existieren mehrere Lokale, die einen Brunch bis um 14 Uhr oder sogar noch länger anbieten», meint Pascale. Um dann gleich einzuwerfen: «Doch Bern darf in diesem Bereich durchaus noch berlinerischer werden.» Die deutsche Millionenmetropole gilt weit über die Grenzen hinaus als Brunch-Hochburg, manche Lokale weibeln sogar mit einem 24-Stunden-Service. So weit ist Bern nicht falls es die Schweizer Bundesstadt überhaupt je sein wird. Macht nichts, winkt Pascale ab. «Es tut sich was, gerade in der Popup-Szene.» Gemeint sind die temporären GastroBetriebe, die gerade in diesem, einmal mehr heissen Sommer wie Pilze aus dem doch gar nicht mehr so feuchten Boden schiessen. Die Bars an der Aare und in den Quartieren grüssen munter.

Bitte keine Nachnamen
Ein spezielles Prinzip, wie die Bärner Meitschi auf ihre Hotspots stossen, existiert in dem Sinne kaum. «Das Wichtigste ist der Bern-Bezug. Und dann berichten wir grundsätzlich über Dinge, die wir selbst cool finden. Es passiert äusserst selten, dass wir für einen Beitrag extra irgendwo hingehen», erklärt Nina (30). Das Blog-Glück liegt auf der Strasse – oder zumindest an der nächsten Ecke. Als Influencerinnen wollen die Macherinnen des Online-Portals nicht bezeichnet werden – dafür geht es ihnen zu stark um die Sache und zu wenig um sie selbst. Der «Über uns»-Button auf der Website wurde, im Gegensatz zu den Links, die zu den eigentlichen Beiträgen führen, bewusst im Hintergrund gehalten. Und: Ihre Nachnamen möchten die Protagonistinnen lieber nicht in der Zeitung lesen. Das mag unüblich erscheinen, wirkt aber in dieser häufig so narzisstisch geprägten Blog-Szene wohltuend bescheiden. Die Texte, sämtliche Informationen, alle nützlichen Tipps – sie kosten Zeit, sollen aber auch in Zukunft ein Hobby bleiben. Geld fliesst nur selten, und wenn, dann wird der Betrag direkt in die Homepage reinvestiert. Gemäss Simona weiss «das betreffende Restaurant häufig gar nicht, dass wir testen». Die Kennerin geniesst und schweigt. Bern traut sich. Langsam zwar, wie es sich für diese Stadt ziemt, aber sicher. Es ist so etwas wie Aufbruchsstimmung zu spüren. Kleinere Rückschritte wie die Geschichte um die Bäckerei Aegerter während des Gurtenfestivals können passieren. Verbesserungspotenzial liegt in der Luft, vielleicht sogar auf der Hand.

«Es darf ruhig lauter sein»
«Aus meiner Sicht fehlt der Stadt manchmal der Mut», sagt Simona mit leichtem Seufzen. «Es darf alles ruhig noch lauter sein. Am Sonntag brauchst du ausser einem Brunch in der Innenstadt nicht viel zu wollen.» Insgesamt lautet die Marschrichtung im Gastro- und Eventbereich aber: vorwärts. Und das ist gut so. Den Bärner Meitschi wird die Arbeit nicht so schnell ausgehen.

Yves Schott

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