An den Berner Behörden lässt er häufig kein gutes Haar. Grosse Hoffnung setzt Thomas Balmer, Präsident von KMU Stadt Bern, deshalb auf das Stadtfest Ende Juni. Der Anlass könnte ein Umdenken auslösen, so hofft er.
das Gegenteil!»
Thomas Balmer, freuen Sie sich aufs Bärner Stadtfescht?
Ja, sehr. Gerade nach dieser für viele so schwierigen Zeit finde ich es gut, dass ein solcher Anlass über die Bühne geht. Eifach zäme feschte, so wie es das Motto vorsieht.
Ist die Freude bei Ihnen auch deshalb besonders gross, weil der Event privat anstatt von einer Behörde organisiert wurde?
Die Stadt Bern tut hier das, was sie in einem solchen Fall immer tun sollte: Sie stellt den Raum zur Verfügung und kassiert nicht noch Gebühren ein. Wobei die Stadt momentan wohl derart auf ihre Finanzen achtet, dass sie wohl gar kein Interesse daran hatte, einen solchen Event organisieren zu müssen.
Was bedeutet der Grossanlass für das lokale Gewerbe?
Insbesondere die Gastrobranche wird eindeutig von dieser Veranstaltung profitieren. Aber auch Schausteller und Kulturschaffende. Einen Fest-Turnus von ungefähr drei Jahren, so wie er derzeit angedacht ist, halte ich für richtig.
Wann ist das Fest für Sie ein Erfolg?
Das letzte Mal in Bümpliz 2016 kamen 120000 Personen. Dort stand allerdings eine Agentur dahinter, die die Beiträge, welche die Stadt zur Verfügung gestellte hatte, fast selbst gänzlich aufgebraucht hatte. Im Zentrum von Bümpliz stand eine Tribüne, die das städtische Jugendamt betrieb; folglich blieb das lokale Gewerbe eher aussen vor.
Vonseiten KMU Stadt Bern müssen Sie selbst nur wenig organisieren?
Das überlassen wir den jeweiligen Betrieben. Ich sage immer: Die Stadt muss nicht dafür sorgen, dass gearbeitet wird, sondern bloss die Rahmenbedingungen schaffen, damit wir arbeiten können.
Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit Berns Behörden ganz allgemein beurteilen?
Eine Stadt entsteht dort, wo sich ein Verkehrsknotenpunkt befindet. Das ergibt einem Markt die Möglichkeit, sich zu entfalten. Ein Beispiel: Im Zentrum braucht es kein Heizungsunternehmen, ein solcher Betrieb wird sich etwas ausserhalb ansiedeln. Schwierig an der Sache ist jetzt, dass das kaum je verstanden wird. Weil alternative Wohnformen oder der Veloverkehr einseitig gefördert werden, entwickelt sich Bern zunehmend weg von der früheren Form eines florierenden Wirtschaftsstandorts zu einem Zentrum mit öffentlichen Verwaltungen und Bundesbetrieben.
Was macht Ihnen besonders Bauchweh?
Das hängt immer vom subjektiven Standpunkt ab – meiner ist logischerweise jener des Gewerbes. Aktuell leben hier sehr viele Geschäftsund Betriebsinhaber:innen, die sich nur selten verstanden fühlen. Die Bedürfnisse, die benötigt werden, um erfolgreich ein Geschäft zu führen, werden zu wenig berücksichtigt. Man spricht zwar ständig von einer Durchmischung, doch eigentlich passiert genau das Gegenteil.
Wie würde denn Ihr Wunsch-Bern aussehen?
Etwa, indem die Stadt einem Investor ein Mitspracherecht einräumt und nicht das Stadtplanungsamt vorgibt, wie etwas auszusehen hat und der Investor dafür auch noch bezahlen muss.
Fairerweise muss gesagt werden, dass die Einwohnerinnen und Einwohner die städtische Politik meist mit einer satten Mehrheit unterstützen.
Eindeutig, ja. Durch die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und subventionierten Kita-Plätzen hat sich die Mentalität verändert.
Die Frage ist nun: Hat die Politik die Einstellung der Leute verändert oder haben die Leute die politische Ausrichtung verschoben?
Eigentlich die klassische Huhn-oder-Ei-Frage. 1993 fiel die bürgerliche Mehrheit. Seither findet eine Verschiebung nach links statt; ein Trend, der in den Städten der ganzen Schweiz zu beobachten ist. Die einzige, mir bekannte Ausnahme ist Chur.
Sie haben vorhin die einseitige Bevorzugung des Veloverkehrs erwähnt.
Nehmen Sie das Beispiel Migros Marktgasse: Aufgrund der Pläne, die Zeughausgasse komplett frei von Autoverkehr zu machen, stoppte die Migros ihr Umbauprojekt, weil sie unsicher war, ob die Versorgung des Ladens gewährleistet ist. Das ist eine direkte Folge dieser Verkehrspolitik: Man investiert nicht mehr. Eine andere Geschichte habe ich selbst erlebt …
Erzählen Sie.
Ich traf vor einiger Zeit am Waisenhausplatz auf eine Zürcher Autofahrerin, die im Hotel Bären an der Schauplatzgasse einen Vortrag halten wollte. Sie fragte mich, wie sie dorthin komme, denn sie habe schwere Ware dabei. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als bis zum Ostring zu fahren und von dort aus das Casinoparking anzusteuern. So war sie dann zumindest auf der richtigen Seite. (lacht) Dass das kaum klimafreundlich ist, müssen wir wohl kaum extra erwähnen…
Ein paar lobende Worte für die lokalen Behörden haben Sie aber schon noch?
Das Anreizmodell während des Lockdowns, wonach Liegenschaftsbesitzer die eine Hälfte der Miete übernahmen und die Stadt den anderen Teil – das fand ich sehr gut. Nicht einfach bezahlen, sondern: Wenn auf der einen Seite jemand hilft, helfen wir ebenfalls. Die betroffenen Ladenbesitzer waren enorm froh über diese Unterstützung.
Im Bärnerbär-Interview vom Januar 2020 haben Sie dem Gemeinderat Arroganz unterstellt. Würden Sie die Aussage so wiederholen?
Nein, ich war damals insbesondere darüber verärgert, wie das Tiefbauamt mit uns umging…
Die Direktion der damaligen Gemeinderätin Ursula Wyss.
Ja. Da legt Marieke Kruit zum Glück eine ganz andere Tonalität an den Tag. Wir sind nach wie vor oft anderer Meinung, allerdings kann man wieder miteinander reden. Wer nie angehört wird, fühlt sich unverstanden, deswegen reichten wir dann zahlreiche Beschwerden ein. Wir haben das damals fast bis Exzess getrieben. Das Maximum waren, glaube ich, vierzig blockierte Projekte. Wir wollten damit nicht zuletzt ein Umdenken erreichen, was wir heute auch erreicht haben.
In besagtem Interview beklagten Sie ausserdem die zunehmende Ausbreitung internationaler Handelsketten in der Innenstadt. Unterdessen existieren zwischen Bahnhof und Zytglogge eine Lidlund zwei Aldi-Filialen.
Und dafür keine einzige Metzgerei mehr! Käsereien und die Pferdemetzg sind immerhin in der Unteren Altstadt zu finden. Scheinbar ist man zufrieden mit dem, was derzeit angeboten wird. Doch ein Comestibles-Geschäft fehlt eindeutig. Wer früher etwas speziell Feines einkaufen wollte, ging zum Meister – eine wunderbare Erinnerung. Vielleicht bin ich aber auch der Einzige, der solchen Läden hinterhertrauert…andererseits stechen mir diverse leere Auslagen ins Auge.
Das ist der Wettbewerb. Es erhalten jene die freien Ladenflächen, die die Miete dafür bezahlen können.
Klar, wobei manche Liegenschaftsbesitzer hier offenbar ein bisschen überbordet haben.
Zwischen Zytglogge und Bärenpark scheint die Auswahl diversifizierter: Kunstgalerien, kleine Buchhandlungen, Sexshops …
Das stimmt. Wobei die Untere Altstadt daran krankt, Laufpublikum zu generieren. Ist der Märit am Samstagmittag vorbei, wird es dort ziemlich ruhig. Deshalb schliessen kurze Zeit später andere Geschäfte ebenfalls. Versuchen Sie mal, an einem Sonntagmorgen irgendwo eine Zeitung zu kaufen.
Welche Schulnote würden Sie der Stadt alles in allem geben?
Bern hätte unglaublich viel Potenzial. Note 5,5. Wenn ich sehe, was effektiv daraus gemacht wird, ist es dann hingegen eher eine 3. Dort liegt die Schwierigkeit: Die Entwicklung ist rückwärtsgewandt. Eine Migros soll aus ökologischen Gründen mit dem Velo beliefert werden…dabei steht in der Lebensmittelverordnung klipp und klar, dass Fleisch und Fisch während des ganzen Lieferungsprozesses gekühlt sein müssen. Gleichzeitig produziert mit dem Bread à porter noch ein einziger Beck in der Innenstadt seine Gipfeli selbst, alle anderen haben ihre Backstuben in die Peripherie ausgelagert und beliefern die Verkaufsstellen in der Stadt mit Lieferwagen.
Könnte das Bärner Stadtfescht also auch etwas auslösen?
Der Seele wird dieser Anlass definitiv guttun. Zudem werden die Leute sehen, wie toll eine Stadt ist, die allen offensteht und nicht nur den eigenen Bürgerinnen und Bürgern, die zu Fuss oder mit dem Velo anreisen.
Yves Schott