«Bern ist die Hauptstadt der Schokolade, doch leider wird das touristisch viel zu wenig vermarktet», sagt Lukas Wenger. Der selbstständige Touristikfachmann ergreift deshalb die Initiative für ein Schokoladen-Museum. Wenger will damit Suchard, Lindt, Tobler, Wander und Bloch ein Denkmal setzen und damit gleichzeitig neben dem Bärengraben, dem Zytglogge und dem Einsteinhaus einen weiteren einzig- artigen touristischen Bern-Ort schaffen.
«2019 wird ein Jahr zum Feiern!», jubelt Lukas Wenger. Den in Münsingen aufgewachsenen Tourismusexperten hat das Schokoladen-Fest-Fieber gepackt. «Die Lindt-Schoggi wird 140 Jahre alt, die Ovomaltine feiert den 115. und die Toblerone den 111. Geburtstag», freut sich Wenger über die Kombination von Jubiläen der bekanntesten Schokoladen – nicht nur in der Schweiz! «Es ist höchste Zeit, dies zu würdigen und der Welt zu zeigen, dass Bern die eigentliche Hauptstadt der Schokolade ist.»
Was? Bern? Hauptstadt der Schweiz, ja. Aber Schokolade? Sicher doch! Denn die Erfolgsgeschichte der Schweizer Schokolade ist in erster Linie auch eine Berner Geschichte. Sowohl Lenin und Chaplin atmeten in Bern Schoggiluft. Ersterer wohnte in der Nähe der Tobler-Schoggi-Fabrik in der Länggasse, der Hollywoodstar besuchte mit grossem Interesse die Fabrik seiner Lieblingsschokolade. Ob die heutigen Studentinnen und Studenten im Unitobler-Gebäude wissen, an welchem Ort sie studieren? Die angehenden Historikerinnen und Historiker sollten es wissen. Tobler mit seiner Toblerone ist einer der «Big Five» in der Schoggistadt Bern.
Suchard machte Lehre in Bern
Die Geschichte der «Bärner Schoggigiele» begann vor 205 Jahren. 1814: Der Neuenburger Philippe Suchard lernte Confiseur bei seinem Bruder in Bern an der Kramgasse 23. Die Familie blieb der Schoggi zwar nicht in Bern treu, doch die Weltfirma Suchard mit der 1901 geborenen Milka hat Berner Gene.
50 Jahre nach Philippe Suchards Lehrabschluss an der Kramgasse startete zwei Gassen stadtabwärts die Schoggi-Revolution: Es war der wohl wichtigste Meilenstein seit der Erfindung der Schokolade, der 1879 in der Berner Matte, in der Wasserwerkgasse 20/22, gelegt wurde.
Bern – die Schoggistadt
Der 24-jährige Patriziersohn Johann Rudolf Lindt, der sich damals schon Rodolphe Lindt nannte, präsentierte seine revolutionäre Chocolat Fondant. Bis dahin war Schokolade eher bitter und sandig. Nun wurde Schokolade richtig schön zartschmelzend und die Aromen kamen perfekt zur Geltung. Böse Zungen behaupten, Lindt wäre nicht sehr arbeitsfreudig gewesen und hätte eines Freitags einfach vergessen, seine Maschinen abzustellen – und als er am Montag wieder zurückkehrte, war ein Wunder geschehen – Schokolade, die einfach auf der Zunge zergeht.
20 Jahre konnte Lindt sein Geheimnis hüten, die Schokolade bei richtiger Temperatur tagelang zu rühren. «Lindt war wohl doch ein genialerer Tüftler, als man dachte, er entwickelte eine besondere Reibmaschine, die Conche», sagt Lukas Wenger. Und er weiss noch mehr Interessantes: «Die Lindt-Fabrik, die man von der Nydegg- brücke aus sieht, trägt die Aufschrift A&W Lindt. A und W steht für Ludwig August und Gottlieb Walter, Bruder und Cousin von Rodolphe, beide 12 Jahre jünger. Diese Fabrik, die erst um die Jahrhundertwende entstand, wurde von den Lindts gebaut, an Sprüngli vermietet und hier wurden dann auch Lindt&Sprüngli-Schokoladen hergestellt.» Die Verwaltungsräte dieser Berner Niederlassung waren Ludwig August und Gottlieb Walter Lindt. Um 1905 kamen die Lindts auf die Idee, Sprüngli zu kündigen und selbst Lindt-Schokolade nach dem Originalrezept herzustellen – diese Machenschaften lösten einen über 20-jährigen Rechtstreit mit Sprüngli aus, den am Ende die Zürcher gewannen.
Ovo, Toblerone und Ragusa
1865 eröffnet Georg Wander in der Berner Altstadt ein chemisch-technisches Laboratorium. Wander beginnt mit medizinischen Präparaten und ist von der Wirksamkeit des Malzes überzeugt. Sein Sohn Albert präsentiert 1904 die Ovomaltine. OVO bzw. Ovaltine ist Kult. Nicht nur in der Schweiz, sondern rund um den Globus. Ovo ist eine weitere süsse Weltmarke made in Bern!
In der Berner Matte erfand Rodolphe Lindt die erste «richtige» Schokolade.
«The Big Five»: Suchard, Lindt, Wander, Tobler und Bloch haben alle Berner Wurzeln.
Toblerone und Ragusa
Jean Tobler, der Vater von Theodor, Appenzeller, seit 1867 in Bern und seit 1868 mit eigenem Confiserie eschäft in der Länggasse, erkannte als einer der ersten das Potenzial dieser neuen Schokolade und übernahm den Vertrieb während rund 10 Jahren. Um die Fabrik in der Länggasse zu finanzieren verkaufte Jean Tobler 1897 Land an die Kirchgemeinde, das er 20 Jahre zuvor ersteigert hatte. Die Pauluskirche entsteht neben der Villa Toblers.
Die Toblerone ist die Königin der Schokoladen – weltweit! Sie wurde 1908 von Theodor Tobler und seinem Cousin Emil Baumann erfunden, machte Chocolat Tobler zum grössten und am schnellsten wachsenden Industrieunternehmen der Stadt Bern (siehe dazu auch die Erinnerungen des damaligen Tobler-PR-Mannes Thomas Bornhauser unten).
«Lindt und Tobler muss man in Bern ebenso vermarkten wie Einstein.»
Camille Bloch wurde 1891 in Bern geboren und absolvierte die Kaufmännische Lehre bei Tobler – 1926 machte er sich selbstständig und er 1932 mit ehemaligem Personal und Maschinen von Lindt an der Belpstrasse seine eigene Schoggifabrik, bevor er 1935 nach Courtelary in den Berner Jura übersiedelte und 1942 Ragusa erfand.
«Die berühmtesten und kultigsten Schokoladen der Welt stammen aus Bern beziehungsweise haben hier ihren Ursprung. Nur: Wer weiss denn sowas?», ereifert sich Lukas Wenger. «Bern – die Hauptstadt der Schokolade, das ist ein verborgener touristischer Schatz!», ist er überzeugt. «Alleine die Historie von Lindt, Tobler und Wander würde den halben Louvre ausfüllen. Diese heute vergessenen Geschichten und Anekdoten kennt niemand. Bern macht nichts draus. Das wollen wir ändern», gibt sich der Schoggistadt- Initiant kämpferisch.
Ein Schokoladenpark für Bern
Konkret bedeutet das: Lukas Wenger will zusammen mit Mitstreitern, Mäzenen und Gönnern einen Berner Schokoladenpark eröffnen.
«Schokoladenparks in der Schweiz boomen regelrecht, nur in Bern nicht», ärgert sich Wenger. Man kann ihm nachfühlen, denn nahezu jede Schokolademanufaktur hat in den letzten Jahren einen eröffnet. Cailler war 2010 der erste dieser Art. Seither kommen jährlich zwischen 350 bis 400 000 Besucher nach Broc, Tendenz steigend. «Touristen wollen einfach in eine Swiss Chocolate Factory», betont Lukas Wenger, «deshalb entwickelte sich das Maison Cailler hinter dem Verkehrshaus Luzern zum zweitbeliebtesten Museum der Schweiz.»
Heute verbindet niemand Bern mit Schokolade, selbst die meisten Berner nicht. Wenger will das ändern und seinen Worten über «das Silicon Valley der Schokolade» nun Taten folgen lassen: «Die Swiss Chocolate World will diese faszinierenden Geschichten visuell in einem Erlebnispark erzählen.» Wenger hofft dabei auf die Unterstützung von Nachkommen der Firmengründer sowie Berner Investoren.
Dem Schoggipark-Initianten schwebt ein auf die Bedürfnisse der heutigen Touristen zugeschnittenes Projekt vor: «In einem Radius von wenigen Metern wurde die erste richtige und dann die berühmteste Schokolade der Welt und dazwischen, zeitlich und örtlich, die Relativitätstheorie erfunden. Lindt, Tobler und Einstein, die muss man zusammen vermarkten», sagt Wenger, der sein Projekt «Culturefun» nennt. «Wir wollen einen Ort schaffen, an den man sich zeitlebens mit einem Lächeln erinnert. Bern hat es verdient.»
swisschocolateworld.com
Matthias Mast