Nonchalance, falsche Strategie, illegale Handlungen. Thomas Balmer, KMU-Präsident der Stadt Bern, geht mit Michael Aebersold sowie dem Gesamt-Gemeinderat hart ins Gericht.
Finanzdirektor Michael Aebersold hat sich gründlich verrechnet. Wie peinlich ist das für ihn?
Grundsätzlich kann das schon passieren. Bloss war der Steuerrückgang für juristische Personen vorhersehbar. Schauen Sie: Als die Credit Suisse 2008 aus Bern wegzog, meinte der damalige Stapi Alexander Tschäppät sinngemäss: «Dann sollen sie halt.» Die CS wollte eigentlich bleiben, Auflagen haben den Bau jedoch so lange verzögert, bis die Bank nach Gümligen zog. Diese Art von Nonchalance seitens der Behörden begreife ich nicht.
Es ziehen aber nicht nur grosse Firmen weg aus Bern.
Nein, auch etliche KMU. Sanitärgeschäfte, Heizungsinstallateure siedeln sich andernorts an. Der Gemeinderat will sich dieses Problems allerdings nicht annehmen, obwohl damit viel Geld verloren geht.
Das kann niemand ernsthaft wollen.
Das passiert, wenn rein ideologisch politisiert wird. Autos sind unerwünscht, man will vor allem Velos und sozialen Wohnungsbau. Nehmen Sie den Entwicklungsschwerpunkt Ausserholligen: Die Fachhochschule Bern ist gut und recht, nur wird sie keine Steuern bezahlen. Die Schülerinnen und Schüler bringen ihr Sandwich mit, verstopfen abends die Züge und lassen kaum einen Rappen in Bern liegen. Das ist eine falsche Strategie!
Wie verhindert Bern denn neue Investitionen und Projekte?
Die Migros möchte für die Erneuerung ihres Standorts an der Marktgasse bekanntermassen über 100 Millionen Franken investieren. Die städtischen Verkehrsplaner hingegen beabsichtigen, Anlieferungen nach Mittag zu verbieten. Damit wird das Projekt hinfällig. Im Marziliquartier wiederum sollen Parkplätze verschwinden, die für die Bäckerei Fürst existenziell sind, weil sie Laufkundschaft bringen. Die Metzgerei Lehmann im Neufeld beschäftigt ihrerseits deutlich weniger Mitarbeitende, seit die Strasse dort zu einer Sackgasse umfunktioniert wurde. Was ich sagen will: Es herrscht keine Verlässlichkeit mehr und es ist verständlich, wenn der Steuerertrag so sinkt.
Immerhin bewegen sich die städtischen Steuern im schweizerischen Durchschnitt.
Aber was man dafür bekommt, ist weit unter dem Durchschnitt und die fehlende Bereitschaft der Behörden, auf die Anliegen einzugehen, ist nervend. Es wird einem quasi mit Tausend kleinen Nadelstichen der Garaus gemacht.
Herrscht in der Stadtregierung also der links-grüne Grössenwahn?
Eine gewisse Arroganz ist sicherlich vorhanden. Reicht die linke Seite im Parlament ein Geschäft ein, wird es vom Gemeinderat blitzartig umgesetzt. Kommt es von bürgerlicher Seite – sofern der Antrag die Hürde überhaupt passiert – wird das Anliegen auf die lange Bank geschoben. Das Motto lautet offenbar: «Wir haben die Mehrheit und wir tun, was wir wollen.» Tempo-30-Zonen ohne Baugesuch durchboxen – das ist wider die Legalität.
Seien wir ehrlich: Umgekehrt wäre es doch genau so.
Als die Bürgerlichen an der Macht waren, sind sicherlich Fehler passiert. Aber nicht in dem Sinne, dass bewusst illegale Handlungen vollzogen worden wären.
Stadtpräsident Alec von Graffenried verlangt in einem «Bund»-Interview, Michael Aebersold müsse zum «Wadenbeisser» werden. Bahnt sich hier ein Konflikt an?
Ein guter Ausdruck. Aebersolds Vorgänger Alexandre Schmidt war genau so jemand. Aebersold muss jedes Geschäft kritisch prüfen und sicher auch nicht 5 Prozent Lohnerhöhung beim städtischen Personal anordnen. So etwas geht in der heutigen Zeit einfach nicht – nur die Stadt leistet sich da eine Ausnahme. Abgesehen davon, dass diese Angestellten nebst guten Löhnen ein Jahr früher in den Ruhestand dürfen und weitere Privilegien geniessen.
Apropos: Unter der dreijährigen Ägide Aebersolds sind die Personalkosten um 23 Millionen Franken gestiegen.
Vor allem handelt es sich dabei meist um Beratungs- oder Stadtplanungsstellen und damit um Arbeitsplätze, die keinen Ertrag bringen und nur kosten.
Wo muss denn die Stadtregierung nun konkret sparen? Es war zu lesen, dass dem Hallenbad am Hirschengraben jetzt das endgültige Aus droht.
Das «Mubeeri» zu schliessen, wäre hirnrissig. Es ist äusserst beliebt und zentral gelegen. Der Gemeinderat preist Bern gerne als «Stadt der kurzen Wege» an, schickt die Menschen dann aber in Zukunft zum Schwimmen ins Neufeld. Das ist kein Vorschlag, sondern eine Trotzreaktion.
Nochmals: Wo muss der Rotstift angesetzt werden?
Die Stadt soll sich auf ihre grundsätzlichen Aufgaben zurückbesinnen. Einen fürsorglichen «NannyStaat» braucht es definitiv nicht. Die Stadtgärtnerei etwa bietet Urban Gardening an und ist die grösste Gartenbaufirma der Westschweiz. Sie wird den neuen riesigen Viererfeld-Park betreuen, dazu werden entsprechend viele Leute benötigt, die wieder kosten. Kommt hinzu, dass die Behörden dort gerade mal 150 Wohnungen an private Investoren verteilen. Der grosse Rest geht an die Hauptstadtgenossenschaft, die notabene von SP-Grossrätin Ursula Marti geleitet wird.
Sind Sie trotzdem noch gerne in Bern?
Das bin ich, die Stadt an sich wäre ja sehr schön. Ich denke manchmal mit Wehmut an jene Zeiten zurück, als sie richtig gelebt hat. Mir tut jedes Fachgeschäft leid, das auszieht und durch eine internationale Kette ersetzt wird. Das bedeutet einen Verlust an Identität. Und wieso werden die einseitigen Interessen der Reitschule so vorbehaltlos durchgesetzt? Der Parkplatz auf der Schützenmatte generierte jährlich Einnahmen in der Höhe von 600000 Franken.
Müsste Michael Aebersold nach diesem Debakel nun eigentlich zurücktreten?
Ich möchte es anders ausdrücken: Er riskiert durch solche Vorfälle seine Wiederwahl. Jedenfalls hat er einen Tollgen in seinem Heft.
Yves Schott