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Elternzeit-Initiative: «Das sind bloss Ausreden!»

Zu teuer, sagen die Gegner. Missstände endlich beseitigen, erwidern die Befürworter. Der Bärnerbär hat Stadträtin Simone Richner (FDP) und Grossrat David Stampfli (SP) zum Streitgespräch über die Elternzeit-Initiative geladen.

Simone Richner, was ist Ihr wichtigstes Argument gegen die Initiative?
Simone Richner: Die Entwicklungskosten sind eindeutig zu hoch. Ich sehe nicht ein, wieso der Kanton Bern alleine vorausmarschieren soll, wenn auf Bundesebene bereits Projekte in eine ähnliche Richtung gehen. Die Elternzeit wird kommen, zweifellos. Aber Bern als Nehmerkanton kann sich die Vorreiterrolle schlicht nicht leisten.

David Stampfli, wie lautet Ihr wichtigstes Argument für die Initiative?
David Stampfli: Wir müssen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf endlich verbessern. Die Schweiz ist in diesem Bereich ein Entwicklungsland. Nein, national wird sich in den nächsten Jahren nichts tun. Bei der Einführung der AHV oder des Frauenstimmrechts waren es auch die Kantone, die vorangingen.

Geht es auf Bundesebene nun vorwärts oder nicht?
Richner: Natürlich. Ein bereits angenommener Vorstoss prüft aktuell die Wirtschaftlichkeit verschiedener Elternzeitmodelle.
Stampfli: Fakt ist: Genau jene Parteien, inklusive Freisinnige übrigens, die mit dem kantonalen Flickenteppich argumentieren, sträuben sich im Bundeshaus gegen eine schweizweite Elternzeit. Und Bern ist ja bei weitem nicht der einzige Kanton, in dem diese ein Thema ist.

Bloss wurde sie im Kanton Zürich deutlich bescheidener formuliert, da waren nur 18 Wochen vorgesehen. Trotzdem wurde die Initiative mit zwei Dritteln der Stimmen deutlich bachab geschickt.
Stampfli: Bern ist nicht Zürich, wir machen es besser. Eine nationale Umfrage zeigte kürzlich, dass sich 57 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer eine Elternzeit wünschen.
Richner: David, du widersprichst dir: 57 Prozent der Bevölkerung sind angeblich für die Elternzeit, dazu wird in zig Kantonen darüber diskutiert. Wo also sind die von dir zitierten Verhinderer? Dass die Elternzeit kommen wird, ist klar, nun aber alle mit einer vorgepreschten kantonalen Lösung zu verunsichern und somit die meines Erachtens wichtigeren Bedürfnisse wie Tageschulen und Fremdbetreuungsstrukturen dadurch ins Wanken zu bringen, finde ich fahrlässig.
Stampfli: Hauptargument gegen die Initiative ist das Geld. Ja, eine Elternzeit wird kosten – egal ob kantonal oder national das Kostenargument zu spielen, halte ich daher für ein Scheinargument.

Eine Elternzeit auf nationaler Ebene wird an den Bürgerlichen scheitern – korrekt?
Richner: Das würde ich bestreiten. Doch lassen Sie mich einen anderen Punkt gegen die Initiative einbringen: Man hat vergessen, die Arbeitgeber mit ins Boot holen. Diese Initiative stellt Forderungen, ohne aufzuzeigen, welche Risiken sich daraus für die KMU ergeben. Die Angst kleiner Betriebe, die Ausfälle, die durch eine Elternzeit entstehen, in Zeiten des Fachkräftemangels nicht adäquat abfedern zu können, ist berechtigt. Hier ist ein Alleingang des Kantons Bern schlicht nicht förderlich.
Stampfli: Unternehmen wie die Swisscom oder Ikea haben von sich aus eine Elternzeit eingeführt, im Wissen darum, dass die eigenen Mitarbeitenden das so wünschen. Für KMU ist dies aus eigener Kraft viel schwieriger, deshalb braucht es eine gemeinsame Lösung für alle. Es ist dasselbe wie beim Militär: Dort wird verlangt, dass die Männer – und auch einige Frauen – Dienst tun. Wenn da solche Absenzen verkraftbar sind, wieso sollte dann eine Elternzeit Probleme machen? Was ich damit sagen will: Bei den Argumenten der Gegner handelt es sich vor allem um Ausreden.

Simone Richner, Länder wie Spanien, Frankreich oder Deutschland bieten allesamt eine Elternzeit von über 100 Wochen an. In dieser Hinsicht sieht die Schweiz ziemlich alt aus.
Richner: Sie formulieren es richtig: Wir reden hier von Ländern. Es wurden also bundesweite, nicht regionale Lösungen installiert. Ausserdem bieten diese Staaten quasi Rundum-Pakete inklusive Betreuungsangebote an. Sehen Sie: In den ersten 14 Wochen nach der Geburt war hauptsächlich ich für meine Tochter da, weil ich jene biologischen Merkmale aufweise, die ein Kind in dieser Zeit braucht. Damit ich in Zukunft im Arbeitsmarkt bestehen kann, benötigt es aber gut aufeinander abgestimmte Drittbetreuungsprogramme wie Tagesschulen und genügend Kita-Plätze. Eltern brauchen mehr flexible Angebote, damit jemand sich um ihr Baby kümmert, wenn sie morgens um 8 Uhr im Supermarkt mit der Arbeit beginnen müssen – die Elternzeit hilft hier nur sehr marginal. Eine teure kantonale Initiative erst recht nicht.

Sie haben beide ein Interesse daran, Frauen nach der Geburt eines Kindes rasch wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die eine Seite sagt, dafür bedürfe es einer Elternzeit, die andere Seite hält genau das für kontraproduktiv. Wer hat denn nun recht?
Stampfli: Der Fachkräftemangel liesse sich gewaltig entschärfen, indem mehr Frauen und vor allem in einem höheren Pensum arbeiten würden. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass mit einer Elternzeit die Erwerbsquote insgesamt steigt. Heute ist es so: Bei einer Geburt bleibt meistens die Frau länger zuhause und übernimmt damit fast immer die Hauptverantwortung für das Kind.
Richner: Das ist eine Unterstellung!
Stampfli: Nein, eine Tatsache! Dank einer Elternzeit können die Eltern von Anfang an die gleiche Verantwortung tragen. Das wirkt sich positiv auf die Betreuung, die Gleichstellung und damit auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus.
Richner: Das bezweifle ich stark. Entzieht sich ein Mann in den ersten 14 Wochen nach der Geburt seiner Verantwortung als Vater und ist zu wenig präsent, kann diesen Umstand selbst eine Elternzeit nicht beheben. Elementare Dinge wie Betreuung müssen lange vor der Geburt in der Partnerschaft geklärt werden. Eine staatliche Lösung wird nie etwas bringen.

Sprich: Ihre Initiative bringt also kaum etwas, Herr Stampfli.
Stampfli: Dass es eine Elternzeit braucht, sagen selbst die Gegner. Und da es national nicht vorwärtsgeht, ist der Weg über unsere kantonale Initiative der beste Weg zum Ziel. Zeit zu haben für ein Kind, ist enorm wichtig, auch für die Väter. So können beide Elternteile eine Beziehung aufbauen. Anders als bei mir: Ich hatte als Kind eine starke Bindung zur Mutter, wohingegen der Vater erst abends für uns da war. Es ist etwas gar einfach zu sagen, der Mann müsse halt präsenter oder stark sein. Nein, wir müssen Anerkennung schaffen, privat wie in der Wirtschaft, damit es ganz normal wird, dass Eltern zu gleichen Teilen für ein Kind zuständig sind.

Zum Schluss: Was ist das Schönste daran, Zeit mit Kindern zu verbringen?
Richner: Die Verliebtheit ins Detail wieder zu schätzen.
Stampfli: Ein Kind lässt einen wieder träumen.

Yves Schott

PERSÖNLICH

Simone Richner, geboren 1985, wuchs in Langenthal auf. Sie arbeitet als Rechtsanwältin und ist seit 2021 FDP-Stadträtin, zudem ist sie Vize-Präsidentin der FDP Stadt Bern. Richner hat eine Tochter (Ronja, 2 Jahre alt) und wohnt mit ihrem Partner in Bern.

David Stampfli, geboren 1982, wuchs in der Länggasse auf. Er ist seit 2014 Geschäftsführer der SP Kanton Bern und Grossrat. Stampfli ist mit der Könizer Gemeindepräsidentin Tanja Bauer liiert, die drei Kinder aus einer früheren Beziehung hat. Das Paar wohnt gemeinsam in Wabern.

DIE ABSTIMMUNG

Die Initiative für eine kantonale Elternzeit verlangt die Einführung einer 24-wöchigen bezahlten Elternzeit im Kanton Bern. Sie würde zusätzlich zum bereits bestehenden Mutter- und Vaterschaftsurlaub gelten. Je sechs Wochen wären pro Elternteil reserviert, die restlichen zwölf Wochen könnten die Eltern frei unter sich aufteilen. Bezogen werden könnte die Elternzeit ab Geburt des Kindes bis zum Eintritt in den Kindergarten. Der Grosse Rat lehnt die Initiative ab, vor allem wegen der Mehrkosten von geschätzt rund 200 Millionen Franken pro Jahr.

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