Fein essen und Geschenke schenken: Das gehört an Weihnachten dazu, findet Berns reformierte Kirchenpräsidentin Judith Pörksen. Der tiefere Sinn dahinter sei allerdings ein anderer.
Judith Pörksen, darf man Weihnachten eigentlich doof finden?
(Überlegt kurz und lacht dann) Ja, natürlich! Befürchtet jemand Spannungen in der Familie oder empfindet die Organisation für die Feier als zu stressig, kann ich mir durchaus vorstellen, dass Weihnachten nicht gerade Glücksgefühle auslöst.
Was also tun, wenn bereits im Vornherein klar ist, dass das Essen vor dem Tannenbaum sowieso wieder in Gezänke ausartet?
Eine Möglichkeit wäre, zusammen rauszugehen. Die offene Kirche Bern zum Beispiel organisiert an Heiligabend auf dem Bahnhofplatz einen riesigen Stern aus Kerzen. So ist man weniger mit sich selber beschäftigt. Schwieriger wird es hingegen für jene, die an diesen Tagen alleine sind.
Was empfehlen Sie diesen Menschen? Sich einfach irgendwo anzuschliessen, braucht schliesslich oft Überwindung.
Es sich zuhause gemütlich zu machen, ist möglich. Kerzen anzünden, etwas Feines kochen, die Ruhe geniessen.
Trotzdem: An Weihnachten allein zu sein, dürfte sich eher wegen der äusseren Umstände schwierig gestalten. Im Nachbarhaus leuchtet der Tannenbaum, die Familie isst gemeinsam – selbst aber sitzt man ohne Gesellschaft im Wohnzimmer.
Sehen Sie: Weihnachten ist für mich, die in Bern-Bethlehem wohnt, natürlich etwas Besonderes. Würde ich den Abend alleine verbringen, würde ich in Bethlehem am Maiglöggliweg entlangspazieren und mich an den zahlreichen kunstvoll dekorierten Fenstern erfreuen. Am Weihnachtsmorgen könnte man sich zudem dem Weihnachts-Chor anschliessen – alle sind willkommen, auch die, die vielleicht weniger gut singen (lacht). Die Gruppe läuft singend gemeinsam durchs Quartier, manche rufen einem von den Fenstern her zu.
Ist Weihnachten also nach wie vor in?
Das glaube ich schon. Ich habe gelesen, dass kaum an Geschenken gespart wird. Das ist toll. Natürlich spüren viele die Teuerung, dennoch wollen die meisten etwas schenken. Das hängt mit der Weihnachtsbotschaft zusammen: an die anderen denken, bedingungslose Liebe. Und Hoffnung.
Ist es denn in Ordnung, nichts zu schenken?
Ja. Ein Geschenk ist bloss eine von verschiedenen Formen, einander Zuneigung zu zeigen. Zeit zusammen zu verbringen, ist ebenfalls sehr wertvoll. Und wer am 24. Dezember wiederum für sich sein möchte, darf das ja gerne tun.
Soll man an Weihnachten in die Kirche?
Aus meiner Sicht lohnt es sich unbedingt! An Weihnachten betreten einige die Kirche, die sie sonst im Alltag kaum besuchen. Im Berner Münster herrscht ausserdem stets eine spezielle Atmosphäre. Es existieren aber auch andere Formen des Feierns, wie etwa Krippenspiele mit Quartierbewohnerinnen und -bewohnern. Über mehrere Standorte verteilt, draussen, mit Eseln und Schafen. Ich erachte es als wichtig, dass wir als Kirche aus der Kirche selbst heraustreten.
Was also ist der tiefere Sinn von Weihnachten?
Ich kann das kaum von der Weihnachtsgeschichte losgelöst beschreiben. Wer fragt: Wie komme ich zu Frieden, Freude, zu einem erfüllten Leben? Die Antwort lautet: Weihnachten, Gott zeigt den Weg. Denken Sie an den leuchtenden Stern. Die Kraft der bedingungslosen Liebe erleben selbst jene, die kaum christlich geprägt sind. Ein klein wenig lässt sich das derzeit in der Ukraine beobachten: Es braucht eine innere, seelische Kraft, um grossen Herausforderungen zu begegnen und in solchen Momenten zusammenzuhalten.
An Weihnachten wird oft viel gegessen und getrunken. Ist es der Sinn, sich möglichst die Bäuche vollzuschlagen?
Nein, definitiv nicht. Gott selbst wählt ja mit dem Stall auch eine eher bescheidene Umgebung.
Das ist scheinheilig: Fürs gute Gewissen an die Armen zu denken und im selben Atemzug ein Filet in sich reinzustopfen.
Und gleichwohl ist für die meisten ein feines Essen und Trinken Ausdruck von Freude. Sich selbst und anderen etwas zu gönnen, ist kein Widerspruch. An Weihnachten soll das Dunkle nicht künstlich ausgeblendet werden, man kann ihm mit Licht allerdings etwas entgegensetzen.
Was können wir von Weihnachten lernen? Und was nicht?
(Denkt nach) Es geht sicher nicht um Materialismus. Schenken ist grossartig, doch der tiefere Sinn ist kaum, möglichst viel zu konsumieren. Es ist die Hoffnung, die weitergetragen werden soll. Am schönsten wäre es aus meiner Sicht, wenn in diesen Tagen alle ein Zeichen von Wertschätzung erhielten. Ein Gefühl des Angenommen-Seins. Ich höre von Leuten manchmal, dass sie Mühe haben, Hoffnung zu schöpfen. Gerade Junge sagen das.
Geprägt durch die Ereignisse der letzten fast drei Jahre.
Klar. Wieso fahren die Klimaaktivisten von Extinction Rebellion mit so massivem Geschütz auf? Sie haben inneren Stress, weil sie denken, sonst passiere nichts auf diese Welt. Wenn ich das Münster betrachte und sehe, wie alt es ist … es gab schon so manche, die dachten, es sei bald aus mit der Welt.
Vor rund 30 Jahren beim Waldsterben hatten Zehntausende bereits den Weltuntergang vor Augen. Und wir sind immer noch da.
Zum Glück! Das lässt einen gelassener, hoffnungsvoller sein. Was wir von Weihnachten lernen können? Sich auf den Weg machen. Mit Freude.
Es lohnt sich. Ich nahm am Donnerstag übrigens an der Feier zu Ehren von Albert Rösti in Uetendorf teil. Die Leute haben mit ihm gefestet. Noch-Bundesrat Ueli Maurer hielt eine Rede. Er sagte etwas sehr Gutes.
Nämlich?
Er meinte zu Rösti, dass viele ihm nun beschieden würden, er sei auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt – dabei sei er doch am Tiefpunkt (lacht).
Wie bitte?
Ja, denn, so erklärte er, das Volk sei der Souverän, dann kämen die Politiker, der Bundesrat. Als Diener des Volkes. Das ist ein überaus christlicher Gedanke. Gott dient der Bevölkerung. So verstehe ich auch mein Amt: Es geht nicht um Macht, sondern darum, anderen zu dienen, für andere etwas zu bewirken.
Yves Schot
Judith Pörksen, geboren am 29. September 1963 in Flensburg D, ist seit 1992 ordinierte Pfarrerin. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Pörksen wurde per 1. Oktober 2020 als erste Frau zur Präsidentin des Synodalrats (Exekutive) der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn gewählt.
An Weihnachten alleine? Hier wird gemeinsam gefeiert!
• Lichtermeer auf dem Berner Bahnhofplatz: 10 000 Kerzen werden angezündet – mindestens. Jede:r ist willkommen. Samstag, 24. Dezember, ab 20 Uhr. offene-kirche.ch
• Offene Weihnachtsfeier mit Nachtessen, organisiert von der Heilsarmee. Samstag, 24. Dezember ab 17.30 Uhr, Laupenstrasse 5 in Bern. Keine Anmeldung nötig. blog.heilsarmee.ch
• Weihnachtsfeier für alle – Christvesper mit Weihnachtsspiel, Apéro, Abendessen und Christnachtfeier. Samstag, 24. Dezember ab 17.30 Uhr, Kirchgemeindehaus Bümpliz, Bernstrasse 85. Anmeldung bis 20.12. bei Daniel Krebs: 031 996 60 61
• Wir feiern Heiligabend gemeinsam – für Familien, Paare und Alleinstehende. Ab 17.30 Uhr, kirchliches Zentrum Bürenpark, Bürenstrasse 8, Bern. Unkostenbeitrag pro Person: 25.– . Anmeldung: 076 248 54 26
• Weihnachtsanlass im «Offenen Haus La Prairie». Ab 18 Uhr, Sulgeneckstrasse 7, Bern. Keine Anmeldung nötig.