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«Es geht um ein Machtgefälle»

Susanne Rebsamen ist Leiterin der Fachstelle für Migrations- und Rassismusfragen der Stadt Bern. Der Bärnerbär hat mit ihr über die Begriffe «woke», «Cancel Culture» und «Kulturelle Aneignung» gesprochen.

Susanne Rebsamen, Sie haben die Hände verworfen als wir Sie mit dem Begriff «woke» konfrontiert haben. Warum?
Susanne Rebsamen: Der Begriff stammt ursprünglich aus der schwarzen Bürgerrechtsbewegung und erlebt bei uns derzeit einen Hype. Aus meiner Beobachtung wird er häufig verwendet, um sich despektierlich über Menschen zu äussern, die Ungleichheitsstrukturen umgehen und Diskriminierungen thematisieren und bekämpfen wollen. Diese Bestrebungen sind im Gegensatz zur Verwendung des Begriffs «woke» kein Trend. Wir als Fachstelle setzen uns seit Jahren mit der Thematik auseinander.

«Woke» ist kein Begriff, den Sie in Ihrer Arbeit verwenden?
So ist es. Wäre ich schwarz oder hätte ich sonst Rassismus am eigenen Leib erfahren, wäre dies vielleicht anders. Ich spreche aus einer anderen Per­spektive. Wir wollen diesen Begriff nicht verwenden, weil es nicht der richtige Kontext wäre. Aber jetzt sehen wir uns gezwungen, ihn zu erklären.

Sie haben den Missbrauch mancher Begriffe durch die politische Rechte angesprochen. Sehr rasch wird aus diesen Kreisen «Cancel Culture» geschrien. Können Sie verstehen, wenn Leute fürchten, nicht mehr sagen zu können, was sie denken?
Auch «Cancel Culture» ist so ein Schlagwort. Es wird oft ins Feld geführt, wenn Menschen die freie Meinungsäusserung beschnitten sehen. Nur, darum geht es ja nicht. Es geht darum, dass Menschen, die sich diskriminierend geäussert haben, keine Plattform mehr geboten werden soll. In der Realität gibt es heute höchstens mehr Achtsamkeit gegenüber Diskriminierung. Es geht nicht darum, dass jemand nicht mehr zu Wort kommt.

Es gab durchaus Fälle, etwa in den USA, wo gewisse Professor:innen von Universitäten ausgeladen worden sind, weil sie «zu rechts» argumentierten.
Ein gutes Stichwort. Wir übernehmen Begriffe aus den USA 1:1 und benutzen sie im deutschsprachigen Raum. Das ist problematisch: Wir haben zwar bei uns in der Schweiz auch Rassismus, aber wir haben andere Bevölkerungsgruppen und einen anderen Diskurs. Ich kann mich nicht zu einzelnen Fällen äussern, aber ich habe das Gefühl, dass man sich heutzutage häufiger fragt: Wer spricht aus welcher Perspektive, wer hat die Legitimation, was für Machtgefälle gibt es? Das hat nichts mit «Cancel Culture» zu tun.

Sprechen wir über den Begriff «Cultural Appropriation», der in Bern für rote Köpfe gesorgt hat. Wie beurteilen Sie den Vorfall in der Brasserie Lorraine? Was verstehen Sie unter «Kultureller Aneignung»?
Ich kann mich nicht zum Fall in der Brasserie Lorraine äussern, und zwar aus dem einfachen Grund, weil ich nicht dort war. Was mich an diesem Vorfall mehr interessiert ist, was danach passiert ist.

Man weiss ja, was passiert ist: Ein Konzert wurde abgebrochen.
Ja, aber das alleine reicht nicht aus, um den Fall beurteilen zu können. Es ist nicht an mir zu beurteilen, was richtig oder falsch ist. Für mich ist es spannend, welcher Diskurs daraus entstanden ist. Es war ein kleiner Vorfall, der eine grosse mediale Reaktion ausgelöst hat. Das mag mit dem medialen Sommerloch zu tun haben, aber auch, weil damit offenbar ein wunder Punkt unserer Gesellschaft getroffen wurde und Selbstverständlichkeiten ins Wanken kommen.

Gab es bei dieser Sache einen Generationenkonflikt?
Pauschal lässt sich das nicht sagen, aber in der Tendenz dürfte die Beobachtung zutreffen. Dabei ist zu bedenken: Junge Menschen wachsen mit einem anderen Selbstverständnis auf und gehen leichtfüssiger mit Identitätsfragen um.

Ist es nicht gefährlich, von schwarzer und weisser Kultur zu sprechen und die beiden voneinander abzugrenzen? Man nähert sich doch so der Politik der Identitären.
Sie vergessen etwas Wichtiges. Es geht bei «Cultural Appropriation» um ein Machtgefälle. Global gesehen sind weisse Menschen gegenüber schwarzen privilegiert. Wenn man koloniale Machtstrukturen reproduziert, in dem man etwas nachahmt oder gar lächerlich macht, ist das etwas anderes, als wenn eine schwarze Person Ballett tanzt.

Eine schwarze Person hätte nach dieser Logik in der Brasserie Reggae spielen dürfen, auch wenn sie seit drei Generationen in Bern lebt?
Deshalb sage ich ja: Ich möchte diesen Vorfall nicht kommentieren. Ich kenne weder die Biografien dieser Menschen noch weiss ich, wer sich zur Wehr gesetzt hat. Menschen haben sich mit wichtigen Fragen auseinandergesetzt und es hat eine riesige Empörungswelle gegeben. Es geht nicht darum, zu bestimmen, wer Reggae spielen darf und wer nicht, sondern in welchem Kontext das geschieht.

Bern gilt als linkeste Stadt der Schweiz. Sind wir à jour betreffend Diskriminierung?
Auch Bern ist nicht frei von Rassismus. Das ist mit ein Grund dafür, dass die Bekämpfung von Rassismus zu einem Schwerpunkt der Tätigkeiten unserer Fachstelle geworden und dieser Schwerpunkt auch in unserem Namen sichtbar ist. Doch: Der Diskurs in der Stadt Bern ist heute sicher sehr viel weiter als noch vor ein paar Jahren. Wir sind ständig am Lernen.

Was wünschen Sie sich von denMedien?
Ich wünsche mir Vielfalt und dass mehr unterschiedliche Menschen zu Wort kommen und ihre unterschiedlichen Erfahrungen, Positionen und Perspektiven einbringen können. Und natürlich würde ich mich freuen, wenn sie über unsere Aktionswochen gegen Rassismus berichten.Nicht weil ich PR brauche, sondern weil da wahnsinnig viele spannende Menschen zusammenkommen.

Helen Lagger

Susanne Rebsamen ist 41 Jahre alt und in Schaffhausen aufgewachsen. Sie hat in Freiburg soziale Arbeit und Sozialpolitik studiert. Rebsamen arbeitet seit 14 Jahren bei der Stadt Bern im Bereich Migration und Rassismus. Sie lebt mit ihrer Familie in Bern.

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