Und wieder fällt die grosse Party auf dem Gurten ins Wasser. Medienleiterin Lena Fischer erklärt, wie es dem Festival geht, was sich 2022 ändert und wieso ihre Namensvetterin kein Thema ist.
Diese Woche wäre Gurtenfestival. Nun fällt es bereits zum zweiten Mal aus. Traurig?
Sehr, ja (lächelt gequält). Trotzdem fühlt es sich schon etwas «normaler» an als letztes Jahr, als die Absage eher kurzfristig kam und die ganze Situation absolut neu war. Jetzt ist es keine Operation am offenen Herzen mehr.
Womit trösten Sie sich?
Wir konzentrieren uns – Holz anfassen – voll und ganz auf die Ausgabe 2022.
Wie geht es der Gurtenfestival AG denn nach eineinhalb Jahren Pandemie?
Grundsätzlich gut.
Diese Antwort überrascht.
Tatsächlich?
Ja, im positiven Sinn natürlich.
Klar konnten wir jetzt lange nicht arbeiten und folglich keinen Umsatz erwirtschaften. Das ist ein herber Schlag für uns. Andererseits wissen wir, dass es uns nächstes Jahr weiterhin gibt – das macht Mut. Zudem haben wir über ein halbes Jahr lang für den Kanton Bern eine Testorganisation geführt, so wie zum Beispiel das Schnelltestzentrum in Belp. Etwas Sinnvolles zu leisten, tat wirklich gut.
Sie gönnen sich nun eine Ferienpause, daraufhin folgt die Planung fürs nächste Jahr. Was können Sie zur Ausgabe 2022 verraten?
Das Programm ist derzeit gerade im Entstehen begriffen. Sonst bleibt eigentlich alles beim Alten.
20 000 Besucherinnen und Besucher am Tag plus drei grosse Konzertbühnen und drei Dancetents?
Ja, das Gelände wird mehr oder weniger so aussehen wie 2019.
Gurtenfestival 2022, Mitte Juli, so wie früher – dazu ein grosses Testzentrum vor dem Eingang?
Ja, Ungeimpfte werden vorher getestet, Genesene und Geimpfte zeigen ihr Zertifikat und erhalten danach Einlass. Das ist jedenfalls der Stand aus heutiger Optik. Im Grossen und Ganzen planen wir so – Details, sprich einzelne Bausteine, können sich durchaus ändern, das wissen wir.
Ein radikaler Umbau mit nur noch 5000 Gästen und kleineren Bühnen ist folglich nicht geplant?
Nein. Wir wollen das Herz des Events so belassen, wie es war. Die Eckpfeiler bleiben unangetastet, kleine Veränderungen sind natürlich möglich.
Im Line-up 2020 standen Seeed, Loredana oder die Black Eyed Peas. Wer tritt denn nun 2022 auf?
Das darf ich leider hier noch nicht verraten (lacht). Was ich sagen kann: Aus dem Line-up von 2020 wird sicher die eine oder andere Band respektive Künstler mit dabei sein, es wird allerdings nicht eins zu eins dasselbe Programm sein.
Wann werden die ersten Künstler kommuniziert?
Normalerweise startete im Dezember der Ticketvorverkauf, gleichzeitig mit der Bekanntgabe von ersten Acts. Im März war dann meist das ganze Line-up da. Einen genauen Fahrplan kann ich Ihnen nicht nennen – vielleicht dürfen wir schon im September den Namen des einen oder der anderen Künstlerin veröffentlichen.
Werden Tickets, Speisen und Getränke teurer?
Nein, trotz finanzieller Einbussen. Gleichzeitig wollen wir den Food-Betreibern keine Preishoheit diktieren.
Das Gurtenfestival driftete in den letzten Jahren zusehends in die Indie-Rock-Ecke ab. Wie sieht die aktuelle musikalische Ausrichtung aus?
Grundsätzlich ist der Güsche ein Pop-Mainstream-Festival und ausserdem ein Stadtfest.
Bei dem x-beliebige Musikinteressen aufeinandertreffen.
Richtig. Es soll weiterhin so sein, dass jeder ein Konzert findet, bei dem er sich wohlfühlt. Andererseits ist es uns wichtig, eine Bandbreite des aktuellen Musikgeschehens und bestimmter Trends abdecken zu können. Musikaffine sollen sich genauso mit dem Gurtenfestival identifizieren wie jene, die Musik einfach am Radio hören.
Häufig ist das Booking von Künstlerinnen und Künstlern sicherlich schlicht eine Kostenfrage. Ein Name wie Pink ist für den Gurten wahrscheinlich zu teuer?
Punkto Budget liegen wir im Schweizer Vergleich sicher nicht abgeschlagen zurück, mit einem Publikum von 20000 Menschen hat aber alles irgendwann seine Grenzen. Wir möchten auch nicht das ganze Budget auf einen Act konzentrieren und dafür für andere Slots kein Geld mehr zur Verfügung haben.
Apropos Mainstream: War Helene Fischer bei Ihnen nie ein Thema?
Wir diskutieren untereinander unter uns drei Bookern äusserst breit. Ich sage ausserdem: Sag niemals nie! Trotzdem ist Helene Fischer ein Act, der insgesamt weniger zu uns passt.
Mag sein. Doch das Publikum hätte an jemandem wie Helene Fischer garantiert seine Freude.
Einverstanden, die Leute haben allerdings an sehr vielem Freude – und das meine ich positiv. Man findet bei jedem Act Personen, die vor dem Konzert zuvorderst an der Bühne stehen. Die hohe Kunst für uns besteht nun darin, das Programm in sich stimmig und abwechslungsreich zu gestalten. Musik ist etwas extrem Subjektives, jeder Geschmack hat seine Berechtigung.
Fliessen die persönlichen Wünsche von Bookern ins Line-up mit ein?
Man hat seine Vorlieben, das ist klar, für manche Bands ist die persönliche Begeisterung logischerweise grösser als für andere. Am Ende des Tages müssen wir jedoch professionell entscheiden können.
Also keine Fischers und Eglis auf dem Gurten. Insgesamt treten an Festivals grundsätzlich sehr wenige Frauen auf.
Ein wichtiges Thema, das mir persönlich am Herzen liegt und uns nicht nur im Booking intensiv begleitet. Die Wirkung auf die Menschen, wer auf und hinter einer Bühne steht, ist riesig. So ist es zum Beispiel auch wichtig, dass in Jurys und beim Speakern nicht nur Männer vertreten sind. Bloss: Die Booking-Arbeit ist leider kein Wunschkonzert. Es gibt immer wieder Acts, die wir gerne bei uns hätten, die im Juli aber nicht auf den Gurten kommen können oder zu teuer sind. Am Schluss sind es manchmal dann halt doch häufiger Männer, die auftreten.
Diversity ist das eine grosse Thema, Nachhaltigkeit das andere. Sie haben die Trash Heroes, zudem kann man seinen Bierbecher der Umwelt zuliebe spenden.
Es wäre gelogen, ein Open-Air als nachhaltig anzupreisen – noch dazu auf einem Hügel oben. Umso intensiver machen wir uns Gedanken darüber, wo wir uns verbessern und einsparen können. Den perfekten Masterplan auszuarbeiten, ist ziemlich schwierig.
Welche Band oder welche Künstlerin würden Sie persönlich gerne mal auf dem Gurten sehen?
Reden wir in einem Jahr nochmals darüber, vielleicht ist dieser Act dann ja auf unserem Line-up (lacht).
Wenn Sie, wie 2018, eine Trash-Band wie die 257er auf den Gurten holen, wissen Sie allerdings schon, dass Ihnen die Kritik der Kulturjournalisten ziemlich sicher ist?
Selbstverständlich. Wir stellen das Programm aber fürs Publikum zusammen, nicht für die Kulturjournalisten (lacht laut).
Yves Schott