Bb 020620 Bärn Gurten Tierpark

«Es sah ein bisschen aus wie in einem Zombie-Thriller»

Schon bald strömen die Leute wieder auf den Gurten und in den Tierpark. Ein Gespräch mit den Verantwortlichen der höchst- und tiefstgelegenen Berner Touristenattraktionen.

Schon bald strömen die Leute wieder auf den Gurten und in den Tierpark. Ein Gespräch mit den Verantwortlichen der höchst- und tiefstgelegenen Berner Touristenattraktionen.
Kommerziell würde das durchaus Sinn machen. Wir sind aber verant
wortlich für die Sicherheit, vor allem auch für jene der Tiere. Diese haben sich in den letzten drei Monaten vom Menschen entfremdet und reagieren jetzt anders. Den Affen war es langweilig, klar. Die Flamingos andererseits haben ihr Verhalten geändert und müssen sich erst wieder an die Leute gewöhnen. Wenn wir nun an einem Samstag mit schlagartig grossen Besuchermengen öffnen, dann konfrontieren wir die Tiere mit
Stress, den sie möglicherweise nur schwer ertragen.

Die Tiere werden also behutsam an die neue Situation herangeführt?
Ja, solche «Tests» laufen schon seit 14 Tagen. Sehen Sie: An schlechten Tagen spazieren 300 Besucher an den Flamingos vorbei. In meinem Team arbeiten sieben Angestellte – wenn wir das realistisch durchspielen wollten, kämen wir den ganzen Tag zu nichts anderem mehr. (lacht) Wir wünschen uns folglich einen regnerischen Montag, um sachte zu starten.

Hans Traffelet, wie sehr sehnen Sie den 6. Juni herbei?
Die Mitarbeitenden können es kaum erwarten. Wenn ich zurückdenke an den vergangenen April und das schöne Wetter, der Gurten aber gleichzeitig geschlossen bleiben musste … das hat mir schier das Herz gebrochen, aber die Gesundheit steht schliesslich über allem. Frühling und Herbst sind für uns die wichtigste Zeit. Wenn dann das Wetter in dieser Zeit mitspielt, wird es ein gutes Jahr.

Konnten Sie dem leeren Hausberg trotzdem etwas Positives abgewinnen?
Ich war während des Lockdowns eigentlich jeden Sonntag auf dem Gurten. Die ausgestorbene Atmosphäre – das hatte schon etwas Mystisches an sich.

Wie sah es bei Ihnen aus, Herr Schildger? Waren Sie frustriert?
Für Frust werden wir nicht bezahlt, weder Hans noch ich. Das wäre dem Betrieb kaum zuträglich. 1968 war der Zoo wegen der Maul- und Klauenseuche ebenfalls für ein paar Wochen geschlossen. Seither hatten wir 365 Tage im Jahr geöffnet. Speziell war bei uns hingegen etwas Anderes …

Nämlich?
Wir haben eine einzige Vitalfunktion: die Tiere am Leben zu erhalten. Was wäre nun geschehen, wenn eine Pflegerin oder ein Pfleger am Coronavirus erkrankt wäre? Deswegen haben wir sämtliche Pfleger in drei komplett autarke Kompartimente eingeteilt, die drei Tage am Stück bis zu 16 Stunden gearbeitet haben. Diese Leute liefen auf dem Zahnfleisch hier raus. Anschliessend hatten sie sechs Tage lang frei. Das heisst darüber hinaus, dass die Wege praktisch nie geputzt wurden und überall Grünzeug wucherte. Es sah so ein bisschen aus wie beim Zombiethriller «I am Legend» mit Will Smith. (schmunzelt)

War die ausserordentliche Lage für die Tiere insgesamt positiv oder negativ?
Schildger: Ein Tier denkt nicht in diesen Kategorien. Es überlegt sich nicht: Wie lange dauert das noch? Es kann sich an geänderte Rahmenbedingungen anpassen und tut das auch. Manche Tiere wie beispielsweise die Affen leiden etwas mehr, sicherlich. Ihnen war langweilig.

Können Sie den durch den Lockdown entstandenen finanziellen Verlust bereits ungefähr beziffern?
Traffelet:
Eine solche Situation habe auch ich noch nie erlebt. Wie für alle anderen Gastrobetriebe war es für uns ebenfalls eine äusserst schwierige Zeit. Noch im Februar assen wir mit den Kollegen des Gurtenfestivals Zmittag. Der Tenor war: Zum Glück ist das alles jetzt und nicht im Juli. Um Ihre Frage zu beantworten: Wir haben bis dato zirka einen Viertel des Jahresumsatzes verloren. Die grosse Blackbox ist aber die Frage nach der Zukunft. Kommen die Leute wieder brunchen? Werden wieder Business- anlässe gebucht? Können sich die KMU ihre Weihnachtsessen leisten? Schildger: Auf der Kostenseite konnten wir keine Einsparungen machen: Löhne und Futter mussten ja bezahlt werden. Bis heute sind uns rund 600 000 Franken an Einnahmen entgangen. Und wir werden, wie Hans das angetönt hat, ab
8. Juni längst keinen Normalbetrieb haben. Insgesamt werden wir wohl auf ein
siebenstelliges Minus hinlaufen.

«Wir glauben, dass die Weite des Gurtens eine Chance darstellt.»

Wie sehen Ihre Schutzkonzepte aus?
Traffelet: Im Bereich Gastronomie sind es die bereits geltenden, selbstverständlich mit dem BAG abgesprochenen Massnahmen. Wir glauben, dass die Weite des Gurtens eine grosse Chance darstellt. Draussen herrscht ein anderes Ambiente als drinnen, mit diesen klinisch-künstlichen Abständen zwischen den Tischen.
Schildger: Wir sind in der Schweiz, die Bevölkerung handelt vernünftig. Das Szenario mit fünfzig Personen vor einem Gehege wird es nicht geben. Wir werden Hinweistafeln anbringen, ausserdem werden die Besucher beim Ein- und Ausgang des Vivariums gezählt. Maximal 55 Menschen dürfen sich hier gleichzeitig aufhalten.

Wie wollen Sie die Bernerinnen und Berner zurückgewinnen? Haben Sie spezielle Aktionen geplant?
Traffelet:
Ich wäre ein schlechter Beizer, würde ich diese Karte nicht spielen. Wir waren stets der Ansicht, man müsse nicht am Wochenende mit Easyjet nach Lissabon fliegen. Es kann auch nur der Gurten sein. Wir fahren die Kommunikation in den nächsten Tagen mit einer spezifischen Wiedereröffnungskampagne wieder hoch und laden die Leute ein, uns zu besuchen. Kurz gesagt setzen wir auf Regionalität und noch mehr Nachhaltigkeit als bisher. Die Gurtenbahn wird zudem parat sein, eine höhere Taktfrequenz zufahren.
Schildger: Der Bundesrat hat uns mit seinem Entscheid explizit die Verantwortung dafür übertragen, dass nichts passiert. Es geht also nicht nur um Gewinnmaximierung, sondern darum, die Hygienemassnahmen einzuhalten. Regionalität wird definitiv eine wichtige Rolle spielen, weil viele sich im Sommer überlegen werden, ob sie überhaupt verreisen möchten.

Trotz neuer Normalität: Einiges wird anders sein.
Schildger:
Ja, solch gesellschaftlich einschneidenden Veränderungen gab es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Wir sind alle gehalten, vorsichtiger zu sein. Und wir sollten uns langsam darüber Gedanken machen, welch ökologischen Blödsinn wir mit den Milliarden von Desinfektionsmitteln, Gesichtsmasken und Plastikhandschuhen veranstalten, von denen etliche schliesslich im Meer landen. Braucht es die wirklich alle oder sind manche Dinge nur fürs Gemüt? Es gibt Zoos, die meiner Meinung nach ihre Pfleger aus übertriebener politischer Korrektheit dazu anweisen, beim Kontakt mit Menschenaffen Vollschutz zu tragen. Das bedeutet: Einmalhandschuhe, Einmalmundschutz, Einmalanzug. Das ist Blödsinn.

Zum Schluss: Wann waren Sie das letzte Mal auf dem Gurten, Herr Schildger?
(überlegt) Vor rund zehn Tagen mit meiner Tochter und dem Hund.

Und Sie im Vivarium, Herr Traffelet?
Das muss rund ein Jahr her sein. Entschuldige, Bernd. (beide lachen)

Yves Schott

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