Interview

Fabian Blatter feiert zweimal im Jahr Geburtstag

Im Alter von 14 Jahren wurde dem Schüler Fabian Blatter ein zweites Leben geschenkt – mit der Transplantation eines Spenderherzens. Heute lebt er ohne Einschränkungen, nur auf Grapefruit und Blauschimmelkäse muss er verzichten.
Der Aufstieg in den vierten Stock der Wohnung von Fabian Blatter lässt unser Herz schneller pochen. Für den 26-Jährigen kein Problem, er absolviert dieses Training mehrmals täglich – mit einem fremden Herz. Mitten in der Pubertät, 14-jährig, begann die Tragödie des sportlichen Jugendlichen. «Meine Leistungsfähigkeit liess nach, ich konnte nicht mehr ‹sekle› wie ich es gewohnt war», blickt Fabian zurück. Zuerst schenkte er diesem Umstand keine Beachtung, führte die Unpässlichkeit auf mangelndes Training zurück. Dann kamen aber Symptome einer Magen-/ Darm-Erkrankung dazu, der Hausarzt verabreichte ihm entsprechende Medikamente, die aber keine Besserung brachten. Plötzlich kämpfte Fabian mit Atembeschwerden, die Lungen wurden geröntgt. Die vernichtende Diagnose: Das Herz war zu gross, verursacht durch eine Virusinfektion, und der Muskel war zu schwach, um die Pumpfunktion in genügender Weise zu erfüllen, die Leistung betrug gerade mal noch zehn Prozent. Direkt vom Hausarzt gings ins Berner Inselspital. Fabian wurde sofort operiert, die Ärzte mussten aber feststellen, dass sich Fabians eigenes Herz nicht wieder erholen wird und sein Leben nur mit einem Spenderherz gerettet werden kann.

Drei Wochen Wartezeit
Wie nahm der 14-jährige Schüler die Botschaft auf? «Eigentlich gelassen», erinnert er sich . «Ich hatte nur diese Möglichkeit, um wieder ein normales Leben führen zu können.» Während der dreiwöchigen Wartezeit auf ein Spenderherz bekam Fabian durch Vermittlung von Swisstransplant Besuch eines Herztransplantierten, mit dem er sich austauschen und Fragen stellen konnte. «Das war sehr wichtig und beruhigend für mich.» Die Information und Betreuung im Inselspital erachtet er rückblickend als tadellos, «es herrschte immer volle Transparenz», attestiert er dem Ärzteteam und den Pflegenden. Fabian bekam das Herz eines erwachsenen Menschen, mehr weiss er nicht. Gibt es da keine Probleme im Wachstum des Empfängers? Dazu Patrizia Manolio von Swisstransplant: «Bei grösseren Kindern adaptiert sich das Herz beim Wachstum und passt sich an.» Auch sei das Geschlecht kein Kriterium bei der Zuteilung der Herzen. Wichtiger sei, dass das Gewicht nicht zu stark variiere, damit das Herz genügend Platz im Brustkorb finde und genügend Kraft habe, um den Körper des Empfängers zu versorgen. Wie verhält es sich mit dem Alter der Spenderin/des Spenders? «Grundsätzlich sieht die Zuteilungsmodalität vor, dass das Alter der Spenderin oder des Spenders nicht mehr als plus/minus 15 Jahre vom Alter der Empfängerin oder des Empfängers abweichen soll», sagt Patrizia Manolio. «Die Ausnahme ist allerdings eine medizinische Dringlichkeit. Bei Patienten im Urgentstatus wird das Alterskriterium zweitrangig, da es einzig und allein ums Überleben bei einem akut gefährdeten Patienten geht», so die Sprecherin von Swisstransplant.

Täglicher Medikamenten-Cocktail
Fabian Blatter führt heute ein fast völlig normales Leben. «Lediglich auf Grapefruit und Blauschimmelkäse muss ich verzichten. Aber das ist für mich kein eigentlicher Verlust», lacht Fabian. Davon wurde ihm aus ärztlicher Sicht abgeraten, denn die beiden Nahrungsmittel vertragen sich nicht mit den Medikamenten, die er einnehmen muss. Sechs verschiedene Medikamente, verteilt auf 14 Tabletten, muss er täglich schlucken. Diese Immunsuppressiva verhindern, dass das fremde Herz vom Körper abgestossen wird. Zweimal im Jahr wird die Wirkung kontrolliert und viermal wird ihm Blut entnommen. Aber diese Auflagen nimmt Fabian gern in Kauf. Auch feiert er seit 2009 zweimal jährlich Geburtstag: Den Tag seiner «richtigen» Geburt und den Empfang des zweiten Herzens. Während der Covid-Pandemie war beim dreimal Geimpften besondere Vorsicht geboten, denn sein Immunsystem ist geschwächt. Dennoch erwischte ihn im Februar die Omikron-Variante. «Wohl dank der Impfung erlitt ich bloss die bekannten Grippe-Symptome wie Fieber, Gliederschmerzen und Schüttelfrost. Dennoch, ein etwas mulmiges Gefühl beschlich mich trotzdem», erzählt Fabian. Auch im Alltag verhält er sich vorsichtig, bei grösseren Menschenansammlungen trägt er die Maske. Fabian Blatter wird im Herbst die Weiterbildung zum Master Digital Business in Angriff nehmen und privat hegt er wieder Reisepläne. Vor der Coronakrise erkundete er 2019 während rund drei Monaten Südamerika, ausgerüstet mit der entsprechenden Ration seiner Medikamente. Zurzeit bewegt er sich noch innerhalb von Europa, «denn die Planungssicherheit für die meisten Überseeländer ist noch nicht gegeben», schmunzelt er und übt sich in Geduld. Und die hat er.

Peter Widmer

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