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«Fussballspiele mit Fans auf jeden Fall erlauben»

Er ist und bleibt die vernünftige Stimme in der Pandemie. Auch jetzt. Wieso «Mr. Corona» Daniel Koch weitere Öffnungsschritte fordert und was er von den neuen Virusvarianten hält.

Herr Koch, sind Sie geimpft?
Sogar schon zweimal, und zwar seit rund drei Wochen.

Mit welchen Nebenwirkungen hatten Sie zu kämpfen?
Nach der zweiten Impfung verspürte ich am Tag darauf ein Unwohlsein und fühlte mich leicht grippig – nichts Schlimmes allerdings. Ich rate jenen, die die zweite Dosis erhalten, aber trotzdem, sich für die kommenden Tage nicht zu viel vorzunehmen.

Wie schätzen Sie die aktuelle Corona Lage ein?
Derzeit sieht es gut aus. Nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa. Es bestätigt sich, was wir bereits letztes Jahr beobachtet hatten: Die Pandemie weist in den gemässigten Klimazonen eine klare Saisonalität auf. Der Sommer macht dem Virus zu schaffen, im Winter kann es sich besser ausbreiten. Diese Eigenschaften kennen wir übrigens von sämtlichen respiratorischen Viren.

Seit rund zwei Wochen sind die Innenbereiche von Restaurants und Bars wieder offen. Ein vernünftiger Entscheid?
Auf jeden Fall. Ich plädiere dafür, alles zu ermöglichen, was mit einem vernünftigen Risiko vertretbar ist.

Dank der Impfung könnten Sie doch auch für den Herbst Entwarnung geben? Eine so starke Welle wie letzten Oktober dürfte es kaum geben.
Grössere Wellen wie im Herbst 2020 halte ich für eher unwahrscheinlich, das stimmt. Trotzdem sind kleinere, lokale Ausbrüche durchaus denkbar, gerade in Alters- und Pflegeheimen Deshalb freuen wir uns jetzt erst einmal auf den Sommer, im Herbst müssen wir aber wieder vermehrt testen, um die besonders gefährdeten Gruppen zu schützen!

Die Website pandemieende.ch sagt ein Ende der Seuche in der Schweiz für Ende September voraus.
Hier eine Prognose zu wagen, würde keiner wissenschaftlichen Grundlage standhalten. Fakt ist: Das Virus wird nicht einfach verschwinden, dafür hat es sich zu stark in der menschlichen Population ausgebreitet.

Halten Sie die Kritik am zunächst gemächlichen Impftempo der Schweiz für gerechtfertigt?
Nein, denn man kann Impfstoffe, an denen die ganze Welt interessiert ist, ja nicht einfach herzaubern und man wollte sie logischerweise niemandemwegnehmen . Nun besteht den Sommer hindurch Zeit, alle zu impfen, die das wollen. Steigt die Durchimpfungsrate, wird sich die Situation weiter entspannen.

In Grossbritannien führt die indische Mutation gerade zu neuen Einschränkungen und regionalen Lockdowns. Müssen wir uns vor ihr oder der brasilianischen Variante fürchten?
Ich glaube, diese Sorge ist unbegründet. Aktiv nach Mutationen zu suchen, ist absolut richtig. Nicht, weil sie völlig neu und furchteinflössend wären, sondern weil es zu beobachten gilt, ob die Impfstoffe die neuen Formen noch abdecken. Varianten sind völlig normal, das ist reiner Darwinismus – die stärkere, in diesem Fall die übertragbarere Form, überlebt.

Trotzdem führt die sogenannte DeltaVariante im englischen Königreich möglicherweise dazu, dass die Corona-Restriktionen per 21. Juni eben nicht komplett aufgehoben werden können.
Die Fallzahlen in Grossbritannien waren in den letzten Wochen so tief, dass plötzliche Ansteckungen, die durch eine Mutation verursacht werden, natürlich auffallen. Die Delta-Variante wird jedoch kaum den grossen epidemiologischen Unterschied ausmachen. Dafür gibt es global zu viele Faktoren, die die Ausbreitung beeinflussen: das Verhalten der Bevölkerung, kulturelle Unterschiede, die Besiedlungsdichte etc. Das Virus ist dabei nur ein Teil des Ganzen. Da muss man wirklich vorsichtig kommunizieren.

Ende März erschien im «Magazin» des «Tages-Anzeigers» ein dramatischer Bericht über die brasilianische Mutante P1. Sie sei «eine Gefahr für die Welt» und ein Ende der Katastrophe sei «nicht in Sicht». Solche Berichte schüren bei vielen Menschen bloss Angst.
Ich habe den Artikel gelesen und halte die Botschaft für völlig falsch. Während der Pandemie haben sich sehr viele «Spezialisten» zu Wort gemeldet und die Dinge aus ihrem ganz eigenen Blickwinkel erklärt. Betrachtet man die verschiedenen epidemiologischen Kurven im Nachhinein, waren manche Aussagen schlicht falsch. Wie bereits erwähnt: Allein die Tatsache, wie die Menschen zusammenleben, hat einen riesigen Impact auf den Verlauf einer Pandemie. In Indien zum Beispiel fanden vor dem rasanten Anstieg der Zahlen im Frühling zahlreiche politische Wahlkampf-Rallys statt. Da wusste man schon, dass das nicht gutkommen konnte – unabhängig davon, wie übertragbar das Virus ist. Um allgemeingültige Prognosen zu stellen, kennen wir zu viele Übertragungsmechanismen schlicht nicht.

Plattformen wie uncutnews.ch verbreiten weiterhin Theorien, wonach die Impfstoffe krank machen und unsere Genstruktur verändern würden. Von bösen Spike-Proteinen ist da die Rede. Herr Koch, ein für allemal: Ist da etwas dran?
Nein, bitte, das ist grober Unfug! Wirklich. Wir müssen froh sein, den Impfstoff so schnell entwickelt zu haben. Für die Behandlung von Krebs wurde in eine ähnliche Richtung geforscht, deshalb ging es mit der Entwicklung so zügig voran.

Das müssen Sie uns erklären.
Wenn Krebszellen wuchern, umgehen sie das Immunsystem des gesunden Körpers. Und: Viele Krebsarten werden durch Viren ausgelöst. Die entsprechende mRNA-Technologie zur Behandlung war daher schon bekannt und wurden jetzt quasi an Covid-19 angepasst. Die Schweiz hat das Glück, mit Pfizer/Biontech und Moderna von Anfang an auf die besten Vakzine gesetzt zu haben.

Reisen sollten, zumindest in Europa, bald wieder einmal ohne gröbere Auflagen möglich sein. Was unbeschwerte Ferien in Vietnam, Südafrika oder Brasilien anbetrifft, könnte es hingegen noch etwas dauern. Richtig?
Ich teile Ihre Einschätzung, gerade in Bezug auf den asiatischen Raum. Etliche Länder in diesen Regionen stehen beim Impfen hinten an, weil sie zunächst eine Null-Covid-Strategie verfolgt und damit den Anschluss an die Vakzine verpasst haben. Also ja: Europa sehe ich in Bezug aufs Reisen positiv, dann folgen wohl die USA und Kanada.

Tanzen wir im Juli wieder in Clubs und feuern wir im August unser Lieblingsteam im Stadion an?
Das hoffe ich sehr. Die Maskenpflicht sofort abzuschaffen, halte ich hingegen für falsch, da niemand ernsthaft darunter leidet. Aber sonst? Fussballspiele mit Fans und Barbesuche auf jeden Fall erlauben, das ist für die physische und psychische Gesundheit einer Gesellschaft wichtig. Ich rate dazu, jetzt möglichst schnell zu öffnen und sich gleichzeitig auf den Herbst vorbereiten.

Was meinen Sie mit vorbereiten?
Viele von uns werden sich im Herbst eine Erkältung oder eine Grippe einfangen. Ohne Test wissen wir jedoch nicht, worum es sich bei denSymptomen handelt. Solche Fälle dürfen wir nicht verpassen, vor allem, um Personen in Pflegeheimen zu schützen.

Eine Person, die keine Symptome zeigt, ist ja gar nicht ansteckend?
Schön wärs. Präsymptomatische Personen produzieren das Virus in grosser Zahl, zeigen allerdings noch keine Anzeichen einer Krankheit. Andererseits sind da jene, die das Virus produzieren und asymptomatisch sind, weil der Körper das Virus gleich wieder eliminiert, was etwa bei Kindern der Fall ist.

Herr Koch, die Frage zum Schluss muss sein: Wie häufig waren Sie diesen Sommer schon in der Aare?
(Lacht) Noch gar nie. Dafür muss sie schon ein paar Grad wärmer sein. Persönlich habe ich einigen Respekt vor denen, die bei jeder Temperatur in die Aare steigen. Ich gehe bald Stand-up-paddeln: Vielleicht falle ich da zwar ins Wasser, aber immerhin trage ich dabei einen Neoprenanzug. Yves Schott

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