Ja, Bern sei auf einen Seuchenausbruch gut vorbereitet, sagt Kantonsärztin Linda Nartey. Aber: Die Kapazitäten in den Spitälern sind beschränkt.
Macht Ihnen das Coronavirus Angst?
Angst nicht, nein. Wenn ich aber täglich höre, dass die Zahl der gemeldeten Krankheits- und Todesfälle in China weiterhin steigt und zudem von verschiedenen europäischen Ländern Fälle gemeldet werden, kommt eine gewisse Spannung auf, dass auch in der Schweiz bald ein erster Fall auftritt. Zusammen mit den Spitälern und weiteren Partnern im Gesundheitswesen sind wir gut vorbereitet und tun alles, um die Bevölkerung möglichst optimal zu schützen.
Es gibt einen nationalen Pandemieplan. Dazu einen kantonalen und sogar einen städtischen.
Richtig. Der kantonale basiert auf dem nationalen Plan des Bundesamtes für Gesundheit BAG. Über städtische Pandemiepläne verfügen vor allem grössere Gemeinden wie Bern. Inhaltlich geht es im Groben darum, was eine Stadt tun muss, damit bei einer Pandemie das öffentliche Leben gewährleistet bleibt, wenn in allen Bereichen mit vielen Krankheitsausfällen gerechnet werden muss. Wie werden hilfsbedürftige Personen versorgt, kann sich die Bevölkerung in den Läden mit Nahrungsmitteln versorgen, ist genügend Personal aktiv, um den Abfall weiter zu entsorgen, wie steht es um die Stromversorgung etc. Man muss aber unterscheiden zwischen schweren Pandemien wie der Spanischen Grippe 1918 oder der Schweinegrippe 2009, die in der Schweiz kaum wahrgenommen wurde.
Was beinhaltet der kantonale Pandemieplan?
Ohne zu detailliert zu werden: An erster Stelle steht die medizinische Versorgung der erkrankten Personen und der Schutz der gesunden Bevölkerung vor Krankheitsübertragung. Auch Fragen ob und wann Betroffene isoliert oder unter Quarantäne gestellt werden müssen, werden behandelt. Die Kommunikation spielt ebenfalls eine grosse Rolle. Wie garantieren wir, dass die Leute über die jeweils aktuelle Situation informiert sind und wissen, was zu tun ist? Damit beschäftigen wir uns.
Sie arbeiten zudem sicherlich intensiv mit verschiedensten Spitälern zusammen.
Wir stehen in regelmässigem Austausch mit den Spitälern, ja, und hier speziell mit den Infektiologen. In den letzten Wochen haben wir diesen Kontakt stark intensiviert, sei es via Mail, Telefon oder Videokonferenz. Die Spezialärzte wissen sehr gut, was im Verdachtsfall und bei Erkrankten zu tun ist. Sie sorgen auch für den Schutz des Personals.
Was passiert, wenn eine Person, die möglicherweise mit dem Coronavirus infiziert ist, ins Spital eingeliefert wird?
Dann werden wir umgehend informiert, sprich: innerhalb von zwei Stunden. Es werden Abklärungen und Tests vorgenommen. Ist das Resultat positiv, wird die Person isoliert; mittels einer Liste, die wir von den Ärzten erhalten, versuchen wir danach, jene Personen zu erreichen, mit denen der Patient oder die Patientin in Kontakt stand, um diese über notwendige Massnahmen zu informieren und zu instruieren.
Stehen in Bern für den Ernstfall genügend Betten bereit?
Wir sind auf solche Szenarien vorbereitet. Aber es stimmt: In Spitälern sind die Kapazitäten für Isolationen beschränkt. Gäbe es auf einmal sehr viele Coronavirus-Erkrankte, kämen wir wohl an den Anschlag. Man würde dann alles daransetzen, Personen, die nicht spitalbedürftig sind, zuhause zu behandeln oder – bei einer Situation wie der Spanischen Grippe – niederschwellige Pflegestationen, beispielsweise eine Turnhalle – zu organisieren.
Die Sterblichkeitsrate beim Coronavirus dürfte, Stand heute, relativ tief liegen – jedenfalls kaum höher als bei einer normalen Grippe. Beim Coronavirus ist der Alarmismus aber deutlich höher. Wieso?
Es handelt sich um zwei verschiedene Situationen: Erstens hat die Bevölkerung gegen ein neues Virus noch keinerlei Immunität entwickelt. Zweitens soll verhindert werden, dass sich diese Krankheit innerhalb der Bevölkerung etabliert. Wir tun daher unser Möglichstes, das Coronavirus gar nicht erst ins Land zu lassen. Sollte es sich trotzdem etablieren und als ähnlich harmlos wie eine Grippe herausstellen, wird zu einem späteren Zeitpunkt kaum mehr der gleiche Aufwand betrieben.
Ihnen ist nach wie vor kein Coronavirus-Fall im Kanton Bern bekannt?
Es wurden zwischen 30 und 40 Verdachtsfälle untersucht, die sich alle jedoch als negativ erwiesen haben.
In einigen Apotheken sind Schutzmasken ausverkauft. Was sagen Sie dazu?
Wir sprechen hier von den normalen Hygiene-Gesichtsmasken. Sie bieten bloss einen bedingten Schutz und sind nicht dafür gemacht, um bei engem persönlichem Kontakt eine Übertragung des Virus zu verhindern.
Sie dürften von Anfragen wie jener des Bärnerbär momentan wohl überhäuft werden …
Der Informationsbedarf war und ist tatsächlich sehr gross, nicht nur von Medien. Ärzte, Ämter und Gemeinden kommen ebenfalls mit ihren Anliegen auf uns zu.
Beschäftigen Sie sich derzeit eigentlich fast nur noch mit dem Coronavirus?
Wir haben in den letzten zwei bis drei Wochen definitiv viele Ressourcen in dieses Thema reingesteckt, insbesondere der kommunikative Aufwand war doch einigermassen beachtlich.
Müssen Sie als Kantonsärztin Ihre Familie und Freunde häufig beruhigen und die ganze Sache relativieren?
Wir haben in der Familie darüber gesprochen, natürlich. Ich habe aber bewusst probiert, sachlich zu bleiben und mein Umfeld dahingehend zu überzeugen, dass es keinen Grund zur Panik gibt. Und nein: Ein Dauerbrenner war das Thema nicht.
Yves Schott
EPIDEMIEN DES NEUEN JAHRTAUSENDS –
UND WAS AUS IHNEN WURDE
2002/2003: SARS
Von Fledermäusen sprang das Virus
wahrscheinlich auf eine Schleichkatze, die wiederum einen Menschen
infizierte. Weltweit erkrankten fast
8000 Personen, rund 800 starben.
Am 19. Mai 2004 erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO die
Pandemie für beendet.
2005/2006: Vogelgrippe
Die Grippeviren sind schon seit über
100 Jahren bekannt. Einen Höhepunkt erreichte die Epidemie Mitte
des neuen Jahrtausends, mehrere hundert Menschen starben. Die
Seuche ist nicht ausgerottet: Erst
vergangene Woche löste der Bund
wegen neuen Fällen in Osteuropa
Alarm aus.
2009: Schweinegrippe
Erste Fälle wurden in den USA und
Mexiko gemeldet. Im Verlauf des
Jahres breitete sich die Schweinegrippe, die von Mensch zu Mensch
übertragen werden konnte, weltweit
aus. 18 500 Todesopfer forderte
das H1N1-Virus laut WHO, Forscher
gehen allerdings vom Zehnfachen
aus. Im August 2010 galt die Pandemie als beendet.
2011: EHEC
Als Ursache der Epidemie werden Sprossen aus ägyptischen
Bockshornkleesamen genannt. Das
Bakterium wütete ab Mai hauptsächlich in Deutschland, 4000 Personen infizierten sich, 53 starben.
Am 7. Juli 2011 war der Spuk vorbei.
2014/2015: Ebola
Diese Epidemie, die vor allem in Guinea, Sierra Leone und Liberia auftrat,
gilt als grösster Ausbruch seit Entdeckung des Virus 1976. Fast 30 000
Menschen erkrankten in Westafrika,
über 11 000 starben. 2016 wurde die
Seuche für beendet erklärt.
FAKTEN ZUM CORONAVIRUS
Bis jetzt haben sich über 40 000
Menschen mit dem Coronavirus infiziert, mehr als 910 sind daran verstorben. Der erste Fall wurde am
31. Dezember 2019 in der chinesischen Provinz Wuhan bekannt. Als
Ursprung wird ein lokaler Markt
vermutet. In der Schweiz wurde
das Virus bis jetzt noch nicht nachgewiesen. Weitere Informationen,
insbesondere für China-Reisende,
finden sich online beim Bundesamt für Gesundheit bag.admin.ch.