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«Greenwashing sollte in der Schweiz verboten sein»

Ihr grösstes Anliegen? Der Zugang zum Recht für alle. Doch auch angeblich grüne Labels machen ihr Sorgen. Als oberste Konsumentenschützerin hat Nadine Masshardt jedenfalls viel vor.

Nadine Masshardt, wie wird man oberste Konsumentenschützerin des Landes?
Bei meiner Wahl im Stiftungsrat war ich nicht dabei, da müssen Sie die damals Beteiligten fragen.

Aber Sie mussten ja zunächst einmal Interesse signalisieren, dieses Amt überhaupt ausführen zu wollen.
Klar! Konsumentenpolitik interessiert mich schon lange und ich setzte mich bereits verschiedentlich für die Rechte der Konsumenten ein. Konsumentenschutz ist jedoch ein Querschnittthema, das viele Politikbereiche betrifft. Von der Deklaration der Herkunft bei der Bestellung im Restaurant über unnötige medizinische Eingriffe bis zu überrissenen Roaming-Gebühren bei Handyabos. Datenschutzfragen oder Fake News in den sozialen Medien betreffen zudem gerade auch junge Menschen.

Welches der Konsumententhemen macht Ihnen am meisten Bauchweh?
Eines meiner Hauptanliegen ist der Zugang zum Recht für alle. Stichwort: Dieselskandal. Hier ist der Konsumentenschutz jüngst auf dem Rechtsweg gescheitert, weil wir laut Bundesgericht nicht klageberechtigt sind. Wer also gegen grosse Konzerne – wie in diesem Fall VW – rechtlich vorgehen möchte, steht als Einzelperson oft auf verlorenem Posten, weil man sich eine Klage allein nicht leisten kann. In den meisten europäischen Ländern hingegen existiert die Möglichkeit der Gruppenklage. Man klagt zusammen statt einzeln. Das Thema kollektiver Rechtsschutz dürfte im Verlauf dieses Jahres endlich im Nationalrat behandelt werden.

Was stösst Ihnen sonst noch sauer auf?
Das Greenwashing von Firmen. Für mich als Konsumentin ist es im Laden häufig schwer nachvollziehbar, was es mit gewissen «grünen» Labeln auf sich hat. Die Bezeichnung «Swiss Milk Green» etwa ist kein zertifiziertes Label, sondern ein reines Marketinginstrument. Das stiftet Verwirrung statt Transparenz. Es braucht einheitliche Kriterien dafür, ob ein Label wirklich «grün» ist und damit im Verkaufsregal angebotene Produkte tatsächlich nachhaltig produziert wurden. Die EU-Kommission schlug letzte Woche etwa ein Greenwashing-Verbot vor. Ein solches würde ich auch für die Schweiz begrüssen.

Auf meinem Duschgel heisst es, es sei vegan und frei von Mikroplastik. Dabei wird es sich wohl kaum um Greenwashing handeln.
Ich kenne das Produkt nicht, hoffe allerdings, dass die Angaben korrekt sind. Doch Sie sehen: Es fehlen einheitliche und unabhängig überprüfbare Kriterien, um die Angaben von Herstellern verifizieren zu können.

Zugang zum Recht für alle, Greenwashing das klingt schön und gut. Ihre Aufgabe als Konsumentenschützerin sollte es aber eher sein, dass die Bürgerinnen und Bürger am Ende des Tages mehr Geld im Portemonnaie haben.
Der Konsumentenschutz setzt sich für faire Preise ein, nicht bloss für tiefe. Im Optimalfall reden wir von einer Win-win-win-win-Situation: ein fairer Deal für den Anbieter, den Produzenten, den Konsumenten sowie für die Umwelt.

Trotzdem müssen sich die Menschen ein Produkt leisten können. Das dürfte Ihnen als SP-Nationalrätin ein Anliegen sein.
Absolut. Ich war einen Sommer lang Alpschullehrerin im Berner Oberland. Geblieben sind mir etwa die damaligen Überlegungen der Alpfamilie , die ihren Käse nur noch direkt an Endverbraucher verkauft: Ohne Zwischenhändler ist der Käse für die Konsumentinnen günstiger und die Produzenten erhalten einen besseren Preis für ihr Produkt und dazu erst noch direkte Rückmeldungen. Das zeigt: Manchmal müssen wir Dinge einfach neu denken.

Wo werden Konsumentinnen und Konsumenten denn konkret über den Tisch gezogen?
Vor kurzem pries ein Detailhändler Fleisch aus Uruguay als umweltfreundlich an, da weniger Plastik für die Verpackung benutzt wurde. Dabei ist klar: Solches Fleisch kann nie klimafreundlich sein. Schwerwiegende Auswirkungen eines Produktes dürfen nicht mit einseitiger Werbung überspielt werden. Dieser Fall zeigt zudem, dass sich Verantwortung nicht einfach an den Konsumenten delegieren lässt.

Wobei die Herkunft des Fleisches in Ihrem genannten Beispiel nicht verschleiert wird. Und wenn dafür nun weniger Plastik zum Einsatz kommt, ist das ja immerhin etwas.
Ich sehe das anders. Wenn das Produkt als umweltfreundlich beworben wird, ist das bloss ein kleiner Teil der ökologischen Wahrheit. Ehrlicher wäre, einzelne Produkte mit dem Eco-Score zu deklarieren wie etwa in Frankreich. Damit ersichtlich wird, wie die Umweltbilanz des Produkts wirklich aussieht.

Eine Ihrer Vorgängerinnen als Konsumentenschutz-Präsidentin war Simonetta Sommaruga. Wieso ist Konsumentenschutz eigentlich links?
Moment: Das ist er eben gerade nicht! Wir alle sind Konsumentinnen und Konsumenten, unabhängig von unserer politischen Einstellung. In anderen Ländern Europas ist der Konsumentenschutz weniger parteipolitisch verortet, etwa beim deutschen Verbraucherschutz.

Trotzdem war der Konsumentenschutz häufig in linker Hand. Was sagen denn Ihre Parlamentskolleginnen und -kollegen von FDP und SVP dazu, wenn Sie sie darauf ansprechen?
(Überlegt kurz) Ich erkläre mir die Skepsis der Bürgerlichen bei Konsumentenanliegen mit einem generellen Widerstand gegen alles, was mit Regulierungen zu tun hat.

Das Konsumentenforum als Ihr Gegenstück ist eher bürgerlicher Prägung.
Der Konsumentenschutz ist zu 85 Prozent eigenfinanziert, durch Gönnerinnen und unzählige Kleinspender. 15 Prozent kriegen wir vom Bund. Geld von Grossverteilern, Parteien oder Verbänden nehmen wir keines an. Beim Konsumentenforum hingegen ist unklar, woher das Geld stammt bis auf den Bundesanteil, den es ebenfalls erhält. Ich erachte es als schwierig, mit jemandem zusammenzuarbeiten, bei dem verschleiert wird, wie sich die Organisation finanziert und deswegen allenfalls Abhängigkeiten bestehen.

Das war jetzt tolle Eigenwerbung.
(Lacht) Es braucht Unabhängigkeit, um gewisse Dinge anprangern zu können!

Werden Sie als oberste Konsumentenschützerin und SP-Nationalrätin auch für Sie unangenehme Themen wie Preisabzocke an der Tankstelle anpacken? Rund zwei Drittel des Benzinpreises bestehen schliesslich aus Gebühren und Abgaben.
Die Preiszusammensetzung für Treibstoff ist politisch gewollt. Es existieren aber andere Fehlanreize in der Mobilität. Steuerliche Bevorzugung gibt es vor allem beim Flugverkehr. Der internationale Flugverkehr zahlt weder Mehrwertsteuer noch eine CO2 -Abgabe oder Mineralölsteuer. Das muss korrigiert werden. Für ein Wochenende nach New York zu jetten, nur weil Fliegen so günstig ist, finde ich höchst problematisch.

Bleiben wir beim Treibstoff für Autos.
Fakt ist, dass fast 50 Prozent des motorisierten Individualverkehrs Freizeitverkehr ist. Ich bezweifle darum, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.

Besitzen Sie persönlich ein Auto?
Nein. Doch verstehen Sie mich nicht falsch: Mir ist selbstverständlich bewusst, dass es Leute gibt, die aufs Auto angewiesen sind.

Von Ihnen ist bekannt, dass Sie früher nie gekifft haben und nur selten etwas getrunken haben. Ausserdem erhalten Sie Lob vom politischen Gegner, was Ihre politische Konsequenz anbetrifft. Das wirkt fast schon ein bisschen verdächtig.
(Lacht) Das sagen andere über mich. Bereits als ich anno dazumal in Langenthal in die Politik eingestiegen bin, wollte ich konkrete Verbesserungen erreichen. Eines meiner ersten Anliegen war ein Begegnungsort für Jung und Alt: Der Vorplatz des Kulturlokals Chrämerhuus im Stadtzentrum stand Autos als Parkplatz statt den Menschen zum Verweilen zur Verfügung. Zusammen mit anderen Jungen erreichten wir, dass dort ein autofreier Begegnungsort entstand. Und übrigens: Ich bin nicht abstinent und trinke gerne mal ein Bier oder ein Glas Wein. (schmunzelt)

Haben Sie nirgends Berührungspunkte mit den Bürgerlichen?
Bei den nächsten eidgenössischen Wahlen kommt zum ersten Mal das Transparenzgesetz zum Tragen – die Parteien müssen 2023 aufzeigen, woher ihre grossen Wahlkampfspenden stammen. Seit den 1960er-Jahren gab es Anläufe für mehr Transparenz in der Politikfinanzierung, endlich stiess nun eine Vorlage bis weit ins bürgerliche Lager auf Zustimmung. Um Mehrheiten zu finden, muss man als Linke mit bürgerlichen Kollegen zusammenarbeiten.

Sie sind Vize-Fraktionschefin der SP im Nationalrat und seit 1. April Präsidentin des Konsumentenschutzes – was folgt als Nächstes? Das Amt als Bundesrätin scheint sie, so haben Sie es in einem «BZ»-Artikel gesagt, weniger zu interessieren.
Mir gefällt die Parlamentsarbeit sehr und auf meine neue Aufgabe freue ich mich. Ich habe eine grosse Hochachtung vor dem Bundesrats-Job. Diese Rund-um-dieUhr-Verfügbarkeit kann ich mir allerdings beim besten Willen nicht vorstellen.

Weil das Privatleben als Parlamentarierin sowieso schon oft genug hintenansteht?
Ich erinnere mich an ein Radiointerview – auf meinem Arm die damals kleine Tochter mit Quietschentchen. Es waren zwei Anläufe nötig, bis es mit der Aufzeichnung geklappt hat. Das zeigt einem dann schon die Grenzen auf (lacht).

Yves Schott

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