Chris Zibälämärit 1

Hätten Sie all diese Dinge am Zibelemärit erwartet?

Am Zibelemärit gibt es nur Kuchen, Glühwein und viel Konfetti. Wirklich? Der Bärnerbär hat sich auf die Suche nach den ungewöhnlichsten Ständen gemacht – und sie auch gefunden.

Genau 5 Uhr 47 zeigt die Uhr auf meinem Handy, als ich unseren Fotografen am Loebegge entdecke. Sehr früh für meine Verhältnisse eigentlich. Und es ist ziemlich frisch, man misst wohl kaum mehr als 3 oder 4 Grad. Doch der Mantel wärmt gut – und, hey: Zibelemärit ist nur einmal im Jahr.

Der Nepalese und seine Filzprodukte
Auf gehts also, wir machen uns auf in die Spitalgasse. Nach nur ein paar wenigen Metern fällt uns schon der erste Stand auf, den nicht die klassische Zibelemärit-Aura umweht. Betrieben wird er von Gongma Lekshey Gyatso. Der freundliche Mann kommt aus Tibet und verkauft Filzprodukte sowie Textilien. «Eigentlich lohnt sich das Ganze hier nicht, doch ich möchte etwas anbieten, das es hier sonst nicht zu haben gibt.» Zum dritten Mal ist der 43-Jährige nun dabei, seine Kollektion umfasst auch kleine Stofftierchen und Schlüsselanhänger. Einen eigenen Laden besitzt Gyatso nicht. «Die Ware befindet sich normalerweise in einem kleinen Lager.» Derzeit absolviert der Nepalese eine Ausbildung zum Pfleger; ein halbes Jahr dauert sie noch. Der Verkäufer frönt am Berner Traditionsanlass also einem Hobby, der Umsatz steht im Hintergrund. Entsprechend gelassen sieht er dem weiteren Tag entgegen: «Gegen Ende des Zibelemärits esse ich mit Kollegen dann einen Käse- oder Zwiebelkuchen.»

Der Innerschweizer Nostalgiker und seine CDs
Etwas weniger entspannt wirkt René Roos. Seine Schwester Ursula und er veräussern am Waisenhausplatz, gleich in der Nähe der Tramschienen, Schlager- und Volksmusik-CDs. Ja, richtig: CDs. Ein Gegenstand, den wohl einige für ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten halten. «Viele Leute shoppen ganz allgemein nur noch online. Das spüren wir und darunter leidet das Marktgeschäft. Dabei ist ein Markt doch Kultur.» Ob er frustriert ist? «Ein bisschen.» Seine Gesichtszüge aber sprechen eine deutliche Sprache. Das Geschäft läuft deutlich schlechter als vor einigen Jahren. «Wir müssen uns etwas überlegen.» Ob er diesen Schritt überhaupt mitmachen wird? Roos ist 59. «Jene, die unsere Musik mögen, sterben langsam aus. Die Jungen hören Rap, das haben wir ja gar nicht im Sortiment.» Indirekt prangert der Handelsmann die häufig beobachtete Gratis-Mentalität an. «Eine CD kostet bei uns etwa 25 Franken.» Wer würde in Zeiten von Spotify und Co. noch so viel für einige Songs bezahlen? «Hier liegt das Problem», prangert René Roos diesen Zeitgeist an. «Das sind dann genau die, die dann wirklich nichts mehr bei uns kaufen.» Im Hintergrund läuft ein Jodel-Stück. Fröhlich wird gesungen. Noch.

Die zwei Tessinerinnen und ihr Hairfun
Wir laufen weiter runter, Richtung Polizeikaserne – und stolpern über ein kleines Zelt, das etwas gar leer wirkt und so gar nicht Zibelemärit-like wirkt. Keine Theke, keine Stühle, bloss zwei Frauen, die etwas zu verteilen scheinen. Maria Grazia Proietti und Lia Bezzola-Hirsbrunner verkaufen den JOJO Hairfun. Erstere spricht nur das Nötigste, was damit zu tun hat, dass sie des Deutschen kaum mächtig ist. Mit dem gummiartigen, länglichen und dünnen, etwa zwanzig Zentimeter langen Teil, das in der Mitte einen Schlitz hat, lassen sich verschiedenste Frisuren kreieren. Ein etwas ausgefallenerer Rossschwanz etwa oder der klassische Dutt. «Ein eigentliches Geschäft besitzen wir nicht», sagt Bezzola-Hirsbrunner, die im Tessin lebt, aber in Bern aufgewachsen ist. «Wir gehen aber jeden Samstagmorgen auf den Märit in Bellinzona und im Sommer ebenfalls in Ascona.» Um Mitternacht sind die beiden von Süden aus gen Hauptstadt losgefahren, die Miete für ihren Kleinstand beträgt laut Proietti bloss 80 Franken. Letztes Jahr war sie das erste Mal mit dabei. «Es lief gut», meint sie auf Italienisch. «Am meisten verkauften wir am Morgen, am Nachmittag sind dann Konfetti und Glühwein angesagt.»

Der Pole und seine Körbe
Unsere Tour de Zibelemärit führt uns zurück in die Spitalgasse. Uns sticht ein langer, hell beleuchteter Stand ins Auge. Das Sortiment: allerlei Körbe, Löffel und Kellen. Alles aus Holz. Jan Rogoszewski begrüsst uns sofort und mit einem freundlichen Lächeln. Die Ware stammt aus einem Familienbetrieb aus seiner Heimat Polen. «Für unseren Betrieb arbeiten insgesamt neun Personen.» Er produziere hauptsächlich für die Schweiz und Süddeutschland. Seit neun Jahren kommt der Unternehmer aus Krakau schon an den Zibelemärit. Was auffällt: Im Gegensatz zu unseren vorangegangenen Besuchen herrscht hier ein verhältnismässig reges Gedränge. Rogoszewski bestätigt uns diesen Eindruck: «Handarbeit liegt im Trend, Plastik wird je länger, je mehr verboten. Deswegen läuft das mit dem Umsatz nicht so schlecht.» Nur eines wurmt den 60-jährigen Vater, der drei Söhne hat. «Sie sind Ingenieure, keiner von ihnen möchte den Betrieb nach meiner Pensionierung weiterführen.» Fünf Jahre wären das noch – kommt es danach bei Rogoszewski zum grossen Lichterlöschen?

Das Berner Original und seine Bären-Tassen
Zum Schluss halten wir bei Walter Grob – ein echtes Berner Original, wie wir etwas später feststellen werden. Seit rund fünfzig Jahren werbe er am Bundesplatz nun bereits mit seinen Bärenartikeln, erklärt uns der Mann, der sein Alter explizit nicht nennen möchte («Das können Sie selbst ausrechnen, wenn Sie schlau sind!»). Postkarten, Tassen, Stifte, wo man hinschaut – und natürlich samt und sonders mit einem Bären verziert. Ob er diese Dinge via Online-Shop anbietet? «Äuä, nüt settigs. Für Sachen, die 1 Franken 50 kosten, benötigt es doch keinen Online-Shop.» Sowieso würden die Besucherinnen und Besucher seinen Stand immer häufiger meiden. «Die knipsen Selfies, dann braucht es offenbar keine Souvenirs mehr.» Wieso er sich das alles dennoch antut? «Die AHV zwingt einen ja fast dazu, etwas zu machen.» Grob hat einen ganz eigenen (Galgen-)Humor. Ehrlich und direkt, aber nicht unsympathisch. Bevor wir Tschüss sagen, drückt er uns schliesslich je einen seiner Bleistifte in die Hand und wünscht uns einen schönen Zibelemärit. Wir hoffen, er tut es auch nächstes Jahr noch.

Yves Schott

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