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Hier schenkt die grüne Idealistin dem SVP-Polteri reinen Wein ein

Nett geht es in der WG von Mike Egger, Franziska Ryser und Andri Silberschmidt zu und her. Doch nicht immer sind die drei so lieb zueinander.

Bohnerwachs und Spiessigkeit, wie Udo Jürgens damals sang? Nun, es riecht jedenfalls etwas sonderbar in diesem Treppenhaus. Von Glanz und Glamour sowieso keine Spur. Es ist ein samt und sonders unscheinbares Wohngebäude im Sulgenbach-Quartier, in dem sich die Jung-Nationalrätin und ihre beiden Amtskollegen einquartiert haben. Hier leben Franziska Ryser (Grüne), Andri Silberschmidt (FDP) und Mike Egger (SVP) während ihrer Zeit in Bern. Mit Tram oder Bus sind sie in fünf Minuten am Bundesplatz – praktischer gehts kaum. Die Wohnung im Hochparterre hat den Charme einer typischen Studenten-WG: An der Wand steht ein schwarzes Sofa, in der Mitte ein Tisch, ganz unten in der Ecke versteckt sich ein kleiner Fernseher mit Playstation. Auf liebevolle Details wurde bewusst verzichtet, für Feng-Shui-Träume hat es hier keinen Platz. Wozu auch? Andererseits: Sessionswochen und Kommissions-Sitzungen miteinberechnet, verbringt das illustre Trio doch etwa 80 Tage pro Jahr hier.

Maske mit Abstimmungsparole
«Das Sofa haben wir von einer netten Familie geschenkt bekommen», sagt Silberschmidt, der Inhaber einer kleinen Gastrofirma. «Wir wollten sie eigentlich schon lange mal zu uns einladen. Corona hat das leider verhindert. Müssen wir unbedingt nachholen.» Die Pandemie durchkreuzte auch die Pläne einer Einweihungsfeier, oder in diesem Fall eher: WG-Party. Im Dezember 2019 bezogen sie ihre Unterkunft – kurz daraufhin versetzte das Virus die Welt in Angst und Schrecken. Wir treffen die jungen Parlamentarier und die Parlamentarierin an Tag zwei der Sondersession vergangene Woche vor der Eingangstür. Mike Egger trägt – vorbildlich – eine Schutzmaske. Nicht ohne politische Botschaft selbstverständlich. «Nein zu den radikalen Agrar-Initiativen!», steht dort. Es stehen schliesslich bald Abstimmungen an. Die Truppe trifft mit vollgepackten Einkaufstaschen ein. Nach einem langen Tag knurrt Ryser, Silberschmidt und Egger der Magen. Zum Znacht gibt es Salat mit gebratenen Champignons, Käse, geräucherte Forelle, Bio-Mostbröckli und Vollkornbrot. Auch eine Flasche Weisswein wird aufgemacht. Wer die drei in der Küche stehen sieht, wähnt sich in einer echten WG. «Wir haben es wirklich gut zusammen», meint Ryser mit einem ehrlichen Lächeln. Von einer klassischen Rollenaufteilung ist jedenfalls nichts zu spüren: Silberschmidt brät die Pilze, Ryser bereitet den Salat vor, Egger deckt den Tisch. Dabei bringen Ryser, Egger und Silberschmidt die unterschiedlichsten Weltanschauungen in diese vier Wände mit. Ein Stichwort genügt, um zu illustrieren, wie unterschiedlich sie eigentlich ticken. Beispiel Burka-Verbot. «Alte, weisse Männer bestimmen, was Frauen tragen dürfen und was nicht», bricht es aus Ryser heraus. Eggers Konter lässt nicht einmal einen Atemzug auf sich warten: «Wir sind eben für echte Gleichberechtigung und stehen für die Rechte unterdrückter Frauen ein.» Silberschmidt drückt sich etwas diplomatischer aus: «Ich habe schon ein Problem mit der Burka, ein Verbot ist meiner Ansicht nach aber der falsche Weg.»

Ryser und ihr WG-Privileg
Dass man sich ideologisch zwar nicht nahesteht, nach überlegter – und überlebter – Diskussion aber dennoch ein Bier zusammen trinkt, ist zwar eine tolle Sache, aber längst nicht selbstverständlich. In anderen Ländern scheinen solche Politik-Symbiosen unvorstellbar. Der Mann von der Lega Nord unter einem Dach mit der Vertreterin des Partito Democratico? Die Polizei wäre im Dauereinsatz. Und so ist der Bärnerbär beileibe nicht das erste Medium, das über diese untypische Wohngemeinschaft berichtet. Das ZDF sei bereits da gewesen, erklärt Mike Egger. Auch jemand vom südkoreanischen Fernsehen. Von Schweizer Pressevertretern mal ganz abgesehen. Dass diese Bande auch anderthalb Jahre nach ihrer Gründung weiterhin Bestand halten, hätten wohl nur die wenigsten gedacht. Das Geheimnis ihres Erfolgs? Respekt vor dem Gegenüber und seiner – oft wohl schwer zu ertragenden – Meinung. Ryser und Egger stammen beide aus dem Kanton St.Gallen und kennen sich seit Jahren. «Auf der Bühne schenken wir uns nichts, das ist ein ungeschriebenes Gesetz», lacht Egger, der gelernte Metzger. Danach sei man jedoch wieder lieb miteinander. Alle drei betonen ausserdem, sie würden vom anderen immer mal wieder etwas Neues lernen. Tatsächlich teilen die anwesenden Protagonisten gewisse Ansichten. In ihrer allerersten nationalrätlichen Abstimmung 2020 stimmten sie zusammen für mehr Transparenz bei Polit-Lobbyismus. Im vergangenen Juni forderten sie in einer gemeinsamen Motion zudem einen Steuerabzug für jene Betriebe, die in der Corona-Krise Lehrstellen schaffen. So schlimm kann es also nicht sein, oder? Trotzdem sei die Frage erlaubt, wie Ryser es als emanzipierte Grüne mit zwei bürgerlichen Schwergewichten aushält. «Ich bin gelernte Maschinenbauingenieurin, ich bin es gewohnt, von Männern umgeben zu sein», scherzt die 29-jährige im typisch ostschweizerischen Dialekt. Gegen eine zweite Frau als WG-Partnerin hätte sie zwar nichts, sagt sie. «Muss aber nicht sein. Es passt ja sehr gut so.» Immerhin geniesst Ryser als Einzige das Privileg, über ein eigenes Badezimmer zu verfügen. «Sie hat ja auch am längsten», meint Silberschmidt lachend. «Nur, weil ich meine langen Haare föhnen muss», folgt die Retourkutsche postwendend. Kein Zweifel: Privat verstehen sich die drei blendend. Ausserhalb ihrer Berner Wohnung treffen sie sich privat allerdings fast nie. «Eigentlich schon schade», findet Silberschmidt, «das hat allerdings viel mit Corona zu tun.» Das dürfte sich nun ändern. «Ich möchte auch den fast schon traditionellen Ausgang mit Fabian Molina wieder aufnehmen», kündigt Egger an. Vor der Pandemie zogen er und der ehemalige Juso-Chef am letzten Sessions-Donnerstag zusammen mit anderen Abgeordneten jeweils um die Häuser.

Eggers Chaos hat einen Grund
Kurz vor Ende unseres Besuchs starten wir noch eine kurze Schnellfragerunde. Wer kocht am besten? Franziska Ryser, eindeutiges Votum. Wer kommt am spätesten nach Hause? «Mike», platzt es aus Silberschmidt heraus. «Er ist aber auch jener, der am frühesten wieder aufsteht.» Der Unordentlichste? Beide zeigen auf Mike. «Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass in meinem Zimmer ein Einbauschrank steht, der elendiglich mieft», lacht der SVP-Mann. «Deswegen liegen meine Kleider halt irgendwo rum.» Nach rund zweieinhalb Stunden verabschieden wir uns. Der Blick schweift nochmals am Olma-Plakat vorbei. «Volksfeste, das waren noch Zeiten», fährt es einem durch den Kopf. Das Aare-Bild mit dem Schwimmer, der in den Fluss springt – ein Geschenk von Christian Wasserfallen –, wartet erst darauf, ausgepackt zu werden. Was ist jetzt eigentlich mit der Einweihungs-Party? Wird sie nachgeholt? «Wir hoffen es doch schwer», seufzt Silberschmidt. Bloss kann man ja nicht alle 246 Volksvertreterinnen und -vertreter einladen. «Schauen wir mal», meint Egger. «Als VIP-Gast soll auf jeden Fall unbedingt ein Bundesrat vorbeischauen!» Vielleicht frühstücken die drei am nächsten Morgen noch zusammen. Dann fahren sie am letzten Tag der Sondersession wieder ihre Krallen aus. Das WG-Leben ist dann ganz weit weg. Das gemeinsame Bier sowieso.

Yves Schott

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