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Hilfe, unsere Lädeli sterben aus! Doch es gibt Hoffnung

Ein Gespenst geht um: Es ist das Ladensterben-wegen-desInternets-Gespenst, welches auch in Bern Angst und Schrecken verbreitet. Werden wir im Herzen der Stadt bald nur noch essen und trinken, jedoch keine Waren mehr kaufen können? Ein Augenschein vor Ort bringt Aufschlussreiches und Hoffnungsvolles an den Tag.

Die Vorgeschichte: Im Jahre 1995 eröffnete der Autor dieser Zeilen zusammen mit Partnern einen Naturkosmetik-Laden an der Marktgasse. Die Suche nach einem geeigneten Parterre-Ladenlokal gestaltete sich schwierig. Schlussendlich konnte ein bestehender Zehnjahres-Vertrag eines Mode-Multis übernommen werden. Die Jahresmiete betrug 2000 Franken pro Quadratmeter; für 120 Quadratmeter machte das nach Adam Riese 240000 Franken, 20000 Franken Monatszins. In den folgenden Jahren sind die Preise an der Markt- und Spitalgasse sowie auch an der Neuengasse massiv angestiegen, so zahlte ein Schuhladen dem Optikermeister J.M. an der Neuengasse Mitte der 2000er-Jahre eine Ablösesumme von rund 400000 Franken für einen Ladenmietvertrag, einem anderen Luxus-Schuhgeschäft war der Jahreszins von weit über einer Million Franken an der Spitalgasse nicht zu hoch. Es waren die goldenen Zeiten für die Geschäftsinhaber und die Diamanten-Zeiten für die Eigentümer von Immobilien in der Innenstadt.

Viele Ladenlokale stehen leer
«Diese Zeiten sind vorbei, die Eigentümer von Geschäftsliegenschaften, die bis anhin über mehrere Generationen sehr gut von den Mietzinseinnahmen leben konnten, müssen über die Bücher» sagt Rudolph Schweizer. Seit vier Jahrzehnten beschäftigt sich der Immobilienfachmann mit Liegenschaften in der Stadt Bern. Schweizers einstiger Berufskollege Franco Sommaruga, der jahrelang für bekannte Immobilien-Dienstleister den Markt bearbeitete, sagt es noch deutlicher: «Das Angebot ist grösser als Nachfrage, deshalb sind die Mietzinse stark gesunken.» (siehe auch Sommarugas Kommentar unten) Die Mietzinsreduktionen kommen für viele Geschäftsinhaber zu spät. So zügelte das oben erwähnte Luxus-Schuhgeschäft von der Spitalgasse an die Neuengasse, und kürzlich hat es sich ganz aus der Stadt zu verabschiedet. Wo bisher Schuhe präsentiert werden, kündet ein Kaffeehaus seine Eröffnung an. «Coffee to go statt Fashion to show» also. Noch nie standen so viele Ladenlokale in der Berner Innenstadt leer.
«Die Mietzinse sind heute nicht mehr das Hauptproblem», ist Rudolph Schweizer überzeugt. Es ist das Internet. «Für die Bekleidungsläden sehe ich schwarz, denn es ist aussichtslos, gegen die Convenience anzukämpfen.» Convenience, neudeutsch für Bequemlichkeit, gilt als «die am meisten unterschätzte Kraft und am wenigsten verstandene Macht in der heutigen Welt», sagt Schweizer. «Der Kunde verhält sich nach dem Motto: Weshalb in einen Laden gehen, wenn man es mit ein paar Klicks von zuhause aus bestellen kann.» Doch Schweizer sieht auch Lichtblicke: «Mit dem Lidl im Loeb und dem Manor an der Marktgasse kommen neue Läden in die Innenstadt, welche Frequenzen bringen, davon können kleinere, von den Inhabern geführte, Geschäfte profitieren», glaubt Schweizer.

Der Mann des besten Geschmacks
Von den Inhabern geführte Spezialgeschäfte sind die Würze im Einkaufsraum Innenstadt. Dazu gehört die Parfumerie Yours an der Waaghausgasse. Geschäftsinhaber René Piller ist in Bern seit Jahrzehnten als der Mann des besten Geschmacks bekannt. Piller ärgert sich zwar manchmal über Kunden, die sich im Laden ausführlich beraten lassen, um anschliessend das Produkt im Internet zu bestellen. «Doch das sind nur ganz wenige, denn die guten Kunden – Menschen mit Stil und Klasse – schätzen das Zwischenmenschliche und die Fachkompetenz, das spüren wir tagtäglich», freut sich Piller. Ähnlich wie René Piller äussert sich Salvatore Casaluci. «Ich setze auf Klasse und nicht auf Masse», sagt der Berner Boutique-Besitzer, der in diesem Jahr mit seinem Laden an der Marktgasse das 25-Jahre-Jubiläum feiert. Einkaufen bei Casaluci läuft unter dem Label «Erlebnis-Einkauf»: Stilsicher und unaufdringlich berät er die modebewussten Bernerinnen und Berner, begleitet von einem garantierten Unterhaltungswert. Casalucis vielfältiges Angebot ist in Bern legendär.

Klasse statt Masse
Ebenso lebende Laden-Legenden sind Markus Hauser und Hans R. Hirschi an der Marktgasse. Hauser zieht mit seinen exklusiven Hemden sogar Zürcher an, im wahrsten Sinne des Wortes. «Die Qualität der Produkte und die kompetente Beratung sowie die Präsenz im Laden ist unser grosser Vorteil gegenüber dem Internet», betont der Comeback-Laden-Inhaber. Hans R. Hirschi seinerseits ist die Gelassenheit in Person. «Ich habe zu viel erlebt, als dass ich mich über das Internet grössere Gedanken machen muss», sagt Hirschi. Die Kundinnen und Kunden in seinem Schuh-Gade kaufen Qualitätsware, «die in Sachen Stil und Qualität mehrere Saisons überdauern», so Hirschi. Oft tauchen Berühmtheiten aus Gstaad in seinem Laden auf. Apropos international: Eine Freundin des Schreibenden aus New York, die viele Jahre in Bern lebte, erinnert sich oft wehmütig an das «Lädele» in der Berner Innenstadt. Vor allem einen Laden vermisst sie in der US-Metropole schmerzlich: «Nirgendwo hier finde ich einen Laden wie Chat Noir», beklagte sie sich kürzlich. Die Heimweh-Bernerin aus New York darf sich freuen: Ihr Lieblingsgeschäft – ein Familienunternehmen – wird es noch lange geben, denn die zweite Chat-Noir-Generation mit Björn und Kim Jordi übernimmt von der ersten Generation Guri sowie Andreas Jordi und steht voll motiviert im Laden.

Matthias Mast

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